Keine Sorge, die Waffe ist nicht echt. Der Messi übrigens auch nicht.

Fotos: Rainer Schüller

Echt: Ymer Stanovci vom Priština-Fanklub Plisat.

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Der Präsident des kosovarischen Fußballverbandes Fadil Vokkri nimmt...

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...neben Generalsekretär Eroll Salihu Platz.

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VIP-Eingang: Das Stadiumi i qytetit von Priština als Ansichtssache >>>

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Auch die Hosen des FC Priština wollen getrocknet werden.

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Prominenter Besuch in Priština: Franz Beckenbauer.

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Die Spielstätte des kosovarischen Meisters KF Hysi.

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Priština - Ymer Stanovci hat den Namen vergessen, er glaubt aber zu wissen, was dem Kosovo fehlt: "Wir brauchen einen lokalen Helden, so einen wie Euren Skifahrer mit dem kaputten Bein." Hermann Maier? "Ja genau, wir brauchen einen Hermann Maier. Einen, der sich aus der Masse emporhebt und die Jugend mitreißt." Eben derer gibt es in der kleinen Republik am Balkan reichlich: ein Drittel der Bevölkerung ist unter 16 Jahre alt, über die Hälfte jünger als 25. Hier gehört Stanovci als Mittdreißiger fast schon zum alten Eisen. Als führendes und langjähriges Mitglied von Plisat, dem Fanklub des Fußballvereins FC Priština, empfindet der zweifache Familienvater eine gewisse Verantwortung gegenüber dem Nachwuchs: "Wir müssen die Kinder von den Straßen ins Stadion bringen, ob als Fans oder als Spieler - dort können wir sie von schlechten Dingen wie Drogen und Kriminalität fernhalten."

Sehnsucht nach internationalen Spielen

Wenn Stanovci über die Rahmenbedingungen im kosovarischen Fußball spricht, redet er sich in Rage: "Seit über 20 Jahren hat kein internationales Bewerbsspiel im Kosovo stattgefunden. Wie soll man die Menschen unter solchen Umständen für den nationalen Fußball begeistern?" Tatsächlich ist der Kosovo trotz zäher Bemühungen weder Mitglied der FIFA noch der UEFA. Eine Teilnahme des Nationalteams an der EM- und WM-Qualifikation ist damit ebensowenig möglich wie das Mitwirken der Vereine an Champions und Europa League. Der Mangel an internationalen Spielen schreckt auch potenzielle Investoren ab, erzählt Stanovci in einem Lokal unter der Tribüne des Stadiumi i qytetit und fügt verärgert hinzu: "Du wirst Meister und was passiert dann? Nichts! Für die Fans wäre es sensationell auch mal ein großes europäisches Team zu sehen. Das würde bestimmt eine Euphorie auslösen, die Stadien wären voll." So aber erfreuen sich nur die wenigen nationalen Spitzenspiele des Interesses von rund 10.000 Zusehern, die restlichen Partien finden vor magerer Kulisse statt.

An prinzipieller Begeisterung für den Fußball fehlt es allerdings nicht. Im Gegenteil, der Sport erfreut sich großer Beliebtheit, wird in den Medien umfangreich abgehandelt und in den unzähligen Straßenlokalen der kosovarischen Hauptstadt auf Großbildschirmen übertragen. Der nationale Fußball verkommt dabei allerdings zur Randnotiz, im Mittelpunkt stehen die Künste europäischer Großklubs, die Kinder treten in den Dressen von Messi, Rooney und Konsorten nach den Bällen, die Idole laufen lediglich über den Fernseher. Frägt man die Kinder von Priština also nach ihren Lieblingsklubs, bekommt man in hoher Frequenz Real Madrid und FC Barcelona zu hören. Dazwischen mischen sich Vereine aus der italienischen Serie A und der englischen Premier League. FC Priština? Die Begeisterung hält sich in Grenzen. Stanovci hat dafür eine einfache Erklärung parat: "Wir sind mitten in Europa, dürfen aber nicht in Europa spielen. Man fühlt sich wie in einem Ghetto. Diese Isolation tötet die Leidenschaft."

Politische Hürden

Im Februar 2008 proklamierte das kosovarische Parlament die Unabhängigkeit des Territoriums von Serbien. 77 der 193 UN-Mitgliedstaaten erkennen die Republik als unabhängig an, zugleich wird sie aber von der UN als Teil Serbiens betrachtet. Und genau hierin liegt das Problem des Fußballverbandes. Die Paragraphen von FIFA und UEFA verlangen nämlich die Anerkennung durch die Vereinten Nationen. "Ich befasse mich nicht mit Politik, aber die UEFA achtet die Statuten, die klar sind: Ein Staat, der nicht Mitglied der Vereinten Nationen ist, kann nicht Mitglied des Verbandes werden", so UEFA-Präsident Michel Platini 2009 im Rahmen eines Besuchs in Belgrad. An diesem Standpunkt hat sich bis heute nichts verändert, dies wiederum löst bei Fadil Vokrri, dem Präsidenten des kosovarischen Fußballverbandes (FFK), Kopfschütteln aus: "Es ist diskriminierend, man verbietet uns das Spiel." Der Kosovo muss nicht nur auf die internationalen Wettbewerbe verzichten, die Mannschaft darf auch nicht zu offiziellen Freundschaftsspielen antreten. Mit Anfragen blitzt man bei den anderen Verbänden ab: "Wir haben gute Beziehungen zu Montenegro und Mazedonien, sie fürchten aber Konsequenzen durch FIFA und UEFA." Ein Match gegen eine brasilianische Olympia-Auswahl wurde ebenso im letzten Moment abgesagt, wie ein Vergleich mit dem türkischen Spitzenklub Bursaspor.

Und dennoch finden sich Gegner, die den strengen Vorschriften der internationalen Verbände trotzen, zuletzt am 9. März 2010, da lud der Schweizer Erstligist Xamax Neuchâtel in das Stade de la Maladière ein. Der Kosovo gewann dieses Spiel mit 2:0. Ein schöner Erfolg, der allerdings nichts an der unsicheren Planung des Verbandes ändert. Dementsprechend zerknirscht zeigt sich Vokrri: "Nicht nur bin ich frustriert, sondern der ganze Verband, auch die Vereine und die Fans." Immer wieder sucht er das Gespräch mit Platini, appelliert an dessen Ehre als ehemaliger Spieler: "Wir wollen zumindest das Recht auf Freundschaftsspiele gegen Nationen, die uns anerkennen. Das muss man uns doch zugestehen, alles andere ist doch einfach unsinnig." Eroll Salihu, Generalsekretär des FFK, sitzt im Grand Hotel Pristina neben Vokkri und formuliert es noch drastischer: "22 von 27 EU-Staaten erkennen uns an. Ob wir in Europa spielen dürfen oder nicht, hängt aber auch von ein paar Inselstaaten im pazifischen Ozean ab. Das soll mir bitte jemand erklären. Wir existieren und sind nicht vom Mars gekommen." Zudem verweist Salihu auf bereits exitierende Ausnahmen: Für die Verbände von Schottland, England, Nordirland, Wales und die Färöer wurden die Regeln außer Kraft gesetzt.

Exodus zu anderen Verbänden

Vokkri gilt im Kosovo als Fußballikone. Der 51-jährige Ex-Stürmer traf einst am Fließband, unter anderem für Partizan Belgrad, Nîmes Olympique, Fenerbahçe Istanbul, die jugoslawische Nationalelf und natürlich den FC Priština. Priština trat zu jener Zeit in der obersten jugoslawischen Spielklasse an, Spiele vor 30.000 Zusehern waren nicht unüblich. Der Konflikt mit Serbien hatte aber Auswirkungen auf den Sport: die Sicherheit von Spielern und Fans konnte nicht mehr gewährleistet werden, so musste der Verein die erste jugoslawische Liga 1991 verlassen. Die Milošević-Regierung entzog den Vereinen zudem die Spielstätten, fortan konnten kosovarische Klubs ihren Sport nur mehr auf improvisierten Plätzen ausüben. Erst mit der Beendigung des Kosovokrieges kehrten die Vereine 1999 an ihre Heimstätten zurück, heute spielen zwölf Mannschaften in der kosovarischen Superliga, das Niveau ist bescheiden, die Infrastruktur trotz einiger Anstrengungen verbesserungswürdig. Die Gehälter der Spieler bewegen sich zwischen 400 und 500 Euro, liegen damit immer noch über dem kosovarischen Durchschnittseinkommen von 350 Euro. Der Fußball wird auch durch den Staat unterstützt, aber selbst Vokkri räumt ein: "Im Kosovo gibt es wichtigere und größere Probleme als den Fußball. Eine anerkannte Nationalmannschaft wäre aber bestimmt ein wichtiges Symbol für unsere junge Nation."

Die unsichere Zukunft des Nationalteams treibt potenzielle Schlüsselspieler direkt in die Arme anderer Verbände: Mit Valon Behrami (AC Florenz), Granit Xhaka (FC Basel), Xherdan Shaqiri (FC Basel), Albert Bunjaku (1. FC Nürnberg), Beg Ferati (SC Freiburg) und Almen Abdi (Udinese Calcio) wurden bereits sechs Spieler kosovarischer Abstammung vom Schweizer Teamtrainer Ottmar Hitzfeld einberufen. Lorik Cana von Lazio Rom spielt wiederum für Albanien, die ebenfalls im Kosovo geborenen Miloš Krasić (Juventus Turin) und Milan Biševac (Paris St. Germain) für Serbien. Auch der für Österreich kickende Atdhe Nuhiu von Rapid Wien kam in Priština zur Welt. Während das kosovarische Team für Krasić und Biševac wohl keine ernsthafte Alternative darstellt, signalisieren andere Spieler durchaus Interesse: Behrami und Cana waren Teil jener Delegation, die mit Joseph Blatter und Michel Platini über den Beitritt zur FIFA und zur UEFA verhandelte. Unter den jetzigen Voraussetzungen zeigt Vokkri für deren Entscheidung zugunsten anderer Verbände aber Verständnis: "Sie wollen nur Fußball spielen und an internationalen Bewerben teilnehmen. Dies können wir ihnen im Moment nicht bieten." Im März 2011 hat der Kosovo jedenfalls einen prominenten Fürsprecher dazugewonnen, Franz Beckenbauer besuchte Priština und versprach als "Ehrenbotschafter" seine Unterstützung.

Optimistischer Blick in die Zukunft

"Wir werden anerkannt, es ist nur eine Frage der Zeit", bilanziert Vokkri. Bis dahin muss man sich im Kosovo aber mit nationalen Spielen begnügen. Derzeit bereitet sich der aktuelle Meister KF Hysi auf seinem Platz in Merdare auf die kommende Meisterschaft vor. Wer hier danebenschießt, trifft entweder eine der um das Spielfeld grasenden Kühe oder befördert den Ball direkt über die Grenze nach Serbien. Von einem Stadion zu sprechen wäre verwegen, lediglich eine Längsseite wird von fünf desolaten Sitzreihen flankiert. Beim Testspiel gegen Absteiger KF Ferizaj sehen 16 Fans und zwei österreichische Journalisten zu. Letztere werden vom Platzwart wohl für Scouts gehalten, er empfiehlt ihnen unter brütender Hitze die Nummer 5 aus der Verteidigung und die Nummer 7 aus dem Mittelfeld. Vielleicht werden sie eben jene lokalen Helden, die sich viele im Kosovo wünschen. Dann kann man vielleicht eine ähnliche Frage stellen wie Fadil Vokrri zum Abschied: "Hans Krankl, lebt der eigentlich noch?" (Philip Bauer und Rainer Schüller; derStandard.at; 16. August 2011)

Dieser Artikel entstand im Rahmen eines Journalisten-Austauschprogrammes zwischen dem Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) und derStandard.at.