Es gibt Zeitgenossen, die halten die Straw-Poll für reine Zeitverschwendung. Schauplatz ist Ames, eine kleine Universitätsstadt in Iowa, wo sich am Samstag rund 25.000 Schaulustige einfinden. Jeder zahlt 30 Dollar, um Rippchen und Hamburgern reichlich zuzusprechen, auf grüner Wiese patriotischer Country-Musik zu lauschen und seine Kinder oder Enkel von Clowns mit rot-weiß-blau bemalten Gesichtern unterhalten zu lassen. Gekrönt wird der Jahrmarkt in der Prärie durch die Reden konservativer Präsidentschaftsanwärter, wobei man wissen muss, dass in der Regel sie es sind, die ihren Anhängern den Eintritt bezahlen. Wofür Letztere sich revanchieren, indem sie "ihrem" Kandidaten in aller Regel die Stimme geben.
Ames, sagen Spötter, ist allenfalls ein Beleg dafür, wie gut die Bewerber bei Kasse sind. 2007 war es Mitt Romney, der steinreiche Ex-Gouverneur von Massachusetts, der das Testvotum gewann, aber nur, um im Jahr darauf bei den Vorwahlen sang- und klanglos unterzugehen. John McCain, der Sieger der konservativen Primaries, hatte sich in Ames gar nicht erst blicken lassen. Und doch, der Polit-Kirtag bedeutet eine Zäsur: Erst mit ihm kommt das Rennen wirklich in Schwung, beginnt sich die Spreu vom Weizen zu trennen.
Michele Bachmann nimmt das Spektakel zum Anlass, um bis in den allerletzten Winkel des Präriestaats zu fahren. Die Galionsfigur der Tea Party hofft auf den großen Durchbruch. Im Juni, als die Republikaner erstmals ernsthaft im Fernsehen debattierten, ging die eloquente Bachmann als Überraschungssiegerin aus dem Studio. Jetzt will sie sich vorn etablieren und Anfang 2012 den Caucus (Vorwahl) in Iowa gewinnen. Die Kongressabgeordnete genießt dabei so etwas wie Heimvorteil. Ihre Kindheit verbrachte sie in Waterloo, Iowa, bevor ihre Familie gen Norden zog, nach Minnesota. Vor allem stützt sie sich auf evangelikale Christen, eine starke Kraft im Mittleren Westen. Ihr Handicap: Ehemann Marcus sorgte unfreiwillig für Furore, als bekanntwurde, dass er in seiner Beratungsstelle Therapien anbietet, bei denen schwule Klienten ihre Homosexualität "wegbeten" können.
Romney, der als Investmentbanker ein Vermögen anhäufte, bevor er in die Politik ging, hofft in der Rolle des kompetenten Managers Punkte zu sammeln. Kaum ein Tag, an dem er Präsident Barack Obama nicht die Schuld für die Wirtschaftsmisere in die Schuhe schiebt. "Wir sind im dritten Jahr seiner Präsidentschaft, und die Arbeitslosigkeit liegt bei neun Prozent. Wenn das kein Scheitern ist, dann weiß ich nicht, was Scheitern sein soll." Allerdings, die Pflicht zur Krankenversicherung, die Romney in Massachusetts durchsetzte, ähnelt bis hin zum Kleingedruckten der Gesundheitsreform, wie sie Obama landesweit unter Dach und Fach brachte. Zur Straw-Poll will Romney diesmal nicht antreten.
Jon Huntsman, wie Romney Mormone und Sohn eines Industriellen, verzichtet als Einziger darauf, sich bei den rechten Rebellen anzubiedern. Persönliche Attacken gegen Obama vermeidet er. Bis zum Frühjahr war Huntsman, der einst als mormonischer Missionar Chinesisch lernte, US-Botschafter in Peking. Im Spektrum der nach rechts gedrifteten Republikaner besetzt er die Mitte.
Bunter Kandidatenreigen
Für Tim Pawlenty, den Ex-Gouverneur Minnesotas, geht es schon um Alles oder Nichts. Zu brav, zu nett, zu langweilig - so klingt die Kritik. Wird er in Ames nicht wenigstens Zweiter, kann er seinen Hut wieder an den Nagel hängen.
Ron Paul, ein Libertärer, der Finanzämter für Unfug hält, bleibt chancenlos, auch wenn ihn eine treue Fangemeinde lautstark feiert. Und schließlich Herman Cain, der einzige Afroamerikaner im Kandidatenreigen, einst Chef einer Pizzakette namens Godfather's. Er muss sich vorwerfen lassen, bigotter Intoleranz Vorschub zu leisten. Für einen Muslim, hatte er kürzlich erklärt, wäre in seinem Kabinett kein Platz. (Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD, Printausgabe, 9.8.2011)