Die Proteste haben sich nach London auf andere Städte die Manchester, Birmingham, Nottingham und Wolverhampton ausgeweitet - England droht im nächtlichen Krawallchaos zu versinken. Der konservative Premierminister David Cameron ist aus dem Urlaub zurück nach London geeilt, um die Polizeipräsenz auf den Straßen drastisch zu erhöhen und den, zumeist jugendlichen, Demonstranten mit der "vollen Härte des Gesetzes" zu drohen. Sein Ausspruch "Wenn ihr alt genug seid, diese Verbrechen zu begehen, dann seid ihr auch alt genug bestraft zu werden!" erinnert - in abgeschwächter Form - an den unerträglichen Kommentar des Krone-Kolumnisten Michael Jeannée zu den tödlichen Schüssen auf einen Jungen, der einen Supermarkt in Krems überfallen hatte. Ein mehr als befremdlicher Zugang Camerons, der offensichtlich nicht viel von der Jugend in seinem Land versteht.

Verschiedene Länder - gleiche Ängste

Englands Jugend begehrt auf. Ebenso wie die Jugend in Spanien und Griechenland, in Tschechien und natürlich in Nordafrika, wo die Umbrüche begonnen haben. Da wie dort will eine ganze Generation nicht länger hinnehmen, keine Perspektiven zu haben. Jugendarbeitslosigkeit, unzureichende Bildungschancen und das Gefühl nicht gehört zu werden, haben in England nun zu lautstarken Protesten geführt - die Jugend verschafft sich Gehör und ist wütend. Diese Wut nicht zu verstehen oder sie zu ignorieren und die Proteste als sinnlose Krawalle abzutun, ist gefährlich. Autos und Gebäude anzuzünden, sich Straßenschlachten mit der Polizei zu liefern und Nacht für Nacht durch die Straßen zu ziehen, ist Ausdruck einer tiefen Verzweiflung, die Sinnbild für eine gesamte "lost Generation" ist.

Banken werden gerettet - wer rettet die Jugend?

Während Banken und Großunternehmen im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise mit Milliardenhilfen gerettet wurden, mussten ohnehin benachteiligte Gruppen der Gesellschaft empfindliche Einschnitte hinnehmen. Kürzungen im Sozial- und Bildungsbereich, keine Aussicht auf einen Job und eine erdrückende Ohnmacht haben Aggression und Wut aufgestaut, die sich nun auf diese eindrucksvolle Weise entladen. Gewaltanwendung - vor allem wenn es sich um Gewalt gegen Sachen, nicht gegen Menschen handelt - ist nicht per se der falsche Weg. Soziale Revolutionen sind seit jeher mit verschiedenen Formen der Gewalt gespickt - manche von ihnen waren erfolgreich, manche weniger, aber in keinem Fall sind sie wegen der Anwendung von Gewalt gescheitert. Natürlich wäre eine Welt wünschenswert in der niemand so viel Wut und Verzweiflung in sich trägt, dass ganze Straßenzüge brennen, aber angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre und einer nicht enden wollenden Ignoranz gegenüber zukünftiger Generationen sollte man sich eben auch nicht wundern, dass Wunschdenken und Realität so weit auseinander liegen.

Handeln statt ignorieren

Ja, die Bilder der Ausschreitungen, der zerstörten Geschäfte und Häuser, der ausgebrannten Autos sind bedrückend und liegen schwer im Magen. Dennoch sollte die Politik nicht den Fehler machen ausschließlich gewaltbereite Jugendbanden und Gangs dahinter zu vermuten. Die wahre Tragweite und die wirklichen Hintergründe der Proteste, die sich von Nordafrika auf Europa ausgeweitet haben, sind da wie dort sehr ähnlich. Junge Menschen begehren auf und nehmen nicht länger hin, dass man sie, weil sie über keine Lobby und nicht über entsprechende wirtschaftliche Druckmittel verfügen, ignoriert. Eine nachhaltige Eindämmung der Proteste, ein wirkliches Vorankommen in einer gesellschaftlichen Debatte kann nur gelingen, wenn die Politik endlich versteht, dass die Jugend ein wertvoller Teil der Gemeinschaft ist und entsprechend wahrgenommen werden muss. Möglicherweise gelingt es der englischen Polizei die Ausschreitungen zu beenden, indem sie mit aller Härte gegen die Demonstranten vorgeht. Die den Protesten zugrunde liegende Problematik wird so allerdings nicht gelöst.

Wirkliche Chancengleichheit herstellen

So lange der Fokus der Politik auf dem Zufriedenstellen von Rating-Agenturen und Wirtschaftsmächtigen liegt, wird sich die Realität der jungen Menschen nicht verändern. Wut und Verzweiflung werden bleiben und sich immer wieder neu entladen. Investitionen in den Arbeitsmarkt und die Bildungspolitik, wirkliche Chancengleichheit herzustellen und mit Weitblick Reformen umzusetzen ist das Gebot der Stunde - auch im Sinne einer stabilen, funktionierenden Gesellschaft. Schwächere auszuschließen und von der Partizipation am politischen Prozess fernzuhalten, während gleichzeitig die Stärkeren hofiert und umgarnt werden, kann nur zu einem gefährlichen Ungleichgewicht führen. Die Politik muss handeln, denn sozialen Frieden herzustellen bedeutet mehr als Demonstranten festzunehmen und die Polizeipräsenz auf den Straßen zu erhöhen. (Stefanie Klamuth, derStandard.at, 11.8.2011)