Tödliche Überraschung im Fell: Die faulen Nagetiere schrecken ihre Feinde mit einem einzigartigen Trick ab.

Bild: Nouvelles Archives du Muséum d'histoire Naturelle

In natura sieht das Tier nicht mehr ganz so wohlfrisiert aus.

Foto: Fritz Vollrath

Die Mähnenratte (Lophiomys imhausi) ist ein ziemlich ungewöhnliches Tier. Das beginnt damit, dass die in Ostafrika beheimateten Nager im gesamten Tierreich keinen einzigen näheren lebenden Verwandten haben. Ihre Bezeichnung als Ratte führt ebenfalls in die Irre: Die rund 30 Zentimeter langen Waldbewohner haben eine Schnauze wie ein Meerschweinchen, in ihren Proportionen ähneln sie Stachelschweinen.

Auch das Verhalten der 1867 erstmals beschriebenen Tiere, die über eine charakteristische Mähne verfügen, gab den Biologen einige Rätsel auf. Das Nagetier bewegt sich nämlich so träge und faul durch die Gegend, dass es eine ideale Zwischenmahlzeit abgeben würde: Die Raubtiere müssten eigentlich nur zubeißen. Dass die Tiere ihre Mähne aufstellen können und dann so wie kleine Stachelschweine aussehen, kann auch nicht wirklich erklären, warum Mähnenratten nicht längst schon ausgestorben sind.

Ein internationales Zoologenteam um Fritz Vollrath von der Universität Oxford berichtet nun in den "Proceedings der Royal Society B" von einer erstaunlichen Entdeckung, die das Überlebensrätsel der Mähnenratten löst: Die Tiere befüllen spezielle Fellhaare unter der Mähne mit einem tödlichen Pflanzengift, um sich damit gegen ihre Fressfeinde zu immunisieren - ein unter Säugetieren in dieser tödlichen Form ziemlich einzigartiger und bislang unbekannter Verteidigungstrick.

Ausgangspunkt für die Untersuchungen waren Berichte, dass Hunde bei Begegnungen mit den Nagetieren schwere Vergiftungserscheinungen davontrugen. Einige Hunde sind sogar an plötzlichem Herzversagen gestorben. Beobachtungen der Zoologen zeigten, dass die Mähnenratten an der Rinde der Strauchpflanze Acokanthera schimperi kauten. Das ist insoferne erstaunlich, weil die Pflanze nämlich ein hochwirksames Gift enthält, das zu den sogenannten Cardenoliden zählt und g-Strophanthin ähnelt. G-Strophantin wiederum wurde von indigenen Völkern Afrikas als Pfeilgift bei der Jagd benutzt und tötet sogar Elefanten.

Nach dem Kauen lecken die Mähnenratten mit dem Speichel spezielle seitliche Haarpartien unter der Mähne - genau dort, wo Raubtiere zubeißen. Diese Haarpartien haben die Zoologen für ihre Studie unter die Lupe genommen und eine weitere erstaunliche Entdeckung gemacht: Unter dem Elektronenmikroskop entdeckten die Forscher in den Haaren dünne Gewebefäden, die sich mit dem toxischen Speichelmix vollsaugen.

Wenn nun eine Mähnenratte von einem Raubtier oder einem Hund attackiert wird, die noch keine Bekanntschaft mit dem Gift der Tieren gemacht haben, dann stellt das Nagetier seine Mähne auf, was wiederum die Gifthaare freilegt. Beißt das Raubtier zu, vergiftet es sich mit sofortiger Wirkung - und wird sich weitere Attacken überlegen, wenn es überhaupt überlebt. Die Opfer kommen zumeist ohne ganz schwere Verletzungen davon.

Wie die Forscher schrieben, ist ein solcher Abwehrtrick unter Säugetieren ziemlich einzigartig. Ihm am nächsten kommt der Igel, der Krötengift auf sein stacheliges Fell aufträgt, um dem Angreifer das Zubeißen noch mehr zu vergällen. Ein Rätsel aber bleibt: Wieso das Gift bei den Mähnenratten selbst keinerlei schädliche Wirkung zeigt. (tasch, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3. August 2011)