"Es gilt unseren Werten treu zu bleiben, auch wenn es eine schwierige Situation ist", sagt Christoph Peschek, Abgeordneter im Wiener Gemeinderat. Er zeigt sich nicht einverstanden mit der Reaktion der SPÖ auf die Terror-Anschläge in Norwegen. "Ich halte es nach so einer irren Tat eines Rechtsextremen nicht unbedingt für prioritär sofort eine Verschärfung der Gesetze zu fordern." Warum es eine Werteverschiebung innerhalb der Gesellschaft nach rechts gegeben hat und wie links die SPÖ noch ist, sagt er im Interview mit derStandard.at.
derStandard.at: Nach den Anschlägen in Norwegen haben die Worte von Ministerpräsident Jens Stoltenberg für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Er hat ein Plädoyer für Offenheit und Toleranz gehalten. Wie hat Ihnen die Rede gefallen?
Peschek: Die Rede war absolut beeindruckend. Es war genau die richtige Antwort, die man nach so einem fürchterlichen, brutalen Attentat geben kann. Es wäre jetzt falsch, noch schärfere Gesetze zu fordern. Das Resultat wäre, dass wir weitere Tierschützerprozesse oder ähnliches haben. Die richtige Antwort lautet: Es braucht mehr Offenheit, es braucht Respekt und Rücksichtnahme, es braucht mehr Mitbestimmung und Partizipation. Letztlich natürlich auch Zukunftsperspektiven. Aber diese Ziele wird man nicht mit Hass und Hetze erreichen, sondern nur mit einem friedlichen Miteinander auf der Basis klarer, humanistischer Werte.
derStandard.at: Was können Sie sich als junger Sozialdemokrat da mitnehmen?
Peschek: Dass man auch in schwierigen emotionalen Situationen versuchen soll, Ruhe zu bewahren und menschliche Nähe zu zeigen, zu trauern, aber sich nicht von den Rechtsextremen unterdrücken und verbiegen zu lassen. Es gilt unseren Werten treu zu bleiben, auch wenn es eine schwierige Situation ist.
derStandard.at: In Österreich war die Reaktion auf die Anschläge die, dass eine Verschärfung der Anti-Terror-Gesetze gefordert wurde – auch seitens der SPÖ. Wieso?
Peschek: Es hat in den letzten Jahren eine Werteverschiebung innerhalb der Gesellschaft nach rechts gegeben. Man versucht allzu oft auf gesellschaftliche Probleme mit schärferen Gesetzen zu antworten. Dabei wäre es umso wichtiger Ursache und Wirkung zu analysieren und Lösungsansätze für die ursächlichen Probleme zu diskutieren. Auch in Anbetracht der Wirtschaftskrise sind Fragen der Bildung, der Verteilungsgerechtigkeit, der Perspektiven ganz zentral. Und nicht Pseudo-Diskussionen über Gesetzesverschärfungen.
derStandard.at: Mit der Forderung nach einer Verschärfung der Terrorgesetze sind Sie nicht glücklich?
Peschek: Ich halte es nach so einer irren Tat eines Rechtsextremen nicht unbedingt für prioritär sofort eine Verschärfung der Gesetze zu fordern. Natürlich darf man nicht naiv sein und muss sich auch mit den rechtlichen Rahmenbedingungen auseinandersetzen. Aber zuallererst gilt es, diese Tat als das zu sehen, was sie ist: rechter Terror. Und dem werden wir uns sicher nie beugen.
derStandard.at: Wieso hat es diese Reaktion der SPÖ denn gegeben?
Peschek: Das weiß ich nicht. Aus meiner Sicht sollte die Sozialdemokratie den Fokus auf ihr wertebasiertes Fundament legen. Das bedeutet frei nach den Schmetterlingen aus der Proletenpassion: "Wir wissen wohin wir wollen, weil wir wissen woher wir kommen." Wenn wir gemeinsam links definieren im Sinne von Gerechtigkeit, Demokratie, Chancengleichheit und humanistischen Werten, dann wäre es gerade in solchen Situationen absolut notwendig dem Rechtsextremismus mit demokratischen Mitteln klar den Kampf anzusagen und die Werte, die Norwegens Premierminister Stoltenberg hochgehalten hat, auch zu leben.
derStandard.at: Die Verschärfung von Strafen, von Überwachung – ist das eine Annäherung der SPÖ in Richtung FPÖ?
Peschek: Es hat sicherlich in den 90er-Jahren mit Blair, Schröder, Klima zu Verwirrungen der Sozialdemokratie gegeben. Umso wichtiger ist es speziell auch aus der Wirtschaftskrise heraus, die sozialdemokratischen Werte als Grundfundament zu betrachten. Wenn wir als Grundwerte Gleichheit, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität haben, dann kann es beispielsweise keine Annäherung zur Freiheitlichen Partei geben. Eine Partei die in Comics dazu aufruft, Türken mit Steinen zu beschießen. Eine Partei, die in Computerspielen auf Minarette schießen lässt. Eine Partei, die Zwangsarbeit in Konzentrationslagern verharmlost. Das ist unglaublich und macht sie de facto unwählbar. Das zeigt auch, dass man mit der FPÖ nicht zusammenarbeiten kann, weil sie sich auf dem Feld demokratischer Regeln weit ins Abseits stellt.
derStandard.at: Sie haben die Grundsätze der SPÖ angesprochen – wie viel Ideologie gibt es denn noch in der SPÖ?
Peschek: Man muss selbstkritisch sein und sagen, dass es in der Vergangenheit Irrwege gegeben hat, die ich für problematisch gehalten habe. Umso wichtiger ist es, sich verstärkt mit der Frage auseinanderzusetzen, wohin geht die Sozialdemokratie? Wie schauen für uns die Visionen für die Gesellschaft im 21. Jahrhundert aus? Ich bin der Auffassung, es gibt schon sehr konkrete Antworten, die man vielleicht noch intensiver thematisieren muss. Aber die Schlussfolgerung aus der Wirtschaftskrise, aus dem neoliberalen Weg, bedeutet, dass der sozialdemokratische Weg Bedeutung hat und richtig ist.
derStandard.at: Ist die SPÖ links genug?
Perschek: Links ist eine Frage der Definition. Wenn wir sagen, wir definieren Links als Chancengerechtigkeit, Demokratie und Fortschritt, dann würde ich sagen ja. Es gab Verirrungen in der Vergangenheit, aber umso wichtiger ist es daher mit klaren Ansagen offensiv unsere Positionen zu vertreten. Das ist sicher noch ausbaufähig. Nobody is perfect.
derStandard.at: Wird da in der SPÖ genug diskutiert?
Peschek: Der Prozess 2020 ist mit Sicherheit eine gute Möglichkeit mitzudiskutieren, sich einzubringen und Argumente stärker in die Partei zu tragen.
derStandard.at: Die Bundesgeschäftsführung ist eine sehr eingeschworene Truppe. Wie offen sind die Türen für junge Abgeordnete wie Sie, sich am Diskussionsprozess zu beteiligen?
Peschek: Bisher habe ich es immer erlebt, wenn ich Kritik oder meine Meinung geäußert habe, dass man das freundschaftlich diskutiert hat. Das heißt nicht, dass man in allem hundertprozentig übereinstimmt. Aber das ist das Wesen der Demokratie.
derStandard.at: Wer sind die linken Vordenker in der SPÖ?
Peschek: In der Geschichte der Sozialdemokratie hat es einige gegeben: Otto Bauer, Josef Hindels, Alfred Dallinger oder international der deutsche Intellektuelle Oskar Negt. Aber auch wenn man die Bücher von Michael Häupl liest, sieht man sehr viele innovative Konzepte und interessante Ansätze. Auch in unseren Sektionen ist viel Potenzial vorhanden.
Es gibt die Sehnsucht nach mehr Gerechtigkeit, nach einer Änderung. Wir brauchen mehr Verteilungsgerechtigkeit und Wirtschaftsdemokratie, die Chance auf Selbstverwirklichung, faire Arbeitsbedingungen und faire Gehälter. Das sind Debatten, die wir viel öfter führen müssen.
derStandard.at: Neben Ihrer Tätigkeit im Wiener Gemeinderat sind Sie Gewerkschafter. Die Gewerkschaften sind dieser Tage unter Beschuss – zum Beispiel seitens des Kärntner Landeshauptmannes, der sie abschaffen will.
Peschek: Unfassbar. Das ist ein Zeichen dafür, dass die freiheitliche Partei überhaupt kein Interesse an positiver Veränderung hat, sondern ganz im Gegenteil wieder einmal demokratiefeindliche Tendenzen zeigt. Die Auflösung der Gewerkschaften zu fordern, bedeutet an Grundfesten der Demokratie zu rütteln und zeigt auch welch Geistes Kind sie sind. (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 3.8.2011)