Eigentlich paradox: In den letzten Jahren wurden digital weit mehr Daten aufgezeichnet als je zuvor. Gleichzeitig gingen aber auch mehr Informationen als je zuvor verloren. Der Grund dieses Widerspruchs liegt unter anderem in der kurzen Lebensdauer von Websites und ihren Inhalten. Studien besagen, dass sie im Durchschnitt nur 50 Tage existieren und danach in den unendlichen Weiten des World Wide Webs verschwinden, weil sie den sich rasant weiterentwickelnden technischen und gestalterischen Standards nicht mehr genügen. Andere Websites werden täglich mehrfach aktualisiert. Auch ihre Inhalte gehen, sofern sie nicht zuvor archiviert werden, verloren.

Nicht nur das Internet - gar kein digitales Medium ist derzeit sicher. Das Institut für Medienwissenschaften an der Universität Basel schätzt die Lebensdauer von CD-ROMs oder Disketten derzeit auf etwa sieben Jahre. Danach kommen neue revolutionäre Geräte, die im schlimmsten Fall alte Dokumente nicht mehr lesen können. Damit sind wichtige Daten, die darauf gespeichert wurden, akut gefährdet.

"Die große Qualität des Internets, seine Aktualität, ist auch seine Achillesferse." meint Alfred Pfoser, Direktor der Wiener Hauptbücherei. Auf alle digitale Medien bezogen wäre dann der Fortschritt das Problem - zumindest für den seit Jahrhunderten Schriften sammelnden Menschen. Er wird sich bewusst, Kulturgüter verlieren zu können: Reflexartig werden große, teure Archivierungsprojekte aus dem Boden gestampft, wie zum Beispiel das der US-Kongress-Bibliothek. Hier beginnt man gerade mit einem Budget von umgerechnet etwa 100 Millionen Euro, systematisch auch digitale Werke zu sammeln.

Die Erfahrung zeigt aber, dass damit bereits die ersten Probleme beginnen: Das amerikanische "Internet Archive" etwa speichert täglich 400 Gigabyte neues Material, das sind 20 Kilometer Buchregal. Für zusätzlichen Speicherplatz werden monatlich umgerechnet 40.000 Euro ausgegeben. Auch eine "Digital Library" kann also die Sammelleidenschaft nicht grenzenlos pflegen.

Nicht nur aus Platzgründen: Schließlich, so Pfoser, ist ja nicht jede Website von jener inhaltlichen Qualität, wie man sie sich in einer Bibliothek erwarten sollte. Die logische Konsequenz heißt: ausmisten. Die Frage ist nur: Welche von den 550 Milliarden Webseiten, die zu Beginn des vergangenen Jahres einmal geschätzt wurden, sollen archiviert werden? Dabei wurde aber selbstverständlich nicht mit einberechnet, dass jede Website im Durchschnitt 15 Links hat und auch zahllose Dowload-Dateien - viele Seiten umfassende Text-Files, aber auch Musik- und Film-dokumente. Müssen die dann auch archiviert werden? Und wie geht man mit dem Copyright um?

Johanna Rachinger, Direktorin der Österreichischen Nationalbibliothek, fragt sich auch, wer denn entscheiden soll, welche Inhalte von Websites gelagert werden. "Das können die jeweiligen digitalen Bibliotheken sicher nicht alleine bestimmen, das ist eine gesellschaftspolitische Frage." Die Nationalbibliothek will gemeinsam mit der TU Wien den Plan einer Sammlung virtueller Texte und Bilder in die Realität umsetzen. Objekte aus der existierenden Sammlung werden bereits digitalisiert, besonders wertvolle oder bereits im Zerfall befindliche Zeitschriften und Bücher, die man schonen will, zuerst.

Frage der Haltbarkeit

Aber selbst wenn man sich einmal im Klaren sei wird, nach welchen Gesichtspunkten digitale Dateien gesammelt werden sollen, stellt sich schließlich die Frage der Haltbarkeit aufs Neue: Allein durch das Lagern sind Daten ja noch lange nicht resistent gegen ihren Verfall durch technischen Fortschritt. Nach "Konservierungsmethoden" wird bereits gesucht: Die simpelste Lösung heißt Migrationen. Gemeint ist das Umwandeln einer Datei von einem alten Format in ein neues, wobei gleichzeitig die Diskette auf ein DVD kopiert wird.

Wesentlich weniger Aufwand verspricht der Universal Virtual Computer (UVC) von IBM, der gerade in Kalifornien entwickelt wird. Mit ihm soll es gelingen, alle gängigen und zukünftigen Computersprachen zu verstehen. Einen Text-File in 200 Jahren zu lesen, sollte dann eigentlich kein Problem mehr sein. (Peter Illetschko/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26. 5. 2003)