Der österreichische Choreograf Chris Haring lotst sein Impulstanz-Publikum in einen Wohlfühlgarten, in dem es dennoch ungemütlich werden könnte: "Wellness - The Perfect Garden".

Foto: David Payr

Magdalena Chowaniec und Amanda Piña reduzieren den Fleischanteil im "Neuen Wiener Bioaktionismus" .

Wien - Der Garten Eden hat im Burggarten-Palmenhaus bei Impulstanz einen irdischen Widerpart gefunden: das neue Stück Wellness - The Perfect Garden von Chris Haring und seiner Gruppe Liquid Loft. Und auch der Wiener Aktionismus erhält einen weichen Wiedergänger mit dem Neuen Wiener Bioaktionismus von Magdalena Chowaniec und Amanda Piña. Warum spült Österreichs Tanz jetzt so weich?: Weiße, zu Schaum gestockte Wolken, betörende Nymphen und adonisgleiche Jünglinge. Sanftes Gluckern im Palmenpalast. Ein Paradies mit absolutem Wohlfühlfaktor. Rundumservice. Endlich etwas Nettes für Groß und Klein.

Doch unter der Oberfläche dieser Wellness-Uraufführung juckt es. Haring trifft mit seinem makabren Wohlfühlmonster mitten ins Herz unserer Gegenwart. Es stellt eine Welt dar, in der es keine Widersprüche und keine Kritik mehr gibt, in der alles Unebene, jede Herausforderung und alles Denken gelöscht sind. Das macht erfahrbar, wie weich und kuschelig eine Diktatur sein kann, in der Genuss zur Norm geworden ist, wie flauschig sich ihre Inszenierung anfühlt und wie sanft darin verbliebene Worthülsen ertrinken.

Das Grinsen der Tänzer ist zwar steif, sie streicheln einander in sattem Schmatzen allzu mechanisch, aalen und produzieren sich in neurotischen Posen, patzen mit rosa Schleim herum und müssen sich dann kratzen, als ob sie allergisch wären. Aber am Ende ist es doch irgendwie gut, und weil es doch nicht ganz so gut war, reden sich's die Paradiesvögel schön.

So tückisch versteckt muss Gesellschaftskritik heute sein. Vor dem Hintergrund eines politischen Pragmatismus, in dem unter allerlei Deckmäntelchen das Schrecklichste wieder gesellschaftsfähig gemacht wird, stellt Haring die dazugehörende Ausredenkultur gnadenlos an einen giftigen Kuschelpranger.

Dazu passt wie verabredet eine andere österreichische Tanzproduktion, die unter anderem auf Tendenzen zur Weichzeichnung der Wirklichkeit in der Kunst hinspitzt. Die Wiener Choreografinnen Magdalena Chowaniec und Amanda Piña sowie der bildende Künstler Daniel Zimmermann haben sich einen Neuen Wiener Bioaktionismus ausgedacht und dabei vor allem den Fleischanteil im Werk von Hermann Nitsch durch allerlei Obst und Gemüse ersetzt.

Dabei bleibt auch der orgiastische Anteil, der dem alten Wiener Aktionismus innewohnte, auf der Strecke. Offenbar, weil nun, siehe Haring, die wüste Orgie bereits zum Establishment gehört, und weil dieses alles, was sich ihm nicht anpasst, lautlos erstickt.

In BH und Höschen matschen sich Piña und Chowaniec durch Fruchtfleisch, Obstsaft, Saucen, Gewürze und Süppchen, Mehl, Honig und Schoko. Sie beflecken und panieren sich. Sie patzen Tanz und Bild zusammen, bis daraus ein großartig gespenstischer Hinweis wird: sowohl auf säuerliche Pseudomoral als auch auf hemmungsbefreites Niedertrampeln von ethischen Werten.

Bei Wellness (bis 7.8.) genauso wie beim Bioaktionismus wird das Publikum zur Lektüre zwischen den Zeilen angehalten. Wer das nicht möchte, sieht immer noch zwei gelungene, ironische Stücke. (Helmut Ploebst, DER STANDARD - Printausgabe, 6./7. August 2011)