Die Gesundheitsreform - sie betrifft mich und macht mich gleichzeitig betroffen. Seit Jahren wird diskutiert, Reformen werden vorgeschlagen und wieder verworfen, Interessen von einer unüberschaubaren Anzahl von Gruppen (Länder, Ärztekammer, Ministerien etc.) verteidigt. Verändern tut sich wenig.

Als jemand, der als Arzt von den Ökonomen und als studierter Betriebswirt von anderen Ärzten belächelt wird, habe ich beide Seiten kennen gelernt und die Absurdität des "Systems Krankenhaus" damit auf eine besondere Art und Weise zu verstehen versucht. Ich glaube, dass hier, auf der mikroökonomischen Ebene eines Krankenhauses, der Schlüssel zu einer gelungenen Gesundheitsreform liegt.

Von betriebswirtschaftlicher Seite ist ein Krankenhaus, wie es Prof. Andrea Braun von Reinersdorff in ihrem Buch nobel ausdrückt, "methodisch unterentwickelt". Unter anderem ist das Management nicht mehr zeitgemäß. Das Prinzip der kollegialen Führung (also die gemeinsame und gleichberechtigte Führung eines Krankenhauses von einer ärztlichen, einer pflegerischen und einer wirtschaftlichen Leitung) ist zwar im philosophischen Sinn interessant, aber in Theorie und Praxis zum Scheitern verurteilt.

Würden wir denn in einem Unternehmen eine derartig dreigeteilte, an spezifischen Berufsinteressen gespaltene Führung, ohne letztverantwortlichen Vorstandsvorsitzenden akzeptieren? Wäre es in einer Firma denkbar, dass eine Juristin und ihre Sekretärin verschiedene Vorgesetzte hätten (so wie es bei Arzt und Krankenschwester der Fall ist)? Eine Managementpersönlichkeit mit Letztverantwortung muss implementiert und dieser ein marktübliches Gehalt bezahlt werden. If you pay peanuts you get monkeys...

Damit komme ich zu meiner 1. Hypothese:

Die Gesundheitsreform muss eine Organisationsreform der Krankenhäuser beinhalten

Spielen wir den Gedanken weiter: Würden Sie, liebe Leserin und Leser, als Unternehmer, junge, gutbezahlte und hochqualifizierte Mitarbeiter für einfache Tätigkeiten einsetzen? Genau dies geschieht täglich in unseren Krankenhäusern: Gut ausgebildete Krankenschwestern müssen Betten beziehen, Bettpfannen leeren und Essen austeilen. Junge Ärzte wiederum Medikamente herrichten und verabreichen, Zettel ausfüllen, Telefonate erledigen. Dies zieht sich hin bis zu Oberärzten und Primarärzten. Dass dies nicht ökonomisch effizient sein kann, sagt mir mein Hausverstand, um eine bekannte Werbung zu zitieren.

Also lautet meine 2. Hypothese:

Die Gesundheitsreform muss eine Reform der Tätigkeitsprofile und Ausbildung ALLER Berufsgruppen umfassen

Die Fortschritte der Medizin und deren zunehmende mediale Präsenz (häufig im Eigeninteresse medizinischer Koryphäen) haben zu dem Eindruck geführt, die moderne Medizin könne jeden retten, jeden heilen. Im Umkehrschluss muss jeder, der nicht geheilt wurde, einer falschen Behandlung unterzogen worden sein. Die Konsequenz ist eine zunehmende Inanspruchnahme des juristischen Apparats durch den vermeintlich geschädigten Patienten und eine zunehmende Absicherungsmedizin seitens des ärztlichen Berufsstandes. Dies führt zwangsläufig zur Kostenexplosion.

Daher hierzu meine 3. und letzte Hypothese:

Nur eine juristisch-legistische Reform wird zu einer Kostenreduktion im Gesundheitssystem führen

In meinem jugendlichen Leichtsinn habe ich doch den Glauben an eine sinnvolle Reform des Gesundheitswesens nicht verloren. Sie lächeln? Ich auch. (Leser-Kommentar, Andrija Javor, derStandard.at, 5.8.2011)