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"Ich bemerke, dass so manche ÖVP Politiker Lebenseinstellungen proklamieren, die sie nicht einmal selbst leben", Gabriele Binder-Maier.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

"Die Vernachlässigung der Kinder hängt nicht immer vom Einkommen und Bildungsstand der Eltern ab, sie geht quer durch alle Schichten", sagt Gabriele Binder-Maier, Familiensprecherin der SPÖ. Über die familienpolitischen Vorstellungen der Sozialdemokraten spricht sie im derStandard.at-Interview und lässt etwa mit einer Art "Mietvertrag für Partnerschaften" und der verpflichtenden Elternbildung für Väter und Mütter im Rahmen der Mutter-Kind-Pass-Untersuchung aufhorchen. Die Gespräche mit der ÖVP seien in dieser Frage "relativ weit fortgeschritten".

 

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derStandard.at: Die ÖVP macht sich viele Gedanken darüber, wie man die Geburtenrate wieder ankurbeln könnte. Das scheint für die SPÖ kein prioritäres Thema zu sein?

Binder-Maier: Wenn Menschen einen Kinderwunsch haben, sollte das natürlich möglich sein und gefördert werden. Wir stehen dafür, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Menschen mit Kindern gut leben können. Nur die Reproduktion im engeren Sinn zu fördern ist nicht mein vorrangiges Ziel.

derStandard.at: Es stellt sich die Frage, wie das staatliche Gefüge weiter aufrecht zu halten ist, wenn die Geburtenrate sinkt. Macht sich die SPÖ darüber keine Gedanken?

Binder-Maier: Natürlich macht sich die SPÖ darüber Gedanken. Aber dass Menschen nur aus diesem Grund Kinder bekommen, erscheint mir doch merkwürdig und zu kurz gegriffen. Das würde bedeuten, dass man Kinder nur bekommt, um das allgemeine Wohl der Gesellschaft aufrecht zu halten. Das widerspricht meiner Vorstellung von einem Leben mit Kindern.

derStandard.at: Die ÖVP hat die Familienpolitik zu Chefsache erklärt und erneuert zu diesem Thema auch gerade ihr Programm. Ist dieses Thema bei der SPÖ unterrepräsentiert?

Binder-Maier: Auch der SPÖ ist die Familienpolitik wichtig und zwar schon seit den 70er Jahren. Mit der Frauenministerin haben wir eine sehr engagierte Ministerin wenn es darum geht, dass wir die Existenz von Menschen, die mit Kindern leben, leichter machen und lebenswert gestalten. Kinder werden in Österreich oft als störend empfunden. Auch dahingehend wollen wir in der öffentlichen Bewusstseinsbildung weiter arbeiten. Es ist mir zum Beispiel auch ein großes Anliegen, Elternkompetenzen zu stärken. 

derStandard.at: Haben die Eltern früher besser gewusst, wie Kinder zu erziehen sind?

Binder-Maier: Die Welt und die Gesellschaft hat früher anders ausgeschaut als heute. Das Zusammenleben war anders organisiert, vieles hat sich verändert. Seit den 90er Jahren gibt es eine Beschleunigung des Lebens und der Gesellschaft. Ich beobachte manchmal eine große Verunsicherung unter Eltern. Wir sollten ihnen einen Rucksack voll Ideen für und über das Zusammenleben mit Kindern packen und mit auf den Weg geben. Mich macht außerdem sehr betroffen, dass zwar Wohlstand gegeben ist und trotzdem viele Kinder vernachlässigt werden. Sie bekommen zum Essen, zum Trinken und haben ein Bett zum Schlafen. Aber das war es auch schon. Sie werden weder intellektuell, noch emotional, noch sozial gefördert.

derStandard.at: Hängt diese Vernachlässigung stark vom ökonomischen Hintergrund ab?

Binder-Maier: Die Vernachlässigung der Kinder hängt nicht immer vom Einkommen und Bildungstand der Eltern ab, sie geht quer durch alle Schichten. Das berichten mir Sozialarbeiter und Kinderanwälte.

derStandard.at: Der ökonomische Druck steigt auf alle Gesellschaftsschichten. Auf weniger - und auf gut Ausgebildete. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem Druck, dem die Eltern ausgesetzt sind und ihrem Umgang mit Kindern?

Binder-Maier: Das mag sein. Deshalb ist es für uns als SozialdemokratInnen wichtig mit qualitativ hochwertigen Kindergärten oder der Ganztagsschule die Eltern zu entlasten. Gleichzeitig bemerke ihn meinen Umfeld immer mehr junge Menschen, die entschleunigen. Es ist für sie nicht notwendig, das Größte, Schönste und Beste zu haben und zu besitzen.

derStandard.at: Aber wenn wir darüber reden, dass der Druck auf die Menschen gestiegen ist, stellt sich natürlich auch die Frage ob die Politik und somit auch die Sozialdemokratie verabsäumt hat, dem entgegenzuwirken?

Binder-Maier: Natürlich haben wir in vielen Bereichen gute Ideen und Vorschläge. Etwa in der Frage, wie der Faktor Arbeit entlastet werden kann, wie Verteilungsgerechtigkeit ausschaun kann. Dies ist aber auch eine Frage der Umsetzungsmöglichkeit. Wenn man in der politischen Entscheidung Kompromisse finden muss, ist manches nicht immer so einfach durchzusetzen.

derStandard.at: Zurück zur Familienpolitik. Die SPÖ stellt schon seit längerem fest, dass das rechtliche Korsett in dem wir leben, nicht mehr zeitgemäß ist. Stichwort Ehe light. Warum gelingt es der SPÖ nicht, sich in dieser Frage stärker gegen den Koalitionspartner durchzusetzten?

Binder-Maier: Die ÖVP ist sehr stark geprägt von der katholischen Kirche. Ich bemerke, dass so manche ÖVP Politiker Lebenseinstellungen proklamieren, die sie nicht einmal selbst leben. Man muss manchmal auch die eigene Situation betrachten und ein bisschen ehrlicher im Umgang mit der Darstellung des eigenen Leben sein. Wie lange haben wir darüber diskutiert, dass Kinderbetreuung nicht unbedingt zu Hause durch die Mutter, stattfinden muss. Eine Bewusstseinsänderung ist ein langer Weg.

derStandard.at: In Österreich nimmt der Wunsch der Männer Kinder zu bekommen signifikant ab. Woran könnte das liegen?

Binder-Maier: Männer müssen, wenn sie Väter werden auch ihren Beitrag zur Pflege und Betreuung ihres Kindes leisten, das erwartet sich die Mehrzahl der Frauen. Vielleicht ist das für manche Männer ein Hemmnis und auch nicht vorstellbar.  Viele junge Frauen sagen sehr klar, wenn wir gemeinsam Kinder haben, müssen wir uns auch gemeinsam darum kümmern.

derStandard.at: Der Familienforscher Wolfgang Mazal hat gesagt, ein Grund dafür könnte sein, dass das Scheidungsfolgenrecht für Männer in Bezug auf die eigenen Kinder nachteilig ist.

Binder-Maier: Interessant ist, dass Mann nach einer Scheidung sich sehr wohl auf seine Rechte besinnt. In der aufrechten Beziehung werden diese Rechte, die auch Pflichten sein können, jedoch nicht wahrgenommen, weil es bequemer ist, wenn sich Frau um das Kind kümmert. Manche Beziehungen werden sehr unbedarft eingegangen ohne zu überlegen, wie das Zusammenleben gestaltet werden kann und soll. Ein Vertrag, der Grundsätzliches des Zusammenlebens regelt, wäre meiner Meinung nach überlegenswert und zu diskutieren. Bei Auflösung einer Partnerschaft wäre manches dadurch nicht so schwierig und problematisch.

derStandard.at: Also es soll ein Partnerschaftsvertrag abgeschlossen werden, der rechtsgültig ist? Wie ein Mietvertrag?

Binder-Maier: Das wäre eine Möglichkeit. Es würde vielleicht das eine oder andere Problem lösen.

derStandard.at: Jetzt sind gerade Parlamentsferien. Welche drei Themen wollen Sie im Herbst in Angriff nehmen?

Binder-Maier: Es soll bei den Auslandsadoptionen klare Regelungen geben. Das Thema Elternkompetenzen steht auf meiner Agenda. Nach meiner Vorstellung sollte es in jeder Gemeinde eine gut ausgebildete und qualifizierte Ansprechperson für Eltern wie auch für ältere Menschen geben. Verpflichtende Elternbildungsmodule im Rahmen des Mutter-Kind-Passes für Väter und Mütter wäre ein Lösungsvorschlag. In diesem Punkt sind die Gespräche mit der ÖVP relativ weit fortgeschritten. Die offene Frage ist nur, wie die Finanzierung gestaltetet wird. Außerdem wird das Familienrecht ein großes Thema werden. Dabei ist mir wichtig, dass Frauen nicht wieder benachteiligt und beeinträchtigt werden, das Besuchsrecht zum Beispiel aber praktikabler und verbindlicher geregelt wird.

derStandard.at: Welche Sanktionen soll es geben, wenn die Eltern diese Fortbildung nicht machen?

Binder-Maier: Dass es zu Kürzungen beim Kinderbetreuungsgeld kommt, so wie sie vorgenommen wird, wenn nicht alle Mutter-Kind-Pass Untersuchungen nachgewiesen werden, wäre eine Möglichkeit. Die Frage der Sanktionen kann ich derzeit noch nicht eindeutig beantworten. Auch müssen wir noch mit Experten darüber diskutieren, ob eine Verpflichtung tatsächlich den gewünschten Erfolg bringen würde.  (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 8. August 2011)