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Charlotte Roche.

AP/David Hecker

Charlotte Roche: Schoßgebete, Piper Verlag, August 2011, EUR 17,50

Piper Verlag

Charlotte Roches erster Roman "Feuchtgebiete" (2008) löste einen aufdringlichen und dazu noch sehr lange andauernden Medienhype aus. Die nicht enden wollenden Anspielungen darauf, was die erst 18-jährige versaute Helen anstellt, sollte auch noch den/die letzte LeserIn hinter dem Ofen hervorlocken. Manche Geköderte ärgerten sich zu Recht über die gelungene Skandalisierung eines insgesamt doch recht langweiligen und repetitiven Buches, von dem die Highlights in Sachen Ekel oder sexuellem Einfallsreichtum ohnehin schon die Runde gemacht hatten, so dass der Buch-Kauf eigentlich überflüssig gewesen wäre. Dennoch: Acht Monate führte Roche mit "Feuchtgebiete" die Bestsellerlisten an.

Drei Jahre später legt Roche wieder die Erkundungen einer - diesmal nicht mehr ganz so jungen - Frau vor. Während "Feuchtgebiete"-Helen an den Flächen und Materialien kleben blieb, geht es bei Elizabeth, 33 Jahre, tiefer. 

Sie hat einen Mann, eine siebenjährige Tochter, die sie noch mit ihrem Ex-Freund bekommen hat, und da ist auch noch die geliebte Therapeutin, Agneta nennt sie die, weil Elizabeth sie irgendwie an die ABBA-Sängerin erinnert. "Schoßgebete" begleitet den/die LeserIn durch drei Alltage von Elizabeth, mit all ihren Gedanken, Tätigkeiten, Regeln und Lehren, die sie aus ihrem bisherigen Leben gezogen hat und aus denen sie so gut wie nur irgendwie möglich Konsequenzen ziehen will. Und das sind nicht wenige: Sie möchte ihrer Tochter gegenüber das Richtige tun, nicht wie ihre Mutter sein - die sie verkorkst hat, ebenso wie ihr Vater. Sie will ihrem Mann eine gute Ehefrau sein, keine jähzornige aufbrausende oder eifersüchtige. Eine, die sich beim Sex voll anstrengt und alles macht, was ihr die feministische Mutter auf der einen Schulter, Alice Schwarzer auf der anderen Schulter, dauernd als "Unterwürfigkeit" verkaufen wollten. In diesem Punkt verlässt sich Elizabeth mal lieber auf ihren Körper oder auf das populärwissenschaftliche Magazin "Geo Kompakt" - denn die haben da genauer nachgeforscht, über die weibliche Sexualität.

Lebensretterin statt Alltagsoptimiererin

So stramm sich Elizabeth gegen die ihrer Meinung nach "männerhassende" Ideologie Feminismus stellt, so hingebungsvoll sieht sie sich als Teil der Ökologiebewegung. Natürlich kein Wäschetrockner, keine Geschmacksverstärker für die Familie und lieber speckige Bettwäsche als verschwenderisch dauernd die Waschmaschine anwerfen. Das lässt sich alles ganz praktisch in ihr erstrebenswertes Bild der guten Mutter und Ehefrau einfügen. Ein geregeltes Leben, ohne große Aufregungen, ohne Tragödien wünscht sie sich. Diese eine erlebte reicht ihr für ihr ganzes Leben, als ihre Brüder ums Leben kamen, ihre Mutter schwer verletzt wurde und für Elizabeth der Tod immer da und sterben fortan eine tagtägliche Option wurde. 

Angesichts dieser schweren Kost ist "Agneta" daher nicht nur Wohlfühltherapeutin und Alltagstauglichkeitsoptimiererin, sie ist für Elizabeth Lebensretterin. Es dürfte also kein Zufall sein, dass die Beispieltage der "Schoßgebete"-Heldin auf jene drei Tage fallen, in denen sie an die heiligen Hallen der Psychotherapiepraxis klopft.

"Schoßgebete" ist das Buch über eine Frau, die sich nur mehr auf ihre eigene Lernfähigkeit und vielleicht noch auf ihre Therapeutin verlässt. Das muss reichen, um das alles hinzubekommen: das mit der Monogamie, mit der Patchwork-Familie, mit der Kindererziehung und mit der für alle Ewigkeiten bestehenden Leidenschaft für jemanden, mit dem man für immer zusammenbleiben möchte. Aber gerade weil Elizabeth so sehr darauf fokussiert, allein und unabhängig alles in den Griff zu bekommen, sind ihre abgelehnten Role Models immer da. Was wird da auf "den Feminismus" geschimpft, mit seinen falschen Annahmen und mit diesem uns-die-Männer-schlecht-reden. Nicht mit mir, meint Elizabeth und spricht mit geradezu diebischer Freude über ihren "Testosteron-Gatten", der allerdings die Wäsche aufhängt, die Spülmaschine ausräumt, sich um die Stieftochter kümmert und mit dem sie alles in allem eine gleichberechtigte Beziehung führt - außer bei einer Sache, aber auch die wird im Laufe des Buches auf Schiene gebracht.

Etikettenschwindel

Zu Gunsten einer neuen Skandalisierung wird mit Charlotte Roches neuem Buch bereits ein auch vom Verlag kalkulierter Etikettenschwindel betrieben. "Jetzt alles über eines der letzten Tabus: ehelicher Sex" schreibt der Verlag Piper in einer Ankündigung zum Buch. Sex gemischt mit Authentizität (das Buch ist zu großen Teilen autobiographisch) und die öffentliche Figur Charlotte Roche als Projektionsfläche, so werden Bücher verkauft. Obwohl das "Schoßgebete" gar nicht nötig hätte, denn mit Tabus werden die LeserInnen durchaus versorgt, nur nicht in Sachen Sex. Viel interessanter diesbezüglich sind hingegen Roches Beschreibungen völlig anderer Baustellen. Überzeugend und mit aller gebotenen Ambivalenz schreibt Roche über die Liebe und den Hass, den sie manchmal verursacht oder über Beziehungen, die so wichtig sind, dass man sich ihrer lieber gleich selbst entledigt. Seltsam was manchmal drinnen ist, wo Sex draufsteht. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 10. August 2011)