So unterschiedliche wie gute Gründe für ein paar Tage extra in Bayerns Hauptstadt.
Im Stadtzentrum führt die Kunsthalle der Hypo in den Kosmos Runge. Obwohl der Maler Philipp Otto Runge neben Caspar David Friedrich als wichtiger früher Vertreter der Romantik gilt, waren seine Tätigkeit und sein Ruhm lange auf Norddeutschland und Dänemark beschränkt. Eine umfassende Retrospektive wurde in Hamburg zusammengestellt und fand nun den Weg nach Bayern.
Zu sehen ist, auf wie vielfältige Weise Runge sich seiner Vision angenähert hat, ein allumfassendes Werk zu schaffen. Es war eine Bewegung weg von antik(isierend)en Sujets hin zu zeitgenössischen Natur- und Menschenbildern, inneren und äußeren Landschaften, religiösen und literarischen Anspielungen. Als er in einem seiner Hauptwerke Die Zeiten behandelte, waren damit Jahres- wie Lebens- und kosmische Zeiten gemeint. Die Ausstellung führt vor, wie er zu solchen Werken zunächst "Prima Idea"-Skizzen und Konstruktionszeichnungen verfertigte. Die Mittensymmetrie und die floralen Arabesken, die sich fast wie Mandelbrot-Figuren verästeln, lassen erahnen, welche Anleihen der Jugendstil bei solchen ein Jahrhundert älteren Arbeiten nahm.
Runge hatte sich in unterschiedlichsten Techniken schulen lassen, vom Scherenschnitt noch zu Schulzeiten über Bleistift, Kreide, Tuschefeder und Pinsel bis zu Kombinationen dieser Mittel. Fast 300 Werke hat die Hypo-Stiftung versammelt, mehr als zwei Drittel Zeichnungen. Sie vermitteln den außergewöhnlichen Werdegang des 1810 mit nur 33 Jahren verstorbenen Künstlers.
Ausgraben und drüber reden
Vor dem Münchner Haus der Kunst muss man die Ausstellung Aschemünder erst suchen. Der Eingang ist hinten, auf der Seite des Englischen Gartens, und führt in den Luftschutzkeller, der bis heute in seinem 1933 geplanten Originalzustand erhalten ist – ein passendes Setting für eine Auswahl von Videos, die sich den Themen Verfolgung, Gefangenschaft, Eingeschlossensein widmen. Sie kommen aus der Medienkunstsammlung Goetz, ebenfalls in München, die als wichtigste ihrer Art in Europa gilt.
Der Titel bezieht sich auf die Arbeit des kolumbianischen Künstlers Juan Maria Echavarría. Er hatte Lieder seiner Landsleute über ihre verzweifelte Lage inmitten der gnadenlosen Banden- und Drogenkriege 2003 zur Dokumentation Bocas de ceniza montiert. Als "Ausgraben und darüber reden" definiert der Videokünstler seine Vorgangsweise, ähnlich haben es die meisten anderen gehalten, deren Arbeiten auf Monitoren in 14 Luftschutzräumen präsentiert werden.
Es sind bekannte Namen unter ihnen wie die Australierin Tracey Moffatt; ihr Night Cries – A Rural Tragedy (1989) behandelt die Hassliebe zwischen einer an den Rollstuhl gefesselten weißen Greisin und ihrer Stieftochter, einer Aborigine. Oder wie Harun Farocki, der in bewährter Weise die virtuelle Computer-Wirklichkeit dokumentiert, mit der Armee-Therapeuten traumatisierte US-Soldaten konfrontieren (Immersion, 2009).
Dieselben Videobilder, die auch zum Kampftraining dienen, lösen hier Identifizierung wie Distanz aus. William Kentridge fügt 60 Kreidezeichnungen einer Küste zu einer Abfolge zusammen, in der ein Ferienort zu einer Müllhalde für Kriegsfolgen wird (Tide Table, 2003). Stimmen und teils verwunderliche, teils schockierende Bilder aus Ruanda und Vietnam sind zu sehen, aus China und aus einem TV-Studio, in dem die Stimmung vor dem Fall der Berliner Mauer heraufbeschworen wird. Abseits vom Motto der Ausstellung und sie kommentierend lässt Sam Taylor-Wood im Zeitraffer ein Obst-Stillleben zu Schimmel zerfallen.
Identifikationsfiguren
Im Jüdischen Museum München geht es ebenfalls um Audiovisuelles, doch in einem ganz anderen Zusammenhang. Das war spitze! zeigt "Jüdisches in der deutschen Fernsehunterhaltung" von deren Anfängen bis zu Szenen bei Schimanski und Marionetten von Arminio Rothstein. Klammer, Hauptfigur und Titelgeber der Schau ist Hans Rosenthal, einer der populärsten Radio- und TV-Präsentatoren der 50er- bis 80er-Jahre, vor allem mit der Show Dalli Dalli. Sein Umgang mit seiner Herkunft und mit dem deutsch-jüdischen Verhältnis nimmt viel Raum ein, ebenso die Reaktionen des Publikums, etwa die Schmähbriefe auf Rosenthals kritischere Sendungen.
Monitore zeigen diese und weitere einschlägige Kost aus den Frühzeiten des TV-Entertainments. Abi & Esther Ofarim oder Dalia Lavi waren willkommene israelische Identifikationsfiguren für die deutschsprachigen Konsumenten. Nicht so leicht haben es ihnen die Überlegungen des Herrn Karl zum Herrn Tennenbaum gemacht, bekanntlich einer der Steine des Anstoßes, als die Qualtinger-Figur im österreichischen Fernsehen 1961 Premiere hatte. Qualtingers Sinnieren über den Herrn Tennenbaum ist ebenfalls in der Schau vertreten. (Michael Freund, DER STANDARD – Printausgabe, 10. August 2011)