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"Yes, we can - can we?": Dass in einer kapitalistischen Marktwirtschaft überhaupt etwas weitergeht, verdanken wir Frohnaturen ...

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"In den vergangenen Monaten und Jahren", beklagte unlängst eine gute Freundin etwas verwirrt, "werde ich andauernd mit den Emotionen der Finanzmärkte belästigt". Ob "die Märkte" eher optimistisch gestimmt sind oder eher depressiv, ob sie voll des Vertrauens sind, oder skeptisch und übelgelaunt, das entscheidet über Bankbilanzen und Staatsbankrotte. Nachsatz meiner Bekannten: "Aber was interessieren mich die Gefühle von Märkten?"

Dabei haben wir das doch mit unserer rationalistischen Muttermilch aufgesaugt: Fakten entscheiden, nicht Gefühle. Fakten sind unbestreitbar, Gefühle unberechenbar und trügerisch. Aber jetzt lernen wir plötzlich: Fakten übersetzen sich in Gefühle - manchmal auf eigentümliche Weise -, vor allem aber beeinflussen die Gefühle die Fakten. Wenn wir nur lange genug pessimistisch sind, dann geht es uns am Ende wirklich schlecht.

Gefühle wie Optimismus und Pessimismus würden wir spontan als personale Charaktereigenschaften ansehen, als Gemütsstimmungen oder gar langfristige Einfärbungen des Charakters. Der eine ist eher eine optimistische Frohnatur, der andere ein ewig unglücklicher Pessimist. Aber diese Gefühle haben gewissermaßen auch ihre öffentliche Seite. Ganze Gesellschaften können eher optimistisch oder eher pessimistisch sein, das Gedeihen ganzer Volkswirtschaften hängt vom "Wirtschaftsklima" ab, also davon, wie zuversichtlich die Bürger in die Zukunft blicken.

Dass uns einzelne Firmen mit Emotionen an die Angel kriegen wollen, daran sind wir in einem Maße gewöhnt, dass es uns nicht einmal mehr auffällt. Die gesamte Marketing- und Branding-Branche lebt davon, Waren mit Gefühlen aufzuladen. Sie versprechen: Wer dieses und dieses Ding kauft, kriegt das Glücksgefühl dazu.

Das Auf und Ab von Konjunktur

Aber auch das Auf und Ab von Konjunktur und Krise ist selbst nicht unwesentlich von Gefühlen bestimmt, wie wir seit John Maynard Keynes wissen. Wenn die Wirtschaft brummt und die Menschen annehmen, dass es stets weiter bergauf geht, dann wächst die Zuversicht, das Vertrauen. Die Bürger kaufen ein, die Investoren investieren, worauf die Wirtschaft noch mehr brummt. Der Aufschwung ist ein von Gefühlen getriebener Aufschwung. Im Abschwung ist es genau umgekehrt. Die Krise gebiert Krisengefühl, was die Krise wieder verschärft. "Hat der Verfall einmal eingesetzt, ist er nur sehr schwer zu stoppen", konstatierte Keynes, weshalb er auch im Radio den Aufruf absetzte: "Darum, ihr patriotischen Hausfrauen, brecht gleich morgen früh auf und geht zu den wundervollen Ausverkäufen, die überall angezeigt sind."

Man kann noch weiter gehen: Dass in einer kapitalistischen Marktwirtschaft überhaupt etwas produziert wird, verdanken wir Frohnaturen von überbordendem Optimismus, das war jedenfalls die Ansicht des großen Ökonomen Joseph Schumpeter, der gleichzeitig die allerschönsten Hymnen auf die "Unternehmermentalität" gesungen hat. Der Unternehmer, so Schumpeter, ist ein "Neuerer". "Zuversichtlich außerhalb der vertrauten Fahrrinne zu navigieren und Widerstand zu überwinden verlangt Fähigkeiten, die nur in einem kleinen Teil der Bevölkerung vorhanden sind", schreibt er in seinem späten, populären Werk Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. Die Unternehmerpersönlichkeit, so kann man das salopp zusammenfassen, ist also auch eine optimistische Närrin, die überall Chancen wittert, wo andere nur Widrigkeiten sehen.

Gefühle von Märkten?

Nicht immer hat Optimismus bloß positive Wirkungen - im Gegenteil. Im Aufschwung "bekommen auch ökonomische Theorien Rückenwind, die übertriebenen Optimismus legitimieren", sagt der amerikanische Spitzenökonom Robert Shiller. Zugleich kann ein Übermaß an Optimismus die Wirtschaft auch an die Wand fahren, wie die jüngste Wirtschaftskrise zeigte: Wenn alle glauben, dass es ewig bergauf geht, dass es eine Kleinigkeit ist, den heutigen Wohlstand morgen verdoppelt zu haben, dann kaufen die Leute auf Pump ein, sie schauen bei Verträgen nicht auf das Kleingedruckte. Dann wachsen sogar die Korruption und die Betrügerei: Man sieht, wie viele ohne Anstrengung reich geworden sind, und es ist ja nichts dabei, ein bisschen zu tricksen. In den Firmen gewinnen die Abenteurer die Oberhand über die Zahlenhengste und Erbsenzähler. "In der Hochkonjunktur steigen die Korruption und Betrügerei an, es kommt zu unsauberen Geschäften, die aber erst im Nachhinein ans Licht kommen", erklärt Yale-Professor Shiller: "Später, wenn alles zusammengebrochen ist, wird der Betrug entdeckt und steht dem Wiederaufschwung im Wege, weil die Leute kein Vertrauen mehr haben. Sie wollen mit ihrem Rechtsanwalt sprechen und das Kleingedruckte lesen, bevor sie unterschreiben. Das unterbindet die Wirtschaftsentwicklung."

"Wie das positive Denken die Wirtschaft zerstörte", hat deshalb die amerikanische Autorin Barbara Ehrenreich ein Kapitel ihres jüngsten Buches Smile or Die überschrieben, das als Ganzes dem "Massenwahn" des positiven Denkens gewidmet ist.

Wenngleich sich die Bedeutung des Optimismus in der Wirtschaft schwer messen und auch nicht in mathematische Modelle pressen lässt, so ist sie heutzutage doch relativ gut erforscht. Die Bedeutung des Optimismus in der Politik ist hingegen vergleichsweise unterbelichtet. Dabei weiß jeder, und sei es nur instinktiv, wie wichtig er ist. Große gesellschaftliche Reformen gelangen in der Geschichte meist eher in Epochen, die auch grundsätzlich von optimistischem Geist durchdrungen waren. Es waren auch selten die depressiven Miesepeter, die die Welt verbessert haben. Es waren immer Optimisten, die gesagt haben: "Yes, we can." Und wir haben ja unlängst gesehen, dass das heute noch ansteckend sein kann.

Ära von Aufbruchsstimmung

Wenn eine ganze Ära von Aufbruchstimmung geprägt ist und wenn dann noch Politiker hinzukommen, die Schwung haben und Optimismus verkörpern, dann werden ganze Gesellschaften angesteckt vom Gefühl, dass vieles möglich ist. Und umgekehrt, wenn Gesellschaften in Lethargie verfallen, wenn sich kaum jemand vorstellen mag, dass etwas besser, und viele sich einig sind, dass doch immer alles schlechter würde, wenn dann auch Politiker nur verwalten und selbst verzagt sind, dringt der Pessimismus in alle Poren der Gesellschaft. Es macht sich eine eigentümliche Art von Konservativismus breit, der kein ideologischer ist, aber ein Konservativismus der Angst und der Verzagtheit, einer der "sich vor dem Kommenden fürchtet", wie das Gustav Seibt formuliert, der Feuilletonist der Süddeutschen Zeitung.

Es lässt sich kaum bestreiten, dass sich eine Übellaunigkeit dieser Art heute breitgemacht hat. Manche Beobachter, wie etwa Brigitte Seebacher-Brandt, die Witwe des früheren SPD-Vorsitzenden Willy Brandt, sind der Meinung, dass das nicht zuletzt mit der demografischen Entwicklung zusammenhängt: dass alternde Gesellschaften automatisch eher weniger zum Optimismus, dafür mehr zum Pessimismus neigen. Junge Leute haben das Leben noch vor sich und meinen daher meist, dass die- ses Leben für sie Aufregendes und Spannendes bereithält. Ältere Menschen haben eher weniger Sturm-und-Drang-Gefühle. Wenn ganze Gesellschaften überaltern, beeinflusst das dann ihren Gefühlshaushalt ins Dunkelgraue? Aber womöglich ist das selbst solch eine zappendustere Geschichte, die sich selbst erfüllt, wenn man sie nur lange genug erzählt: dass Optimismus und Zuversicht leider nicht mehr zu haben sind in Gesellschaften mit "Altenbergen", wie das gelegentlich frivol heißt.

Wenn heute viele Menschen meinen, dass Parteien wie etwa jene der Sozialdemokraten "ihren Schwung verloren haben", dann ist da wohl durchaus auch gemeint, dass sie diesen eigentümlichen Optimismus verloren haben, der früher progressive Bewegungen jeder Schattierung charakterisierte. Als Weltverbesserer braucht man, formulierte einst der unorthodoxe italienische Kommunist Antonio Gramsci, "Pessimismus des Verstandes und Optimismus des Willens". Soll heißen: Ohne Optimismus kann man nichts in Bewegung bringen, aber blind darf der Optimist auch nicht sein, setzt er die rosarote Brille auf, dann sieht er die Welt nicht, wie sie ist. Kurzum, er muss schielen: Optimist sein, weil er Energie braucht, und ein bisschen Pessimist, um nicht unrealistisch zu werden. Von Walter Benjamin, diesem eigenwilligen Autor, stammt das ebenso eigentümliche Diktum: "Nur der Einverstandene hat Chancen, die Welt zu ändern". Damit war gewiss nicht gemeint, dass nur jener, der ohnehin alles prima findet in der Welt, in der Lage ist, Änderungen zu bewirken - das wäre absurd, denn weshalb sollte ein solcherart Zufriedener etwas ändern wollen? Der Einverstandene, das ist für Benjamin jemand mit positivem Weltbezug, einer, der das Großartige und die Chancen sieht, selbst wenn er Kritikwürdiges kritisiert. Dieser Einverstandene ist ein Optimist und, auch wenn er kritisiert, eben kein bloßer Nörgler, sondern ein zupackender Änderer.

Übrigens, "der Nörgler" und "der Optimist", das sind die beiden großen Antipoden, die Karl Kraus in Die letzten Tage der Menschheit auftreten lässt. Optimismus und Pessimismus sind ansteckend, und die Ansteckung hat Folgen. "Ich habe einen Traum", sagte einst Martin Luther King. Hätte er "Alles ist ein Albtraum" gesagt, wäre aus der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung nichts geworden. (Robert Misik, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6./7.8.2011)