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Die Frage, wie viel "wissenschaftlichen" Realitätsgehalt Filme wie Matrix Reloaded oder demnächst Terminator 3 haben, ist nicht simpel auf der "Realitätsebene" zu beantworten: Sciencefiction kombiniert eben "Fiction" mit "Science". Wobei der Anteil der Wissenschaft oft sehr klein, derjenige des relativ beliebigen Ausspinnens sehr groß sein kann.

Noch komplizierter ist das Verhältnis in der Literatur: Hier führen die besten Autoren - von Stanislaw Lem bis Philip K. Dick - noch eine weitere Ebene ein, diejenige der Ironie. Also eine zusätzliche Welt der Distanzierung, des Spiels mit "wissenschaftlichem" Material. Diese Ebene fehlt in den Filmen völlig.

Und wie steht die Literatur zu wissenschaftlichen Errungenschaften der Robotik, der Weltraumtechnik, dem technischen Ausbau der virtuellen Realität? Die sich "solide" gebenden Neuerscheinungen berufen sich noch auf die Wissenschaft: So schreibt Stephen Baxter im Anhang zu seinem Außerirdischen-Roman Voyager (dt. 2002 bei Heyne unter dem Titel Das Multiversum): "Die Abschnitte, die auf dem Mond spielen, beruhen zum Teil auf Gesprächen mit dem ehemaligen Astronauten Charles M. Duke, der 1972 als Pilot der Mondfähre von Apollo 16 auf dem Mond spazieren gegangen ist." Aber ob das ausreicht für Passagen mit Roboterkämpfen? Und was tun, wenn die Toiletten auf dem Flug zum Neptun "nicht richtig funktionieren"? (Und was bedeutet hier genau dieses "nicht richtig")? Die "reale", die irdische Robotertechnik, befasst sich natürlich nicht mit Kriegen zwischen Robotern und Irdischen, sondern arbeitet gerade an den Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine.

Wo die Sciencefictionliteratur aus diesen Schnittstellen obsessiv mythische Urängste und Kampf hervorholt (spricht nicht das Alte Testament schon von den Riesenwesen Gog und Magog?), da will die "Scientific Community" diese Schnittstellen gerade vernähen. So berichtet Professor Jürgen Rossmann, Abteilungsleiter des "Instituts für Mehrroboterstrukturen und Weltraumrobotik" der Universität Dortmund, auf die Frage nach dem wissenschaftlichen Ziel der Robotik von den verschiedenen Projekten seines Instituts: Die Schnittstelle Mensch/Roboter wird immer besser geschlossen durch den Einsatz eines dritten Elements, das ebenfalls in der Sciencefictionliteratur eine zentrale Rolle spielt: Computertechnik mit dem Einsatz virtueller Realität.

Das Dortmunder Institut erarbeitete zum Beispiel Methoden der Steuerung von Robotern mittels virtueller Realität, die sowohl das Steuern von als auch das Experimentieren mit Robotern visualisieren kann. Mit dieser "Projektiven Virtuellen Realität" kann der Benutzer etwa in Weltraumroboter mit einem "Datenhandschuh" eingreifen und Reparaturen durchführen, auch ohne ein Roboterexperte zu sein. Terrestrische Anwendungen dafür sind alle Arten von Simulatoren, von Flug-bis zu Baumaschinen, wo auch physische Lasten samt Gewicht simuliert werden können.

Solche Forschungsergebnisse könnten nun umgekehrt wieder die Fantasie der "Fiction" anregen. Und solche Fantasie kommt der Realität, wenn auch mehr der konstruierten medialen denn der technischen, sehr nahe: Wenn William Gibson in Idoru (2002) seinen nach "Datenknoten" suchenden Virtual-Reality-Detektiv Leaney auf japanische Idolsänger treffen lässt, die nicht real sind, sondern nach den Bedürfnissen des Marktes virtuell konstruiert, so ist er ganz nahe am derzeitigen Kinokassenhit Matrix Reloaded, das seine Schauspieler verformt.

Und das Roboter/Wissenschaft-Problem hat Stanislaw Lem schon 1965 am elegantesten gelöst, nämlich ironisch in seinen Robotermärchen. Da nimmt Lem wissenschaftliche Erkenntnisse, macht aber witzige Märchen daraus. Ein "Elektrowisser" erzählt da etwa einem König von "Bleichlingen" mit Schlitzen im Gesicht, aus denen Worte kollern: Diese "Bleichlinge" sind wir, die Irdischen. (Richard Reichensperger/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26. 5. 2003)