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Ein Arbeiter marschiert an einem bei den Ausschreitungen im Stadtteil Tottenham ausgebrannten Gebäude im Norden Londons vorbei.

Foto: APA/EPA/Oktem

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 In der Nacht auf Montag kam es zu 160 Festnahmen.

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Nach den schweren Ausschreitungen vom Wochenende gerät die Londoner Polizei unter Druck. Lokale Labour-Abgeordnete kritisierten die mangelnde Informationspolitik durch Scotland Yard und die unabhängige Untersuchungsbehörde IPCC, Ladenbesitzer klagten über den mangelnden Schutz ihrer Geschäfte.

Auf die Explosion der Gewalt mit Brandstiftungen und Plünderungen im Stadtteil Tottenham sei seine Behörde nicht ausreichend vorbereitet gewesen, räumte Abteilungsleiter Steve Kavanagh ein: "Wir hatten zu wenige Beamte vor Ort." Allerdings hätten soziale Medien wie Twitter zur blitzschnellen Ausbreitung beigetragen. Innenministerin Theresa May brach am Montag ihren Urlaub ab und kehrte zu Gesprächen mit der Polizeiführung nach London zurück.

Dem wenig überzeugenden Auftreten der Ordnungshüter in der Nacht zum Sonntag folgte in der Nacht zum Montag in den Nachbarvierteln Edmonton und Waltham Forest sowie im Südlondoner Bezirk Brixton ein deutlich beherzteres Eingreifen. Insgesamt wurden 160 Menschen festgenommen, mehr als 40 Beamte erlitten Verletzungen.

Vizepremier Nick Clegg verurteilte die "opportunistische Gewalt", Londons Vizebürgermeister Kit Malthouse machte organisierte Banden sowie "Gruppen verwilderter Jugendlicher, die neue Turnschuhe haben wollen", für die Krawalle verantwortlich. Knapp ein Jahr vor den Olympischen Spielen sei das "ekelhafte und schockierende Geschehen ziemlich übel für London".

Hingegen mahnte die Zeitung Independent, Scotland Yard müsse "das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen".

Tatsächlich steckt die weltberühmte Behörde in einer Vertrauenskrise. Im Zusammenhang mit der Abhöraffäre rund um den Murdoch-Medienkonzern mussten der Polizeipräsident und ein Abteilungsleiter zurücktreten, mehrfach wurden hohe Polizeiführer im Parlament kritisiert. Laut Polizeigewerkschaft sei die Moral der Beamten auf einem absoluten Tiefststand. Dass über die Erschießung eines 29-Jährigen in Tottenham Donnerstagabend bis Montag weder ein Obduktionsergebnis noch Details zum Hergang veröffentlicht wurden, führte online zu üblen Spekulationen.

Tottenhams Labour-Abgeordneter David Lammy verurteilte die Gewaltorgie, stellte jedoch eine Verbindung zu den Sozialkürzungen der konservativ-liberalen Regierung her. Die Einschnitte sind in sozial prekären Stadtteilen deutlich spürbar. Die örtliche Labour-Bezirksregierung kürzt unter dem Spardiktat 75 Prozent aus dem Budget für Junge, etwa bei Kindergärtenplätzen und Jugendclubs. "Diesem Viertel ging es ohnehin schon schlecht", sagt Lammy. "Jetzt wurde ihm auch noch das Herz herausgerissen."(Sebastian Borger aus London, DER STANDARD; Printausgabe, 9.8.2011)