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Deutliche Kritik an Nepotismus und Gängelung der Justiz in Bulgarien: Meglena Kuneva tritt als parteiunabhängige Kandidatin für das Amt des Staatschefs in Bulgarien an.

Foto: AP/Popov

Die Regierung mische sich in die Justiz ein, sagt sie in Sofia zu Markus Bernath.

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STANDARD: Bulgarien ist eher ein Macho-Land. Sie sind die erste Frau, die sich um das Präsidentenamt bewirbt. Ist das ein Problem?

Kuneva: Ich habe nicht diesen Eindruck. Nirgendwo war das bei einer Versammlung bisher ein Thema. Und ich hatte 80 bis jetzt. Bulgarien ist weiblich, das sieht man schon am Namen (weibliche Endung im Bulgarischen, ebenso wie Sofia, Anm.). Aber ich werde sicher dafür kämpfen, dass mehr Frauen in Managementpositionen kommen, in der Privatwirtschaft wie in der öffentlichen Verwaltung. Es geht auch um mehr Transparenz, um mehr Leute aus den NGOs. Dieses Kapital wird in Bulgarien nicht genutzt.

STANDARD: Die Zivilgesellschaft nimmt hier nur sehr langsam Form an. Das vorherrschende Gefühl in der Bevölkerung ist Misstrauen, nicht der Wille zur Partizipation an der Demokratie. Woran liegt das?

Kuneva: Sie sagen Misstrauen, und das ist ein Begriff, der unsere Gesellschaft leider besser beschreibt als alles andere. Misstrauen ist in Bulgarien eine Massenvernichtungswaffe. In Wirtschaft und Politik dreht sich heute aber alles um Vertrauen. Nehmen wir das Beispiel der Besetzung von Ämtern. Der Präsident hat hier Quoten. Es ist absolut notwendig, dass die Zivilgesellschaft bei diesen Ämtervergaben gehört wird. Dass diese Ernennungen Kriterien haben und nicht einfach nach dem Willen des Präsidenten geschehen. Wir haben keine starken NGOs hier, weil niemand ihnen zuhört. Deshalb habe ich mich entschieden, der Kandidat der Bürgergesellschaft zu sein. Ein solcher Präsident könnte das Gleichgewicht in der Gesellschaft wiederherstellen.

STANDARD: Was ist so schief gelaufen in Bulgarien im Vergleich zu anderen Staaten in Osteuropa?

Kuneva: All diese Länder sind durch schwierige Zeiten gegangen. Unsere dauern länger. Wir haben auch unsere Erfolge - der Beitritt zur EU und zur Nato waren wichtig. Wir stehen endlich auf der richtigen Seite der Geschichte. Wir hatten auch eine Zeit mit guter wirtschaftlicher Entwicklung und einem Höhepunkt an Auslandsinvestitionen. Aber wir haben die Justizreform nie so geschafft, wie es die Bürger wollten. Und wir haben keine stabile Gesellschaft. Es gibt immer einen Kampf zwischen Interessengruppen. Die Leute sehen eine politische Entscheidung, die nicht in ihrem Interesse ist, und erst nach einigen Monaten oder Jahren verstehen sie, wer gewonnen hat, welche Partei dabei mitgemischt hat. Das ist ungesund für die Gesellschaft.

Mehr und mehr Bulgaren verlassen deshalb das Land. Nicht nur weil sie komfortabler leben, sondern weil sie eine sichere Zukunft haben wollen. Deshalb sind die Ernennungen für öffentliche Ämter so wichtig. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die Regierung hat eine junge Frau ernannt - es war eine Parteientscheidung -, die Millionen von Euro für den Landwirtschaftsfonds zu verwalten hatte. Es stellte sich heraus, dass sie ein gefälschtes Diplom hatte und eine Schwindlerin war. Wenn Sie ein junger Bulgare sind, ehrgeizig, mit ausgezeichneten Zeugnissen und nachweislich hohen Fähigkeiten, und Sie sehen, dass eine solche Person ein so hohes Amt bekommen kann: Warum würden Sie noch hierbleiben?

STANDARD: Der Premier hat gesagt, auch er fühle sich von Ilena Kaliewa betrogen.

Kuneva: Schön, aber wo war die öffentliche Anhörung für eine solche Ernennung? Was waren die Regeln? Am selben Tag, an dem die EU-Kommission ihren jüngsten Fortschrittsbericht über die Justizreform in Bulgarien vorlegte - einen sehr kritischen Bericht -, hat das Parlament in Sofia einfach den Vorschlag für zwei neue Richter im hohen Richterrat angenommen. Zwei Kandidaten, die der Öffentlichkeit aufgezwungen wurden. Dasselbe gilt für die neue Richterin am Stadtgericht in Sofia. Alle Zeitungen hier schreiben über diese Freundschaft ...

STANDARD: ... zwischen Frau Janewa und der Familie des Innenministers. Sind Sie nicht enttäuscht, wenn Sie als ehemalige Chefunterhändlerin für den EU-Beitritt diese Berichte aus Brüssel lesen?

Kuneva: Ich bin schrecklich enttäuscht. Wir sind ziemlich stetig vorangekommen bis zu einem gewissen Punkt, und dann ging es rasch rückwärts wegen der Einmischungen der Regierungspartei in die Justiz. Die Telefonanrufe bei den Beamten müssen aufhören. Lasst die Leute ihre Arbeit machen. Wie soll man Vertrauen haben? Wenn wir in der Gesellschaft nicht übereinkommen, wie wir übereinkommen können, dann werden wir keinen Erfolg haben. (DER STANDARD, Printausgabe, 6.8.2011)