Über Kathpress erreichte die Öffentlichkeit eine erschütternde Nachricht: wenn die rund 370.000 SchülerInnen, die den katholischen Religionsunterricht besuchen, von den Sommerferien zurückkommen werden, dann könnten einige von ihnen einen unbesetzten Lehrpult finden. Der Grund: "eine rollende Pensionierungswelle, die auch vor Religionslehrern keinen Halt macht". Und wie im Chor schlagen auch die vier kirchlichen pädagogischen Hochschulen Alarm: es finden sich nämlich nicht genügend junge ReligionslehrerInnen. 

Die erwartete Überraschung

Merkwürdig ist, dass der zu erwartende Religionslehrermangel ausgerechnet den katholischen Nachrichtendienst so überrascht hat; schließlich sind Pensionierungen, Neubeschäftigungen und Lehrbedarf weit in die Zukunft prognostizierbare Größen und gerade die beispiellose Austrittswelle des Jahres 2010 sollte ja das "Problem" teilweise entschärft haben. Könnte vielleicht diese (Nicht-)Nachricht etwas jenseits einer sachlichen Berichterstattung bezweckt haben? Kann gut sein. Rein theoretisch wäre der Religionslehrermangel als interne Angelegenheit einer Religionsgemeinschaft abzutun. So einfach ist es aber (leider) doch nicht.

Die Vorgeschichte

Vertreter der Kirche (und der ÖVP - der Übergang ist fließend) werden seit Jahren nicht müde, der Allgemeinheit einzubläuen, dass gerade die steigende Zahl der Abmeldungen von dem Religionsunterricht für den (angeblichen) Werteverfall ("Gefahr religiöser Gleichgültigkeit", um Mikl-Leitner, damals noch relativ unbekannte Landesrätin, zu zitieren) verantwortlich sind.

Die Lösung? (Zwangs-)Ethikunterricht, freilich aber nur für all jene, die, aus welchem Grund auch immer, den Religionsunterricht nicht besuchen. Konfessionsfreie SchulerInnen haben eben Nachholbedarf in Sachen Werte, so der wertvolle Sukkus. Eine bestens orchestrierte parlamentarische Enquete (Anzahl der geladenen VertreterInnen der Religionen: 28, der Konfessionsfreien: 0) zum Thema „Ethikunterricht als Ersatzpflichtgegenstand" sorgte am 4.4.2011 für die endgültige Besiegelung des zuvor totgesagten Projektes; die wenigen Stimmen der Vernunft (darunter Konrad-Paul Liessmann und NRAbg. Daniela Musiol) gingen im Meer der koalitionären und religiösen Heuchelei fast unbemerkt unter. Die Umsetzung ist nun nur noch eine Frage der Zeit (und der Finanzierung; diese spielt bei Pro-Reli Bestimmungen hierzulande allerdings eine untergeordnete Rolle).

Wie geht's weiter?

Und genau vor diesem Hintergrund soll die Kathpress-Hiobsbotschaft hinterfragt werden: sie dient nämlich dem langjährigen Vorhaben, in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft auf Biegen und Brechen den Einfluss der Religionen - und insbesondere der katholischen Kirche - aufrecht zu erhalten. Der Plan ist teuflisch einfach: nachdem schon praktisch dafür gesorgt wurde, dass keine SchülerInnen (vorerst der Oberstufen) dem Religions- oder Ethikunterricht entkommen werden, bleibt ergänzend noch übrig, in den an sich weltanschaulich neutral zu haltenden Ethikunterricht konfessionelle Inhalte zu gießen. Und gerade deshalb wird ausgerechnet jetzt der allgemein bekannte Mangel an ReligionslehrerInnen neu thematisiert.

Im Jahr 2005 wurden nämlich in die Grundwerte der Schule das religiöse Denken (Art. 115 Abs 5a) eingeführt und, als wäre dies nicht genug, die Entwicklung von religiösen Werten bei der Jugend (!) als konkrete Aufgabe der Schule (§2 Abs 1 SchOG) festgelegt. Über den Umweg dieser schändlichen schwarz-blauen Verfassungsänderung wird der Ethikunterricht - erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik! - zum flächendeckenden Zwangsreligionsunterricht, wenn auch in abgeschwächter Form, mutieren. Und dieses Schreckensszenario ist bereits in knapp 200 Schulen gegenwärtig: Alle Ethikunterricht-Lehrpläne beziehen sich nämlich auf den Religionserziehungszwang des §2 Abs 1 SchOG.

Einer der wichtigsten Proponenten des Ethikunterrichtes hierzulande ist Prof. Karl Heinz Auer: Glühender Katholischer Theologe, Ethikunterricht-Schulbuchautor, Verfasser von Ethikunterricht-Lehrpläne und Leiter des akademischen Lehrganges Ethik am PI Tirol. Von ihm stammt auch folgende Aussage, die aus seinem Fachreferats in besagter Enquete stammt: „Ein vom Schulversuch nicht umfasster verpflichtender Ethikunterricht für alle würde, bedingt durch die Themengleichheit einerseits und die Abmeldemöglichkeit vom Religions-, nicht aber vom Ethikunterricht andererseits, zu einer empfindlichen Schwächung des Religionsunterrichts und seiner Integrationskraft führen...". Im Klartext: Der Religionsunterricht hat gegenüber dem Ethikunterricht Vorrang und darf nicht im Zuge einer etwaigen Konkurrenz mit ihm zu Schaden kommen. Eigentlich ein Fauxpas für eine Person, die möglicherweise wie keine andere den Ethikunterricht forciert, definiert und gestaltet hat und diesen vermutlich auch noch länger beeinflussen wird. In Österreich aber kein Problem.

Der logische Schluss liegt nahe: der Ethikunterricht wird noch weiter „aufkonfessionalisiert" werden, um den Mangel an ReligionslehrerInnen aufzufangen. Der Staat wird für die Kirche das erledigen müssen, was sie nicht wie bisher, natürlich auf Kosten des Staates, geschafft hat, nämlich genügend ReligionslehrerInnen aufzutreiben. Mit jedem Austritt, fehlendem Pfarrer und pensioniertem Religionslehrer wird es aber klarer: Der ständig kürzer werdende Schwanz wedelt immer heftiger mit dem Hund. (Leser-Kommentar, Eytan Reif, derStandard.at, 3.8.2011)