Porto Alegre - Die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff hat mit demonstrativer Gelassenheit auf die jüngsten weltweiten Börsenturbulenzen reagiert. "Brasilien ist heute stärker als 2008, als wir bereits in der Lage waren, der Krise zu widerstehen", sagte Rousseff neulich in Salvador da Bahia. Mit 348 Milliarden US-Dollar habe Brasilien 60 Prozent mehr internationale Reserven als noch vor drei Jahren - und mit umgerechnet 263 Milliarden Dollar fast doppelt so viele Zwangseinlagen der Banken bei der Zentralbank.
Sorgen macht der Präsidentin vor allem die Zunahme der Importe, die durch die massive Aufwertung des Real in den vergangenen Jahren begünstigt wurde: "Wir werden nicht zulassen, dass ausländische Unternehmen unsere Arbeitsplätze vernichten." Während Brasiliens Importe in den ersten sieben Monaten 2011 um 32 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zunahmen, stagniert die einheimische Industrie: Im Juni ging die Produktion sogar um 1,6 Prozent zurück.
Dem "Big-Mac-Index" des britischen Magazins Economist zufolge, mit dem man die Kaufkraft diverser Währungen messen kann, ist der Real im Vergleich zum Dollar derzeit um 52 Prozent überbewertet. Freilich liegt das auch an der brasilianischen Hochzinspolitik, dem klassischen Instrument zur Inflationsbekämpfung. Trotz einer neuen Finanztransaktionssteuer zieht sie enorme Mengen von spekulativem Finanzkapital aus den Industrieländern an.
Zugleich verlieren die Exportprodukte zunehmend an Wettbewerbsfähigkeit. Sinkende Rohstoffpreise für Mineralien oder Soja könnten sich ebenfalls bald negativ in der Exportbilanz niederschlagen.
Finanzminister Guido Mantega beklagt regelmäßig, dass die USA versuchten, ihre Wirtschaftskrise auch mit einem schwachen Dollar über den Export zu lösen.
Dagegen versucht Brasília in den vergangenen Wochen mehr denn je, diesem "Währungskrieg" an verschiedenen Fronten gegenzusteuern: weitere Steuern auf Finanztransaktionen und größere Kontrollen beim Derivatehandel, Vorzugsregelungen für einheimische Firmen bei öffentlichen Aufträgen, günstige Kredite für Technologieunternehmen, Steuererleichterungen und Streichung von Sozialabgaben für arbeitsplatzintensive Betriebe der Branchen Bekleidung, Möbel, Software und Schuhe.
Sinkende Exporte
Ricardo Wirth, Chef der gleichnamigen Schuhfirma im südbrasilianischen Dois Irmãos, begrüßt die Regierungsmaßnahmen als einen "Schritt in die richtige Richtung". Der starke Real wirkt sich direkt auf seinen Betrieb aus, in dem jährlich zwei Millionen Paar Schuh produziert werden. Ein Paar kostet im Großhandel 27,5 US-Dollar, vor vier Jahren waren es noch 18. Kein Wunder, dass Wirths Exportquote in derselben Zeit von 95 auf 60 Prozent sank.
Große brasilianische Schuhfabriken hätten ihre Werke mittlerweile ganz geschlossen oder ihre Produktion ins Ausland verlagert, beispielsweise nach Nicaragua oder in die Dominikanische Republik, berichtet der Unternehmer. Das alles passiere "eindeutig aus Währungsgründen".
Wirth selbst hält sich am Markt. Auch, weil viele Schuhe, die früher exportiert wurden, jetzt auf dem Binnenmarkt verkauft werden - in den vergangenen acht Jahren sind gut 40 Millionen Brasilianer in die Mittelschicht aufgestiegen.
Arbeitssuchende in São Paulo bieten ihre Dienste an. Die Arbeitslosenrate in Brasilien liegt bei mehr als sechs Prozent. Die heimische Produktion ging zuletzt um 1,6 Prozent zurück. (Gerhard Dilger, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 10.8.2011)