Manchester/London/Wien - Die Jugendkrawalle haben die Stadt Manchester erreicht. Eine dort ansässige Österreicherin berichtet: "Die Gewalt in Manchester war organisiert. Die Jugendlichen hatten sich schon am Nachmittag im Stadtzentrum versammelt. Die Krawalle begannen so gegen 17 Uhr, als einige der jungen Leute versuchten in ein Shopping Centre einzubrechen." Kerstin Hassler konnte am Dienstag beobachten, wie sogenannte "Ringleaders" immer wieder Kommandos riefen. Augenzeugen in London, wo sich die Lage mittlerweile etwas beruhigt hat, sprechen von "zielloser Gewalt" von Kindern während der vergangenen Tage.

Nachdem die Polizei die Krawalle in London einigermaßen unter Kontrolle bringen konnte, zogen am Dienstag in Manchester rund 1.000 Jugendliche plündernd durch die Straßen, sie verwüsteten Geschäfte oder setzten diese in Brand. "Die Jugendlichen haben sich in Gruppen durch die Stadt bewegt. Umso schwerer war es für die Polizei, sie zu fassen. Es kam mir vor, als hätten die jungen Leute mit der Polizei Katz und Maus gespielt", erzählt Hassler. Sie kritisiert auch das Vorgehen der Polizei. Diese hätte sich nicht entsprechend auf die Unruhen vorbereitet. Obwohl die Ausbreitung der Krawalle auf weitere Städte Englands zu erwarten war, schien es, als stünde die Polizei dem Geschehen machtlos gegenüber.

"Ich suche nur Streit"

Auch Kinder im Alter von elf Jahren seien unter den Randalierern gewesen. Die Jugendlichen hätten vorwiegend Geschäfte geplündert, deren Warenangebot für sie interessant war. Trotzdem hatte Hassler nicht den Eindruck, als wäre dies das vorwiegende Ziel der Krawalle. "Ich will nicht plündern, ich suche nur Streit", hörte sie einen jungen Mann sagen. Ähnliches berichten Augenzeugen aus London. Die in London lebende Australierin Eszter Perenyi erzählt, dass dort "zehn- bis zwölfjährige Kids" an den Krawallen beteiligt waren: "Ich sah sogar Mütter, die ihre Kinder anstachelten, in Geschäfte einzubrechen und zu plündern".

Perenyi, die im südlichen Bezirk Clapham wohnt, sah dort auch am Mittwochvormittag noch immer Rauch aus einigen Gebäuden aufsteigen. Am schlimmsten sei es aber Montagabend gewesen. "Ich war in einem Restaurant in Camden (Bezirk nördlich des Zentrums, Anm.) als plötzlich die Polizei kam und eine Evakuierung veranlasste." Die 25-Jährige, die als Sozialarbeiterin tätig ist, glaubt, dass "mindestens die Hälfte der Kinder nicht weiß, was sie da eigentlich tut". Die Krawalle seien ein "Spiegel der heutigen Kinder Londons" und würden zeigen, dass "Eltern und Schulen Kontrolle über die Kinder verloren" haben. "Sie sind einfach wütend über das Leben", sucht die Wahl-Londonerin nach Erklärungen.

"Fehlen von Werten"

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Barbara L., eine gebürtige Oberösterreicherin, die seit zweieinhalb Jahren in der britischen Hauptstadt lebt. Für sie haben die Unruhen "eher mit Bildungsschicht und Alter" zu tun, und mit dem "Fehlen von Werten und Leitfiguren" für die jungen Menschen. Dass sie politisch motiviert und durch die Wirtschaftskrise aufgekeimt seien, das sei "eher von Medien transportiert" worden. Die Stimmung in ihrem Bezirk Hackney (im Nordosten Londons, Anm.) beschreibt die 32-Jährige als "gedämpft" und "nervös", es herrsche ein "gewisses Misstrauen". In Hackney habe es außerdem "Ausgangssperren" gegeben.

Hassler führt die Krawalle auf die schon seit langen angespannte Atmosphäre in England zurück. Budgetkürzungen, Kürzung von Sozialleistungen, steigende Preise und eine Zunahme der Arbeitslosigkeit hätten bei den Menschen Existenzängste ausgelöst. Die Ursachen für die anhaltenden Unruhen seien aber komplexer. Für sie spielen auch gesellschaftliche Faktoren eine Rolle. "Wo sind die Eltern, wenn elfjährige Kinder spät nachts durch die Stadt laufen?"

Alle drei Frauen hoffen auf ein baldiges Ende der Krawalle. "Die Situation ist beängstigend. So unsicher habe ich mich noch nie gefühlt", gibt Hassler zu. Zuversichtlich gibt sich L.: "Weil 99 Prozent der Londoner gegen die Proteste sind, werden die Unruhen bald ein Ende finden - hoffe ich zumindest." (APA)