"Wenn sich die Mitarbeiter zum Mittel reduziert sehen, reduzieren sie ihrerseits die Arbeit zum Mittel der Einkommenserzielung und sehen sich letztlich nur noch sich selbst verpflichtet." Präziser, als es der inzwischen emeritierte Ordinarius für Organisation, Führung und Personal am Wirtschaftswissenschaftliche Zentrum der Universität Basel, Professor Werner R. Müller, einmal tat, lässt sich das Kernproblem der inneren Entfremdung vom Betrieb in seinen Konsequenzen kaum in wenige Worte fassen.

Der Gedanke dahinter war für Müller: In der gängigen Umstrukturierungs-, Turnaround-, Fusions-, Verkaufs- und Weiterverkaufs, Verschlankungs- und Flexibilisierungspraxis werden die Mitarbeiter auf ihre wirtschaftliche Funktionalität reduziert. Sie erfahren sich als Objekte ohne Selbstwert. Das führt zu zwei unguten Erfahrungen: 1.) Die Mitarbeiter erleben kein konsistentes, also beständiges, widerspruchsfreies Handeln seitens des Unternehmens. 2.) Sie erfahren keine Wertschätzung als Person. "Beide Elemente sind aber Voraussetzung für eine leistungsfördernde berufliche Vertrauensbeziehung."

Buch mit mehreren Auflagen

Exakt seit dem 18. Jänner 1982 ist diese Problematik nun in der Diskussion. An diesem Tag erschien in dem zu seiner Zeit viel beachteten, vor Jahren eingestellten FAZ-Wirtschaftsblatt Blick durch die Wirtschaft der Beitrag "Die innere Kündigung - ein schlimmes Problem". Verfasser: der 2000 verstorbene Gründer und Leiter der Bad Harzburger Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft, Staatsrechtler Professor Reinhard Höhn. Das Echo darauf war derart groß, dass Höhn der Sache weiter auf den Grund ging und 1983 ein ganzes Buch dazu vorlegte, das rasch mehrere Auflagen erlebte: Die innere Kündigung im Unternehmen.

Was hatte der zu seiner Zeit als Managementlehrer gefragte, allerdings stets mit seiner politischen Vergangenheit kämpfende "Erfinder" des Harzburger Modells der Führung im Mitarbeiterverhältnis mit Delegation von Verantwortung erkannt? Dass innerbetrieblich augenscheinlich zwei Ereignisse aufeinandertreffen und sich zu einem dritten vermengen können: 1.) Die Mitarbeiter sind vorzugsweise mit ihren immateriellen Arbeitsbedingungen unzufrieden und entsprechend enttäuscht. 2.) Sie haben aber aus unterschiedlichen Gründen keine für sie akzeptable Alternative zu ihrer derzeitigen Arbeitsstelle. 3.) Sie distanzieren sich innerlich von ihrem Betrieb, wahren nach außen den Anschein normalen Mitarbeitens, zahlen dem Betrieb ihre Enttäuschung aber mit ausgeprägter getarnter Leistungsverweigerung heim.

Ohne Engagement

Innere Kündigung ist mithin ein Synonym für reine Pflichterfüllung, für Mitarbeit ohne Engagement und Eigeninitiative. Also ohne das, was Höhn in seinem 1966 erstmals erschienenen Führungsbrevier der Wirtschaft als eine der wesentlichen Mitarbeiterpflichten beschrieb: "Der Mitarbeiter ist verpflichtet, seinen Delegationsbereich zu intensivieren, d. h. ständig darüber nachzudenken, wie das, was heute besteht, morgen verbessert werden kann, damit optimale Ergebnisse erzielt werden. Er muss sich also in seinem eigenen Delegationsbereich unternehmerisch verhalten und darf ihn nicht lediglich verwalten."

Das, was in dieser "Mitarbeiterpflicht" gefordert wird, das wird nun im Fall der inneren Kündigung nur im Rahmen des zum Selbstschutz Notwendigen demonstriert. Statt Eigeninitiative zu zeigen und sich einzusetzen, wird versucht, es dem Vorgesetzten recht zu machen, Engagement im Umfang des für die Erhaltung des Arbeitsplatzes Unumgänglichen vorzugaukeln. Verhaltensweisen, die für Betriebspsychologen so etwas wie eine Ultima Ratio darstellen, ein aus tiefster Enttäuschung und Empörung, innerer Auflehnung und tatsächlicher oder vermeintlicher Alternativlosigkeit geborenes letztes, äußerstes Mittel zum emotionalen Selbstschutz.

Aus dieser Sichtweise wird die innere Kündigung auch als larvierter, versteckter Hilferuf von Menschen gewertet, die sich in die Rolle von Betriebsstatisten geflüchtet haben, weil sie vorher über einen längeren Zeitraum wie Betriebsstatisten behandelt wurden oder sich so behandelt gefühlt haben. So gesehen ist die innere Kündigung Ausdruck einer massiven und anhaltenden Störung des Selbstwertempfindens von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie sehen ihr soziales Selbst nicht mehr geachtet, ihren Stellenwert in der betrieblichen Gemeinschaft.

Unschwer ist Müllers Diagnose des Ursprungs der Erosion des Leistungswillens erkennbar: Wenn sich die Mitarbeiter zum Mittel reduziert sehen, reduzieren sie ihrerseits ihre Arbeit zum Mittel der Einkommenserzielung und sehen sich letztlich nur noch sich selber verpflichtet.

Aus den Forschungen zum Thema Selbstwert ist bekannt: Ein zentraler Faktor unter anderem für die psychische Gesundheit wie für die Motivation ist, sich selbst als wertvoll und wichtig zu erleben. Hierzu gehört auch, in den Augen von anderen Respekt zu genießen und soziale Anerkennung zu bekommen. Und: Wird dieses soziale Selbst bedroht, reagiert der Körper genauso mit Stress, wie wenn das physische Selbst bedroht wird. Womit auch im Seitenblick auf die offenbar ansteigenden Krankschreibungen infolge psychischer Störungen zumindest ein Erklärungsfenster geöffnet ist.

Stärkung durch Respekt

Und die Worte des sozial engagierten Göttinger Hirnforschers Professor Gerald Hüther noch mehr Gewicht bekommen: "Damit das psychische System den Anforderungen der heutigen Arbeitswelt standhalten, die Seele sozusagen gesund bleiben kann, muss es wie das Stoffwechselsystem mit entsprechender Nahrung versorgt und auf diese Weise immer wieder gestärkt werden. Fehlt diese Stärkung durch Respekt und Anerkennung, durch das ganz bewusste Empfinden der Zugehörigkeit zu einer Betriebsgemeinschaft, ist der arbeitende Mensch in emotionaler Hinsicht unterernährt."

Und diese emotionale Unterernährung ist allem Anschein nach das Grundgefühl, das die Arbeitswelt über das Phänomen der inneren Kündigung ans Tageslicht bringt. Ein Zufallsgriff ins Zettelarchiv: Finnische Studien beispielsweise haben nachgewiesen, dass eine erhöhte Zufriedenheit mit der Führungskompetenz des Chefs die Arbeitsfähigkeit von Mitarbeitern um den Faktor 3,6 verbessert hat im Vergleich zu denen, die mit ihrem Chef unzufrieden waren!

"Das WAS bedenke, mehr bedenke WIE": "Wie die Belegschaftsmitglieder im unmittelbaren Führungsgeschehen angesprochen, wie sie informiert werden und von Veränderungen in Kenntnis gesetzt werden, wie sie mit ihren Anliegen, Meinungen, Vorschlägen und auch Wünschen Gehör finden, wie sie mit ihrem je spezifischen Wissen und Können nicht nur leistend, sondern insbesondere auch beratend in das betriebliche Geschehen einbezogen werden", all das, sagt Zusammenarbeitsspezialist Thomas Weegen, Coverdale Unternehmensberatung, München, "ist für das Selbstwertempfinden und das Gefühl, am Arbeitsplatz mehr zu sein als nur ein beliebig austausch- oder abbaubarer Kostenfaktor von entscheidender Bedeutung."

Die innere Kündigung ist das Resultat eines langwierigen Prozesses vieler einzelner kleiner Nichtbeachtungs-, Zurücksetzungs- und/oder Zurückweisungserlebnisse. Dann geht es nicht mehr - bei dem einen früher, dem anderen später. Das Empfinden massiver Enttäuschung gewinnt Oberhand. Die Seele beginnt zu rebellieren. Der psychische Leidensdruck wird übermächtig. Um daran nicht irre zu werden und schließlich zu zerbrechen, klinken sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter innerlich einfach aus, fliehen dem Betrieb gegenüber in die innere Unverbindlichkeit. Das ist ihr Ausdruck einer tiefen Verletzung ihres Selbstwertgefühls und gleichzeitig Selbstschutz als Reaktion auf die unterentwickelte Respektierung ihres Eigenwertes.

Gift für das Vertrauen

2005 veröffentlichte Christine Scheitler ihre Dissertation Soziale Kompetenzen als strategischer Erfolgsfaktor für Führungskräfte. Ein Zitat daraus: "Die für die Zukunft ausschlaggebenden Erfolgsfaktoren für Unternehmer wie Führungskräfte liegen im konstruktiven Umgang mit Menschen und - auf dieser Basis - in der Fähigkeit, Veränderungen zu bewirken und zu gestalten. Um hier dauerhaft erfolgreich sein zu können, sind ausgezeichnete soziale und personale Kompetenzen unverzichtbar." Die Führung auf dieser Basis, fand Scheitler heraus, "stellt einen Schlüsselfaktor dar, um den persönlichen Erfolg einer Führungskraft wie den Unternehmenserfolg in einer sich permanent verändernden Wirtschaft zu gewährleisten. Maßgebend dafür ist vor allem die Tatsache, dass wertorientierte Führung Menschen nicht nur über den Verstand anspricht, sondern vor allem auch über die für die Motivation und die seelische Gesundheit so wichtige Gefühlsebene." Eben über ihr Selbstwertgefühl!

"Für die Mitarbeiter ist der Betrieb ein Beziehungsgeflecht, in dem sie sich verankert sehen", gibt Müller zu bedenken, und entsprechend verletzlich empfänden sie sich. Seine Schlussfolgerung: "Diese Verletzlichkeit in Verbindung mit der inzwischen allenthalben herrschenden Unsicherheit ist Gift für das Vertrauen in das Unternehmen und dessen Management."

Im Blick auf das Phänomen "innere Kündigung" gilt mithin nach wie vor, was der Autor vor Jahren in dem Tagungsband Innere Kündigung - Ursachen und Lösungsansätze schrieb: "Das Gespenst der inneren Kündigung kann ganz einfach deshalb sein Unwesen in den Unternehmen treiben, weil den zwischenmenschlichen Beziehungen noch immer viel zu wenig Beachtung geschenkt wird." (Hartmut Volk, DER STANDARD, Printausgabe, 6./7.8.2011)