Die Frage "Was darf man heute eigentlich noch sagen" wird im Gefolge des Massakers von Norwegen wieder öfter gestellt, und auch die Innenministerin beschäftigt sich in ihren Träumen, wie Terror zu bekämpfen sei, damit. Polizeiministern jedweden Geschlechts gegenüber ist immer Vorsicht geboten, aber über die Zweckmäßigkeit der von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen darf man heute sagen, was immer man will. Einiges, was dazu gesagt wird, befasst sich indes nicht mit der Zweck- oder Unzweckmäßigkeit ihrer Vorschläge im Hinblick auf eine mögliche Vermeidung künftiger Anschläge, sondern mit dem vorauseilenden Märtyrertum selbsternannter Herolde der Meinungsfreiheit, die Toleranz vor allem für ihre Meinung garantiert wissen wollen.

Ein erheiterndes Beispiel dafür lieferte Christian Ortner dieses Wochenende gleich zweifach, nämlich in der "Presse" und in der "Wiener Zeitung", dort fotogen mit Krawatte und dunkel gerahmter Brille als Beamter camoufliert. Wer ungute Aspekte des Islam öffentlich ungute Aspekte des Islam nennt, wird dafür in einen Sack mit Anders Breivik gesteckt, artikulierte er in der "Presse" seine Neurose. Vor dem Massaker hätte er sich vermutlich davor gefürchtet, mit Thilo Sarrazin in einen Sack gesteckt zu werden - es kommt nicht auf die Person an, sondern auf die Erweckung von Mitleid dafür, dass sein eingebildeter Mut noch immer nicht mit behördlicher Verfolgung gewürdigt wird.

Auf der Suche nach einem möglichst verabscheuungswürdigen Partner im Sack hätte er nicht nach Norwegen schauen müssen, ein Blick in das FPÖ-Blatt "Zur Zeit" hätte es auch getan. Da fände er sich in einem Sack mit Andreas Mölzer, der sich in Geiselhaft des Norwegers wähnt, weil gerade Terror gegen die Freiheit herrscht. All jene, die bewußt für die Erhaltung des christlichen Abendlandes eintreten und für die Erhaltung ihrer national-kulturellen Identität als Europäer, sie stehen nun im Verdacht, Gesinnungsgenossen des Herrn Breivik zu sein, quälen auch Mölzer Ortners Sorgen.

Sie haben ihn keinen Deut anders gequält, bevor Breivik in das Licht der Geschichte trat, aber es verursacht ein angenehmes Gruseln, viele der Auffassungen zu teilen, die jene Taten inspirierten, von denen man sich selbstverständlich distanziert. Leider muss man das etwas verklausuliert formulieren: Wer den Fehler begeht, sich angesichts dieser Geiselhaft offensiv in jene Richtung hin wehren zu wollen, die da lautet, alles das, was der Norweger in seiner Kompilation zum Besten gibt, sei nicht falsch, die Bezugnahme auf Winston Churchill, auf Thomas Jefferson, auf Otto von Bismark, wäre nicht grundsätzlich abzulehnen.

Kapiert, was Geiselhäftling Mölzer uns sagen will? Wenn man nicht offen reden kann, muss man es eben geschwollen tun. Im Ernstfall nimmt man halt jene Freiheit in Anspruch, von der Ortner in der "Wiener Zeitung" schützend behauptete: Freiheit ist immer auch Freiheit der Idioten. Dass sich jemand publizistisch zerreißt, Idioten Freiheit zu garantieren und sich deshalb auch gleich für einen Garanten des liberalen Rechtsstaates hält, kann auch hinnehmen, wer diese freiheitstrunkene Begeisterung für Idiotie schlechthin nicht zu teilen vermag. Die Frage ist nur, um sie konkret zu stellen: Was soll alles unter diesen klinischen Begriff gekehrt werden? Ist Breivik ein Idiot in Ortners Sinn, den man in seiner Freiheit nicht hätte beschränken sollen, hätte er es bis auf weiteres bei der Versendung seines 1500seitigen Kompendiums bewenden, ohne die darin begründete Tat folgen zu lassen?

Einem liberalen Rechtsstaat steht es grundsätzlich nicht zu, Meinungen strafbar zu machen, und seien sie noch so idiotisch, ungustiös oder erschreckend. Nur blöd, wenn solche Meinungen gelegentlich in grauenvolle Taten umgesetzt werden, und die Frage auftaucht, ob der liberale Rechtsstaat nicht auch die Aufgabe hat, seine Bürger vor Idioten zu schützen. Und nicht alles, was als Meinung gewertet sein will, ist anderes als die Leugnung von Fakten.

Die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Schutz ist schwierig zu ziehen. Wo laut Ortner sogar neue Gefahren drohen! Ist doch die Meinungsfreiheit derzeit nicht nur von außen, sondern auch von innen etwas in Bedrängnis geraten. Und das durch manche Journalisten und Medien, die versuchen, Meinungsgehege errichten, die das Territorium erwünschter und akzeptabler Kommentierung abstecken. Diesen Idioten sollte man die Meinungsfreiheit abstellen. Aber dalli! (Günter Traxler, DER STANDARD; Printausgabe, 9.8.2011)