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"Mr. Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder", forderte US-Präsident Ronald Reagan 1987 beim Berlin-Besuch von seinem sowjetischen Amtskollegen Gorbatschow.

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Klaus Schroeder (61) ist Zeithistoriker, Soziologe, Politologe und Leiter der Forschungsstelle SED-Staat an der Freien Universität Berlin.

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Er erklärt im Gespräch mit Birgit Baumann auch, warum viele 1961 vergeblich auf US-Hilfe hofften.

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Standard: Was wäre gewesen, wenn die Berliner Mauer 1961 nicht gebaut worden wäre. Hätte die DDR auch ohne diese Grenzsicherung so lange überlebt?

Schroeder: Ohne Abriegelung der Grenzen wäre die DDR nicht überlebensfähig gewesen. Irgendeine Maßnahme hatte erfolgen müssen, denn immer mehr Menschen verließen die DDR. Das wäre in die Millionen gegangen. Die Alternative zur Mauer wäre ein separater Friedensvertrag der DDR mit der Sowjetunion gewesen. Dann hätte die DDR die Verkehrswege nach Berlin kontrolliert.

Standard: Zurzeit wird wieder diskutiert, wer diese Mauer dringender wollte: der DDR-Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht oder der sowjetische Regierungschef Nikita Chruschtschow?

Schroeder: Beide wollten, dass die DDR funktioniert. Die Führung der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, Anm.), weil es ihr Staat war. Die Sowjetunion, weil sie weiter in den Westen expandieren wollte. Die DDR war für sie die Nagelprobe - ob Sozialismus auch in einem hochindustrialisierten Land funktioniert. Der Unterschied war: Chruschtschow musste auf die USA Rücksicht nehmen. Er gab erst grünes Licht, als klar war, dass der Westen auch stillhalten würde.

Standard: So überrascht, wie viele Westpolitiker im August 1961 taten, waren sie ja dann nicht.

Schroeder: Der Westen hatte mit der Abriegelung gerechnet, aber zunächst eher mit einem separaten Friedensvertrag. Es war ja auch die Strategie der Sowjetunion, Westberlin letztendlich einzukassieren. Wenn die Verkehrswege nach Westberlin von der DDR kontrolliert worden wären, hätte das Westberlin langfristig kaputt gemacht, und es wäre letztendlich Teil der DDR geworden.

Standard: Wem verdanken die Westberliner ihre Freiheit, dass sie eben doch nicht Teil der DDR wurden, am meisten?

Schroeder: Da waren alle dahinter, der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU), die USA, die Franzosen, die Briten. Westberlin war der Stachel im Fleisch der DDR und der Sowjetunion. Bis in die Achtzigerjahre hatten die SED und das Ministerium für Staatssicherheit Pläne für die Besetzung Westberlins fertig in der Schublade. Aber es kam nie dazu.

Standard: Warum nicht?

Schroeder: Westberlin war dann einfach doch zu stabil. Und später war die DDR zu schwach. 1989 konnte sie ja nicht mal mehr den Mauerfall aufhalten.

Standard: Wo kam das Material für den Mauerbau eigentlich her? Das war ja eine logistische Großaktion?

Schroeder: Es wurde aus dem ganzen Ostblock über Monate zusammengekarrt. Der Spiegel schrieb einmal, der Stacheldraht stamme aus dem Westen. Das wurde aber nie belegt. Ursprünglich wollte man Berlin nur durch Stacheldraht teilen. Erst ein paar Tage später, als die Menschen weiter flohen, baute man die Mauer.

Standard: Die Ostberliner waren sehr enttäuscht, dass die Amerikaner ihnen nicht halfen. Zu Recht?

Schroeder: Leider haben sie zu Unrecht gehofft und die USA überschätzt. Für Berlin wollten diese nicht in einem Krieg ziehen, die Franzosen und Briten auch nicht. Im Hinterkopf hatten die Amerikaner wohl den Gedanken: Für die Deutschen nicht, das ist auch nicht vor unserer Haustüre. 1961 waren die Wunden des Zweiten Weltkriegs noch nicht verheilt. US-Präsident John F. Kennedy meinte ja auch über die Mauer: Keine schöne Sache, aber immer noch besser als Krieg.

Standard: Immer noch wird der Schießbefehl an der Mauer von manchen geleugnet. Gab es ihn?

Schroeder: Es gab ihn zunächst durch verschiedene Äußerungen, später dann auch als Gesetz. Der letzte Beweis kam 1989, als er aufgehoben wurde. Also muss es ihn zuvor gegeben haben. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.8.2011)