Bild nicht mehr verfügbar.

Der nächste "SlutWalk" zieht in Berlin am 13. August seine Bahnen. Dieses Foto zeigt DemonstrantInnen des mittlerweile schon legendären ersten "SlutWalks" am 3. April 2011 in Toronto.

Foto: Reuters/MARK BLINCH

Der "SlutWalk" marschiert bereits durch die ganze Welt. "Bei der SlutWalk Bewegung geht es nicht darum, endlich mal halbnackt durch die Stadt laufen zu dürfen. Es geht darum, Menschen nicht die Schuld an sexuellen Übergriffen zu geben – selbst wenn sie halbnackt durch die Stadt laufen", so beschreibt die Seite Mädchenmannschaft das Anliegen der "SlutWalks". Ein solcher soll auch am 13. August in Berlin stattfinden. Eine der Organisatorinnen* sprach mit Beate Hausbichler über die Kritik an den "SlutWalks" und warum sich die Medien nun plötzlich doch für feministischen Aktivismus interessieren.

                                     ******

dieStandard.at: Wie entwickelte sich die Idee, einen "SlutWalk" in Berlin zu machen?

Eine von uns hat, nachdem sie von den "SlutWalks" in anderen Ländern gehört hatte, die Facebook-Seite "SlutWalk Berlin" gemacht und aufgerufen mitzumachen. Es ging erst mal darum, die Seite zwei drei Wochen ins Netz zu stellen und zu schauen, was daraus wird. Bei einem ersten Treffen war sofort Teamgeist da und gleich klar, dass wir uns auf einen gemeinsamen Nenner einigen können.

dieStandard.at: Über die "SlutWalks" gab es bereits eine rege Berichterstattung, auch von Medien, die feministischen Aktivismus ansonsten nicht unbedingt verfolgen. Warum bekommt diese neue Protestbewegung so viel Aufmerksamkeit?

Ich denke, dass so viele Frauen und Männer daran teilnehmen wollen liegt daran, dass sie einfach froh sind, dass das Thema endlich angesprochen wird. Sexuelle Gewalt ist so alltäglich und trifft auf eine gewissen Art und Weise fast jede. Es ist ein Befreiungsschlag, dass es nun einen Begriff und einen gemeinsamen Nenner gibt, mit dem wir auf die Straße gehen können. Die mediale Aufmerksamkeit ist aber auch deswegen groß, weil viele leicht bekleidet sind – wobei es ganz wichtig ist zu betonen, dass das nur ein Teil der Marschierenden ist, die das so verstehen. Es gibt genauso viele, die in Alltagskleidung mitdemonstrieren. Die Medien greifen aber vor allem die Bilder von den leicht bekleideten Teilnehmerinnen auf, das finden wir etwas rschade. Da gibt es schon das Problem der medialen Repräsentation, es werden etwa auch vor allem junge Frauen fotografiert. Es sind aber alle eingeladen mitzulaufen: Frauen, Männer, Menschen aller Gender. Der "SlutWalk" richtet sich auch ausdrücklich gegen Queer-Phobie.

Es wäre schade, wenn als einzige Message übrigbliebe: Ah, die Feministinnen ziehen sich heute schon nackig aus. Das wäre eine Banalisierung. Irgendwie ist auch klar, dass nicht gerade die, die in Jeans und T-Shirt rumlaufen, fotografiert werden, sondern die im BH und in High Heels. In London wurde zum Beispiel  ausdrücklich gesagt, dass die TeilnehmerInnen auch in normaler Alltagskleidung kommen sollen.

dieStandard.at: Diese Art des Aktivismus setzt ja sehr stark auf Symbolik. Einerseits auf das Wort "Slut" und andererseits eben auf die Kleidungsstücke. Geht es nur um die Umdeutung eines Begriffes ins Positive oder schafft es diese Art des Aktivismus weiter in dem Sinn, dass auch der riesige Themenkomplex weibliche Sexualität oder Sexualmoral in Angriff genommen werden? Mit welchen Dimensionen haben wir es hier zu tun?

Das ist eine gute Frage. Eines vorweg: Wenn die Verwendung von "Slut" erst mal  Verwirrung stiftet, dann ist das schon mal gut. Ich würde das auch als einen popfeministischen Protest sehen, bei dem es auch viel um Symbolik geht. Auf dieser Ebene finde ich die Intention gut, dass wir das Wort "Slut" neu benutzen wollen und dass wir mit unseren eigenen Körpern darstellen, wie eine sogenannte "Schlampe" aussieht und ironisieren das dadurch. Auch im Kontext der Frauenbewegung finde ich es gut, dieses Thema auch mal popfeministisch zu bearbeiten.

Dennoch geht es aber über die Symbolik insofern hinaus, dass sich Leute innerhalb dieses Aktivismus ganz dezidiert äußern, etwa zu Vergewaltigungsmythen, Hintergründe usw. Ich würde also schon sagen, dass dieser Aktivismus über eine reine Symbolik hinausgeht.

dieStandard.at: Es hat ja bereits rege Diskussionen über die "SlutWalks" gegeben. Bei einer Debatte zwischen einer der Initiatorinnen des "SlutWalks" in Toronto und der Autorin und Aktivistin Gail Dines meinte letztere, man würde mit diesem Aktivismus einer pornofizierten Sichtweite der Geschlechterverhältnisse in die Hände spielen.

Wir stehen diesem sexualisierten Auftreten auch ambivalent gegenüber. Irgendwie greift man schon auf dieses Bild zurück, andererseits finde ich es gut, einfach mal mit dieser Verwirrung zu spielen. Und wenn es mit so etwas auch funktioniert zu mobilisieren, dann ist das halt so. Und: Wenn so eine Protestform auch noch gegen dieses in Deutschland doch sehr starke Bild der hässlichen, körperfeindlichen und humorlosen Feministin arbeitet, dann ist das doch gut - auch wenn es traurig ist, dass wir dagegen noch immer kämpfen müssen. Die Aufmerksamkeit wird so auf wichtige und ernste Themen gelenkt. Diese Protestform funktioniert also schon auch wie ein Lockvogel.

dieStandard.at: Also ist Provokation ein wichtiger Aspekt?

Schon. Ich sehe die "SlutWalks" auch in der Tradition der Riot Grrls. Sie haben auch einen Rock'n'roll-Moment, denn es muss nicht immer eine Schwäche sein, sich auszuziehen. Iggy Pop kann ja auch ständig halbnackt rumlaufen.

dieStandard.at: KritikerInnen äußern sich besorgt über den Einfluss auf Mädchen und junge Frauen durch die Übernahme männlich geprägter Begriffe und eine sexuelle Objektivierung. "SlutWalks" hätten somit den Effekt, dass es für Mädchen noch härter wird, das schwierige Terrain der Adoleszenz zu bewältigen.

Der "SlutWalk" ist für alle Altersgruppen da, das ist wichtig zu betonen. Alle Frauen sind schön, dürfen sich zeigen und können rebellisch sein – egal wie alt sie sind. Wir haben aber schon auch Mädchengruppen angeschrieben, und gefragt, ob sie teilnehmen wollen. Ich glaube, das Problem für Mädchen ist nicht der "SlutWalk", sondern dass es auf Schulhöfen für junge Frauen, die nicht einem Bravheitsklischee entsprechen, schwer ist. Diese Kritik ist also völlig falsch. Das Problem ist, dass sie sich zu dem Begriff "Schlampe" verhalten müssen, der ja nicht nur von Jungs gegenüber Mädchen fällt, sondern auch unter Mädchen. Beim "SlutWalk" geht es aber eben auch um Solidarität unter Mädchen und Frauen.

dieStandard.at: Mit den "SlutWalks" wird zu wenig Bezug auf die vorangehenden feministischen Bewegungen genommen, das ist auch eine Kritik. Bemühungen um sprachliche Neubesetzungen hätte es schon gegeben, sie wären aber weitgehend ohne Erfolg geblieben.   

Ich finde es schon wichtig, sich die Dinge genau anzuschauen. Aber es ist auch wichtig, diesen einen Moment zu sehen, in dem plötzlich eine Bewegung möglich ist, die bisher aus irgendwelchen Gründen nicht möglich war. Die "SlutWalks" sprechen eine breitere Bevölkerungsschicht an.  Wenn man diesen Moment, in dem mal was funktioniert, nicht sieht und nur darauf verweist, das wurde vergessen und jenes wurde übersehen – das ist einfach nicht konstruktiv. Die zwei Frauen, die in Toronto die Initiative ergriffen haben, haben einfach gesagt, es kotzt uns an und wir halten diese Sprüche, von wegen die Frauen wären irgendwie auch selber schuld, nicht mehr aus. Wir machen jetzt einfach was!

Während sich so eine Protestbewegung formuliert und entsteht, das ist ja bei allen politischen Bewegungen so, wird meist vieles auseinander gezupft. Dennoch muss man letztendlich handlungsfähig bleiben. Natürlich kann man versuchen, Kritik einzubauen. Aber das alles komplett zu zerreden bringt nichts. Jede/jeder soll und kann sich einbringen, aber es gibt keine Vorschriften, außer: Zeigt was ihr zeigen möchtet und tut das laut!

dieStandard.at: Aber was die Partizipation betrifft: Können sich die stolze Aneignung des Wortes "Slut" wirklich alle leisten? Jemand aus einem queer-feministischen Umfeld riskiert beim öffentlichen Mitmarschieren bei einem "SlutWalk“  wenig im Vergleich zu einer Frau, die dadurch  z.B. bei ihrer Arbeitsstelle oder mit ihrer Familie Probleme bekommen könnte.

Genau deshalb machen wir das ja. Wenn jemand wegen Vergewaltigung angezeigt wird, dann wird sein Anwalt sofort versuchen, die Frau zu diskreditieren, damit der Täter eine geringere Haftstrafe bekommt.

Mit den "SlutWalks" soll endlich klargemacht werden, dass ein Frau, die Opfer eines sexuellen Verbrechens wurde, keine Schuld trägt: Nicht wegen ihrer Kleidung und nicht wegen ihrem Verhalten. Das ist ja der Witz daran: Obwohl wir in BHs rumlaufen, haben wir dennoch keine Mitschuld! Es geht letztendlich nicht darum, dass man sich selbst als Schlampe bezeichnet, sondern dass man sich solidarisch mit den als Schlampen bezeichneten erklärt. (Die Fragen stellte Beate Hausbichler, dieStandard.at, 11. August 2011)