Einst war der Biber ausgerottet, "jetzt hamma genug" , sagt Forstdirektor Januskovecz. Übervölkerung sei aber keine Gefahr, weil alle Reviere vergeben seien und Jungtiere weiterziehen müssten. F.: Christian Fischer

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Wien - "Schaun'S, solche Chips haut der da auße!" : Mit leuchtenden Augen wühlt Andreas Januskovecz in den Holzspänen an der Wurzel der Schwarzpappel. Eine tiefe Scharte klafft im gut ein Meter dicken Stamm - unvollendetes Werk eines überaus aktiven Holzfällers. Hunderte Bäume lassen Biber hier im Herbst in die Weiher und Altarme kippen, damit Wasser Rinde und Knospen "wie in einem Kühlschrank" konservieren. "Intelligent und subversiv sind die Viecher" , sagt Januskovecz: "Je mehr ich mich mit ihnen beschäftige, desto mehr taugen sie mir."

Nicht alle Wiener sind so begeistert wie ihr Forstdirektor. Geschätzte 200 Biberpaare leben in den Gewässern in und um die Stadt - und nagen sich nicht nur durchs Dickicht der abgelegenen Auwinkel. Auch entlang von Donaukanal und neuer Donau legen die Ansiedler Weiden und Pappeln um, besonders eifrig rodeten sie heuer im Nacktbadeparadies Dechantlacke. Gemüsebeete haben es den Pflanzenfressern angetan, ein desorientiertes Exemplar legte sogar 100 Meter Landweg zurück, um in einer Obstplantage jeden einzelnen Baum anzubeißen.

Revanche könnte dem "castor fiber" niemand übelnehmen. Der europäische Biber war hierzulande ausgerottet, 1869 wurde bei Salzburg das letzte Tier erschossen. Das Genick gebrochen haben ihm das dichte Fell (bis zu 23.000 Haare pro Quadratzentimeter), das als Medizin, Parfüm oder Potenzmittel gefragte Drüsensekret namens Bibergeil sowie die Kreativität der Kirche im Umgang mit den eigenen Dogmen: Weil der Schwanz - die "Kelle" - an einen Fisch erinnert, wurden Biber auch in der Fastenzeit verspeist.

Gezielte Wiederansiedlung brachte den nun geschützten Säuger in den Siebzigern zurück nach Österreich - und bis tief in die Stadtzentren. "Jeden Frühling läuft mein Telefon heiß" , erzählt Barbara Mertin, Rangerin im Nationalpark Donauauen und glühende Biberlobbyistin. Ratlose Anrufer berichten ihr dann, dass sich ein Tier im Schwimmteich oder in der Kläranlage eingenistet hat.

Obdachlose Jungtiere sind es, die da geeignete Uferböschungen zum Löchergraben - Dammbau ist dank üppigen Wasserangebots nicht nötig - suchen. Im Alter von zwei Jahren werden die Kinder von den Eltern aus dem Heim gebissen und müssen sich ein eigenes Revier suchen. Doch mitunter stehen zweibeinige Rivalen im Weg. Das Land Niederösterreich erlegt pro Jahr etwa 50 bis 60 Problembiber, die partout nicht von Deichen oder Fischweihern ablassen wollen.

Affäre um angebissene Rübe

Empörend findet das Mertin, und obendrein sinnlos, weil verwaiste Reviere gleich von Nachkömmlingen okkupiert würden. Die überschaubaren Konflikte ließen sich - wie in Wien - mit Elektrozäunen oder Baumgittern regeln. Aber am bäuerlich geprägten Land werde halt gern aus jeder angebissenen Rübe eine Affäre gemacht, während die Städter geradezu "nach Wildnis schreien" .

Tatsächlich? Entlang der Lobau ertönt dieser Ruf nicht überall so laut. "Den ganzen Garten haben sie umgepflügt" , erzählt ein Anrainer, nennt aber einen anderen Übeltäter als den Biber, der nur durch den benachbarten Auwald holze: "Die Wildsauen sind's, die unsere Beete abfressen."

Ob Nager oder Schwarzkittel - Entschädigungen kann Forstdirektor Januskovezc im Namen der Gemeinde nicht anbieten. "Das klingt jetzt nach Politikersprech: Aber wenn die Leut' eine Umweltmusterstadt wollen, müssen sie mit den Tieren leben lernen" , sagt er und erzählt von Widersprüchlichkeiten im urbanen Naturverständnis. Es komme vor, dass Waldrandbewohner im Garten süße Frischlinge füttern - und sich ein Jahr später wundern, wenn der ausgewachsene Eber lechzend um Futter bettle: "Dann rufen sie an und fordern: ,Erschießt's das tollwütige Viech!‘"

Einem Biber wird das nicht passieren. Die Wasserbewohner sind so scheu, dass ihr großer Fan, der Forstdirektor, in freier Wildbahn noch nie einen gesehen hat. Für den Fall der unwahrscheinlichen Begegnung rät er lediglich Hundebesitzern zu Vorsicht und Leine. Gegen die bis zu 1,30 Meter langen und 25 Kilo schweren Bröckerln zögen die domestizierten Vierbeiner "garantiert den Kürzeren" , meint Januskovecz: "Ein Schlag mit der Kelle bricht einem Dackel das G'nack." (Gerald John, DER STANDARD Printausgabe, 11.8.2011)