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Leitl in Richtung SPÖ: "Die Nein-Sager tragen die Verantwortung, wenn das österreichische Hochschulsystem vor die Hunde geht."

Foto: Ronald Zak/dapd

"Wenn es brennt, ruft jeder nach der Feuerwehr." Für Christoph Leitl, Präsident der Wirtschaftskammer, ist es alles andere als überraschend, dass sich immer mehr deutsche Studierende an Österreichs Unis anmelden. Er ist der Meinung, man hätte längst was dagegen unternehmen können: "Durch Zugangsvoraussetzungen, wie sie auch in anderen Ländern selbstverständlich sind." Warum er auch Studiengebühren für sinnvoll hält und warum schlechte Lehrer ausgesiebt werden soll, sagt er im Interview mit derStandard.at.

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derStandard.at: An der Uni Salzburg gibt es erstmals mehr deutsche als österreichische Bewerber. Man hat lange Zeit gewusst, dass es so kommen wird, schließlich gibt es heuer zwei Abiturjahrgänge in Deutschland, noch dazu die Aussetzung der Wehrpflicht. Wie kann Österreich reagieren?

Leitl: Wir haben das Ganze kommen gesehen. Jetzt, wo die Anmeldungen da sind, wachen wir auf. Das ist wieder einmal typisch für unser Land. Jeder sieht die Probleme, keiner tut etwas. Man hängt Forderungen nach dem unbeschränkten Zugang nach und übersieht Hilferufe, die von den Universitäten ausgehen. Keiner rührt das Ohrwaschl. Wenn es aber brennt, ruft jeder nach der Feuerwehr. Aber so kann es nicht gehen. Wir sind eingebunden in europäische Verpflichtungen, hätten im Vorfeld vieles anders machen können, um beim Zugang wirklich auf beste Qualität zu schauen. Jetzt werden die Unis zu Massenuniversitäten, sinken in internationalen Standards ab, fliegen aus allen Top-Rankings raus.

derStandard.at: Muss Österreich die Suppe auslöffeln, dass es in Deutschland zu wenige Studienplätze gibt?

Leitl: Wir sind selber schuld. Wenn die Deutschen Zugangsregelungen haben und wir Österreicher nicht, ist es kein Wunder, dass man dann gerne nach Österreich ausweicht. Umso mehr, weil Salzburg und andere Städte in Österreich auch eine interessante Lebensqualität bieten.

derStandard.at: Wie könnte man das Problem, dass immer mehr deutsche Studenten an Österreichs Unis strömen, auf europäischer und bilateraler Ebene lösen?

Leitl: Durch Zugangsvoraussetzungen, wie sie auch in anderen Ländern selbstverständlich sind und die die Qualität der Ausbildung fördern.

derStandard.at: Sie fordern Aufnahmeprüfungen für alle Studienrichtungen?

Leitl: Zum Beispiel, ja. Und dass es auch Studiengebühren gibt. Was nichts kostet ist nichts wert.

derStandard.at: In der Schweiz geht man jetzt den Schritt, dass man Ausländerquoten einführt. Die Universität St. Gallen zum Beispiel will künftig maximal 25 Prozent ausländischer Studierender aufnehmen. Wäre das eine Möglichkeit für Österreich?

Leitl: Nein. Die Schweiz ist nicht EU-Mitglied. Innerhalb der EU gibt es einen nichtdiskriminierenden Zugang zu den Bildungseinrichtungen. Das ist auch prinzipiell in Ordnung. Man würde an Symptomen kurieren statt die Ursachen bekämpfen. Wir können von der Schweiz viel lernen. Sie haben beschränkte Studienplatzanzahlen, die an die besten Bewerber vergeben werden. So etwas schwebt mir auch für Österreich vor. Aber dazu sind gewisse Steuerungsmechanismen notwendig.

Einfach zu sagen, "kommt", und wenn wir überlaufen sind und drohen abzusaufen, dann laut um Hilfe zu schreien, kann wohl nicht die Lösung sein. Es ist ein klassisches Beispiel, wie durch ideologische Hemmnisse die praktischen Auswirkungen negativ zurückschlagen. Und es ist kein Zufall, dass sich gerade die Landeshauptfrau von Salzburg in einer sehr pragmatischen und realitätsbetonten Weise gegen die ideologischen Kämpfe in ihrer eigenen Partei stellt, die letzten Endes einem Absinken der Qualitätsstandards der österreichischen Universitäten den Grundstein legen.

derStandard.at: SPÖ-intern bekam Burgstaller allerdings eine Abfuhr.

Leitl: Das ist ja typisch. Diese ideologischen Reflexe zählen mehr als der vernünftige Zugang einer sozialdemokratisch orientierten Politikerin. Ich bin hier völlig auf der Seite von Burgstaller. Die Nein-Sager tragen die Verantwortung, wenn das österreichische Hochschulsystem vor die Hunde geht.

Bei den Fachhochschulen haben wir den richtigen Weg gewählt. Wir haben eine gezielte, konsequente Ausbildung. Bei den Universitäten haben wir eine Verschwendung von Ressourcen weil wir doppelt so viele Studienabbrecher haben und eine doppelt so lange durchschnittliche Studienzeit als beispielsweise in der Schweiz. Es ist einfach unfassbar und man muss sich auf den Kopf greifen, dass hier ein paar wenige ideologische Dogmatiker eine vernünftige Lösung im Sinne Österreichs verhindern.

derStandard.at: Sie kritisieren die SPÖ. Aber auch von der ÖVP kommt wenig Druck, wenige Ideen.

Leitl: Soweit ich weiß hat die ÖVP einen klaren Standpunkt, der aber von Seiten der SPÖ blockiert wird.

derStandard.at: Von Michael Spindelegger gab es zum Beispiel den Vorschlag, man soll für jene Studienrichtungen mehr zahlen, die gefragter sind. Ist das nicht ungerecht?

Leitl: Nein. Jeder soll studieren was er will. Aber wenn ein Land etwas braucht - und wir brauchen Techniker und Naturwissenschafter - sollte man einen Anreiz setzen und der Anreiz könnten geringere Studiengebühren sein.

derStandard.at: Aber es sind die im Nachteil, die technisch nicht begabt sind.

Leitl: Da könnte man auch argumentieren, dass auch diejenigen benachteiligt sind, die überhaupt nicht für eine höhere Ausbildung begabt sind.

derStandard.at: Verhandelt wird derzeit ja auch das neue LehrerInnendienstrecht. Geht es nach Ihnen soll es "Belohnungen und Bestrafungen" geben: Die besten fünf Prozent aller Lehrer sollen außerordentliche Belohnungen bekommen, die schlechtesten fünf aus dem System herausgeholt werden. Was wird die Lehrergewerkschaft dazu sagen?

Leitl: Die Gewerkschaft wäre gut beraten, sich für die 90 Prozent der guten und die fünf Prozent der exzellenten einzusetzen und nicht als Schutzmacht für diejenigen, die offensichtlich den Beruf verfehlt haben, zu agieren. Das hilft auch den Betroffenen nicht, denn wenn jemand in einem Beruf überfordert ist, kann er auch für sich persönlich keine Freude entwickeln.

derStandard.at: Wie kann man das überprüfen, wer gut, wer schlecht ist?

Leitl: Durch entsprechende Standards und Über- und Unterschreitung der Standards. Da gibt es Instrumente.

derStandard.at: Die Lehrergewerkschaft gilt als zäher Verhandlungspartner. Gabi Burgstaller fordert deshalb, die Lehrergewerkschaft solle man bei den Verhandlungen um Bildungsreformen "ruhig eine Zeit lang ignorieren". Kann man das machen?

Leitl: Nein. Als Sozialpartner bin ich immer gegen das Ignorieren. Aber ich halte auch fest, dass Sozialpartner auch konstruktiv miteinander umgehen könnten. Eine Partnerschaft wo einer blockieren könnte - und das unterstelle ich jetzt nicht - würde ja der Partnerschaft insgesamt und auch dem Land schaden. Ich glaube, dass es durchaus vernünftige Leute gibt, die auch bereit sind was zu machen. Aber man muss zuerst Ziele vorgeben, wie etwa das beste Bildungssystem Europas, dann würden sie mitziehen. Darauf könnte dann auch ein modernes Dienst- und Besoldungsrecht aufgebaut werden.

derStandard.at: Michael Spindelegger ist mehr als hundert Tage im Amt. Wie macht er sich als ÖVP-Chef?

Leitl: Er hat Beruhigung in die Partei und Bewegung in die Regierung hineingebracht. Ich hoffe, dass das, was sich beide Koalitionsparteien vorgenommen haben, nämlich den Stillstand zu überwinden, in den kommenden Monaten gelingt. (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 5.8.2011)