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Von der Alchemie zur Nanotechnologie: Die Sonne als Symbol des ersehnten Goldes, dargestellt mit 20.000 Goldpartikeln von 60 Nanometer Durchmesser.

AP Photo/IBM Corp

Alchemie-Expertin Anke Timmermann.

Foto: A. Ablogin

Der uralte Traum der Alchemiker - so der von Wissenschaftern gebräuchliche Begriff, der im Gegensatz zu "Alchemist" nicht abschätzig ist - scheint dieser Tage wieder einmal von ganz besonderem Reiz: Angesichts der Panik an den Börsen und der Flucht vieler Anleger in Gold wäre es eine ziemlich lukrative Sache, wenn sich das Edelmetall mittels eines Steins der Weisen aus einem unedlen Metall herstellen ließe.

Dank der Erkenntnisse der modernen Teilchenphysik ist eine solche alchemische Verwandlung zwar möglich geworden: In Teilchenbeschleunigern lassen sich tatsächlich einige Metalle durch entsprechende Bestrahlung in Gold umwandeln. Dieser Prozess ist aber alles andere als gewinnversprechend, weil immer nur ein paar Goldatome produziert werden konnten - einmal ganz abgesehen davon, das eines der möglichen Ausgangselemente das ebenso teure Platin ist.

Unter Österreichs Regierenden scheint sich die Hoffnung der alchemischen Goldherstellung übrigens besonders lange gehalten zu haben. So gibt es das Gerücht, dass Kaiser Franz Joseph noch in den 1860er-Jahren von Scharlatanen betrogen worden sei, die ihm versprachen, mittels Alchemie Gold herzustellen und die leeren Staatskassen zu füllen.

In den meisten anderen Teilen des Okzidents wurde die Alchemie im 17. und 18. Jahrhundert allmählich durch die Chemie und die Pharmakologie abgelöst und schließlich für un- oder pseudowissenschaftlich erklärt. "Die Jahrhunderte zuvor allerdings sah die Sache einigermaßen anders aus", wie Anke Timmermann sagt: Nachdem die Alchemie im 12. Jahrhundert über die arabische Welt und Spanien nach Europa gekommen war, haben sich selbstverständlich auch die angesehenen akademischen Gelehrten und Mediziner damit befasst.

Führendes Alchemiezentrum

Seit kurzem untersucht die Wissenschafts- und Medizinhistorikerin als Marie-Curie-Stipendiatin die Geschichte der Alchemie in und um Wien vom 14. bis zum 17. Jahrhundert und wird dabei besonderes Augenmerk auf die Querbeziehungen zwischen den Medizinern und den Alchemikern legen. "Das ist noch völlig unerforscht", sagt die gebürtige Deutsche, die an der Universität Cambridge mit einer Arbeit über alchemische Lehrgedichte promovierte. "Das ist umso erstaunlicher, weil Wien und Umgebung in dieser Zeit sowohl in der Medizin wie auch in der Alchemie als ein führendes Zentrum gilt."

Unbestritten ist, dass die medizinische Fakultät der 1365 gegründeten Universität Wien schon in ihrer Frühzeit sowohl bei der Ausbildung von Medizinern aber auch in der medizinischen Forschung ein internationales Vorbild war. Weniger bekannt dürfte Uneingeweihten allerdings sein, dass man gerade einmal 50 Kilometer nordwestlich der heutigen Bundeshauptstadt den bisher umfangreichsten Fund von Überresten eines alchemischen Laboratoriums weltweit entdeckte.

1980 wurde neben der Kapelle des Schlosses Oberstockstall nahe Kirchberg am Wagram ein Hohlraum entdeckt, der mit über tausend Keramik- und Glasbruchstücken, zum Teil auch ganzen Gefäßen, angefüllt war. Wie sich herausstellte, hatte man die fast vollständige Ausstattung eines metallurgisch-alchemischen Laboratoriums aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entdeckt - ein chemiehistorischer Sensationsfund, den man im Rathaus von Kirchberg auch besichtigen kann.

"An diesen Scherben wird am University College in London immer noch geforscht", sagt Timmermann, die selbst am "Department und Sammlungen für Geschichte der Medizin" am Josephinum (Medizinische Universität Wien) arbeitet. "Die Herausforderung ist, die gefundenen chemischen Reste mit den alchemischen Rezepturen zusammenzubringen, die verschlüsselt geschrieben sind."

Sind es in der heutigen Chemie Reaktionsgleichungen, die auch recht wenig darüber sagen, wie Experimente tatsächlich durchzuführen sind, so verwendeten die damaligen (Al-)Chemiker zur Beschreibung ihrer Rezepturen oft Metaphern: "Da kann es dann schon einmal heißen, dass König und Königin ein Kind zeugen. Dann werden sie verbrannt, und daraus entsteht dann Phönix aus der Asche", sagt Timmermann.

Wie die Expertin für alte Handschriften erklärt, steht in dieser Passage etwa der König für Gold und die Königin für Silber; der Rest beschreibt eine Reaktion. Andere Deutungen wurden später immerhin literarisch verarbeitet: So etwa geht Gustav Meyrinks Der Golem wohl auf eine allzu wörtliche Lesart dieser Rezepturen zurück.

Eigentlich wollten Alchemiker aber den Stein der Weisen erschaffen - heute würde man wohl Katalysator dazu sagen. Mit diesem roten Pulver wollte man unedle Metalle in edle verwandeln. "Grundannahme dabei war", sagt Timmermann, "dass alle Metalle in der Erde wachsen, als , Babymetall' Blei beginnen und sich später zu edleren Elementen entwickeln." Mit dem Stein der Weisen sollte der Prozess beschleunigt werden. Der Alchemiker selbst musste innerlich so rein wie das Endprodukt sein, wenn er die Unterstützung Gottes und Erfolg haben wollte. Wenn es auch mit der künstlichen Goldherstellung nicht geklappt hat, so gehen doch einige andere Entdeckungen auf die Alchemiker zurück: Porzellan oder Phosphor etwa.

Schnittstelle zur Medizin

Aus dem Stein der Weisen (Arabisch: El Iksir) wollte man aber auch das Elixier des Lebens herstellen, das zumindest für biblisches Alter sorgen würde. Viele Labortechniken, wie das Destillieren, wurden dabei verfeinert und werden jetzt noch unter anderem in der Pharmazie angewendet. Um diese Schnittstellen zwischen Alchemie und Medizin drehen sich die Studien von Timmermann.

Eine wichtige Rolle wird dabei auch ein gewisser Philippus Theophrastus Aureolus Bombast von Hohenheim spielen, besser bekannt als Paracelsus (1493-1541). Der Universalgelehrte, der auch zwei Jahre lang in Wien gelebt haben dürfte, hat einerseits die alchemischen Grundlagen neu definiert, den Elementen noch Schwefel, Salz und Quecksilber hinzugefügt und der damals gültigen Lehre Galens widersprochen. Zugleich gilt Paracelsus als Mitbegründer der modernen Pharmazie, die Alchemie und Medizin perfekt miteinander verband.

Viel davon ist von Legenden überlagert, sagt Timmermann, die mit ihren Forschungen völliges Neuland betritt, dabei aber immerhin von einer fixen Grundprämisse ausgeht: "Nichts als gesichert annehmen." (Klaus Taschwer/DER STANDARD, Printausgabe, 10. 8. 2011)