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Spannungsgeladen in eine Zukunft der erneuerbaren Energien: Dezentrale Wind-, Wasser- und Solarkraftwerke nehmen zu, Schwankungen in der Netzspannung sind die Folge. Forscher versuchen die Netze mit intelligenten Technologien aufzurüsten.

Foto: APA/Patrick Pleul

Künstliche Sonnen, ein Blitzsimulator, ein Labor, in dem die Vorgänge im Stromnetz imitiert werden: Im Energy Department des Austrian Institute of Technology (AIT) ist die Elektrizität ständig im Fluss. Und zwar in Mengen, die nicht gerade handelsüblich sind. Möglich macht das ein hauseigenes Umspannwerk, welches das in Wien-Floridsdorf angesiedelte Forschungszentrum mit der Leistung eines mittleren Kraftwerks versorgt - es ist per 110-kV-Leitung direkt ans Wiener Hochspannungsnetz angeschlossen.

Das ist notwendig, um elektrische Systeme, Schaltanlagen, Isolierungen und Transformatoren gehörig unter Strom zu setzen und so zu testen, wie viel sie aushalten. "Wir simulieren Fehler wie Überschläge bis hin zu Störlichtbögen, also Situationen, bei denen die Anlagen extrem belastet werden", erläutert Georg Brauner, zuständig für die Hochspannungs- und Hochstromlabors am AIT.

Ein Trafo aus den 1950er-Jahren, der mit seinen spiralförmigen Tentakeln an einen riesenhaften Roboter erinnert, sorgt nach wie vor für Wechselspannung bis zu 600 kV - weit mehr als die stärksten heimischen Hochspannungsleitung mit 380 kV. Der sogenannte Blitzspannungsgenerator kann mit einer geballten Kraft von 1,2 Millionen Volt in angeschlossene Geräte einschlagen. In den Labors werden Solarkollektoren und Fotovoltaikmodule unter einer künstlichen Sonne getestet und in Klimakammern sämtlichen Witterungsbedingungen ausgesetzt.

Die Vorgänge, die in einer anderen Halle simuliert werden, sehen weniger spektakulär aus: Im Simtech-Labor, das derzeit noch im Aufbau ist, stehen bloß ein paar schrankgroße Rechner - die dazu dienen, auf kleinstem Raum die Grenzen des Stromnetzes auszuloten. Denn mit dem Ausbau der erneuerbaren Energiequellen und dem steigenden Aufkommen an Elektroautos kommt einiges auf die bestehenden Leitungen zu.

"Wir müssen die Netze erst besser verstehen", sagt Helfried Brunner vom AIT Energy Department. "Es gibt sie zwar bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts, aber bisher war es nicht nötig, ihr Potenzial jederzeit maximal auszunutzen." Nach wie vor ist das Stromsystem auf zentrale Großkraftwerke ausgelegt, die einen beträchtlichen Teil der Energie einspeisen. Doch dezentrale Erzeuger wie Biomasse- und Kleinwasserkraftwerke, Windkraft- und Fotovoltaikanlagen nehmen massiv zu. Und damit auch Schwankungen in der Netzspannung.

Aufnahmekapazität erreicht

"Das Stromnetz würde in seiner aktuellen Konstellation einen hohen Anteil an erneuerbaren Energien nicht verkraften", gibt Brunner zu bedenken. "In Bayern hat man die Aufnahmekapazität der Netze für Fotovoltaik in vielen Gebieten schon erreicht." Abhilfe schaffen sollen Smart Grids, "intelligente" Netze, die mit Informations- und Kommunikationstechnologien sowie neuen Regelungskonzepten und Komponenten ausgestattet sind. Damit können die Spannungsverhältnisse und Abläufe im Stromnetz genauestens gemessen, analysiert und gesteuert werden. "Die Prämisse ist, dass Smart Grids günstiger sind als ein Netzausbau", sagt Brunner.

Dabei kümmern sich die AIT- Forscher weniger um die Stromautobahnen, über die Energie von Offshore-Windanlagen im Norden oder Solarfarmen im Süden transportiert wird, sondern ergründen regionale und lokale Netze im Niedrig- und Mittelspannungsbereich. Dort, wo immer mehr kleine Minikraftwerke auf Dächern und in Bächen überschüssigen Strom ins Netz zurückspeisen, liegen auch die größten Herausforderungen für ein System-Update.

Um zu verstehen, wie viel Einspeiser und Verbraucher ein Netz vertragen kann, wurde im Mai erstmals eine sogenannte Power-Snap-Shot-Analyse durchgeführt, also eine Momentaufnahme des Stromnetzes. Dazu wurden in Oberösterreich 100 Abschnitte im Niederspannungsnetz mit eigens programmierten Smart Metern (digitalen Stromzählern) ausgestattet. "In einem Jahr werden wir eine Million Schnappschüsse gesammelt haben", schildert Brunner. "Die Daten integrieren wir in unsere Simulationen, um möglichst nah an die realen Verhältnisse heranzukommen."

Wie ein smartes Ökostromnetz in der Realität funktionieren könnte, erproben die AIT-Wissenschafter gemeinsam mit der TU Wien, Netzbetreibern und Industriepartnern im Projekt DG DemoNet Smart Low Voltage Grid - ebenfalls finanziert vom Klima- und Energiefonds.

So wird die Zukunft schon ein wenig rascher in die oberösterreichische 2300-Einwohner-Gemeinde Eberstalzell einziehen: Jeder zweite der knapp 150 Haushalte bekommt eine Fotovoltaikanlage. In einer weiteren Gemeinde in Salzburg, die noch nicht ausgewählt wurde, erhalten weitere 30 bis 40 Haushalte zusätzlich zum Solarkraftwerk auch ein Elektroauto. Ab Anfang 2013 wird der Versuch ein Jahr lang laufen, dann wird sich zeigen, wie die örtlichen Netze mit intelligenten Technologien für alternative Energien gerüstet werden können.

Bewährungsprobe

"Wir kreieren ein Problem und entwickeln parallel dazu gleich die richtigen Lösungen, die wir dann in den realen Netzen testen", beschreibt Helfried Brunner den Ansatz. Wie sich die Simulationen von regionalen Mittelspannungsverteilnetzen bewähren, wird sich bereits im Herbst bei Feldversuchen im Großen Walsertal in Vorarlberg und im Salzburger Lungau herausstellen. "In diesen Regionen gibt es schon jetzt sehr viele dezentrale Stromerzeuger - vor allem Wasserkraft. Es geht darum, durch Regelungskonzepte bei den Kraftwerken und Transformatoren im Umspannwerk die Spannung so zu beeinflussen, dass sie auch bei hoher und unregelmäßiger Einspeisung in den erlaubten Grenzen bleibt", erklärt Brunner.

Weil es aber zu aufwändig und auch nicht ungefährlich wäre, alle möglichen Zukunftsszenarien direkt im Netz auszutesten, setzt das AIT auf das Simtech-Labor. "Wir verbinden echte Komponenten wie Wechselrichter und Regler mit detailgetreuen virtuellen Netzen", sagt Brunner. Künftig sollen so ganze Netzabschnitte in Echtzeit simuliert werden. Und das mitten in Wien. (Karin Krichmayr, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3. August 2011)