Salzburg - Noch weniger als ein Star gebärdet sich beim Auftrittsritual höchstens Grigory Sokolov, der am Flügel die Haltung eines bärbeißigen Revisors annimmt. Wie eine Elfe in Eile kommt dagegen Mitsuko Uchida daher, im türkis schillernden Ensemble. Die drei letzten Klaviersonaten des "späten" - also 31-jährigen - Franz Schubert stehen auf dem Programm des Solistenkonzerts im Haus für Mozart.

Mitsuko Uchida wird mitreißen und bewegen. Sie wird verzaubern mit überirdisch klar gespielten Melodien, die aus dem Elysium herüberwehen. Sie wird erschüttern mit wilden Akkorden und bizarren Läufen, mit denen ein Gejagter seinem Schicksal entrinnen will. Doch Uchida verführt nicht zum Abheben. Sie führt vielmehr zum immer noch genaueren Zuhören. Sie hält ihr Publikum keineswegs auf Distanz. Wohl aber scheint sie ihre Fans zu zwingen, die Ergebnisse ihrer Sezierarbeit aus immer neuen Blickwinkeln distanziert zu betrachten.

Warum also erinnern die tiefen Triller im Kopfsatz der Klaviersonate B-Dur D 960 an das Grollen des Schicksals? Weil nur die wenigsten Pianisten diese tiefen Triller so präzise spielen, dass jeder einzelne Ton zum Steinchen in der Lawine wird, die gleich über das Individuum hereinbricht. Warum klingt der immer gleiche, leise hohe Ton im Andante wie ein Gruß aus einer besseren Welt? Weil Uchida nicht nur über unendlich viele Lautstärkestufen zwischen piano und pianissimo verfügt, sondern weil sie jedem dieser Töne auch noch einzigartiges Chroma zu geben weiß.

Der zweite Satz, das Andantino, in der Klaviersonate A-Dur D 959 kommt daher wie das Abendidyll eines der Schubert'schen Einsamen am Herd, im abgeklärten Gespräch mit einem Heimchen, den dann doch Einsamkeit zerreißt. Wild und mitreißend sind "ihre" Tanzsätze.

Klar artikuliert und strahlend ist jeder einzelne Ton im noch so wahnsinnigen Lauf. Technikstudie und Seelendrama zugleich waren Uchidas Interpretationen dieser Schlüsselwerke. (Heidemarie Klabacher / DER STANDARD, Printausgabe, 4.8.2011)