„Der Mensch sei hilfreich und gut !" Diesem Imperativ Goethes steht die Realität gegenüber: der menschliche Geist ist schwach gegenüber den weniger oder gar nicht guten Eigenschaften Habgier, Machtgier, Selbstsucht, Egoismus. Seit der Mensch sich in Gruppen bis zu immer größeren sozialen Gefügen (Staat) begab, stellt sich die Notwendigkeit, die durch das Gefüge gewährleistete Schutzfunktion mittels des Ausgleiches oder besser Überwiegens der guten über die schlechten Eigenschaften aufrechtzuerhalten.

Theorie des staatlich sozialen Gefüges

Es gibt daher keine gesonderte Theorie des staatlichen Einflusses auf den Teilbereich Wirtschaft, es gibt nur eine Theorie des staatlichen = sozialen Gefüges überhaupt. Dieses unterliegt den bekannten Prinzipien des freien Eigentums und der Menschenrechte.
Die Funktion des Staates ist dabei die Aufrechterhaltung dieser Prinzipien im Inneren. Die weitere Schutzfunktion, nämlich die nach außen gegenüber anderen Staaten, wollen wir an dieser Stelle nicht behandeln.

Beobachtende Funktion

Die Schaffung der wirtschaftlichen Lebensgrundlagen kann den menschlichen Tugenden Fleiß, Familiensinn und Erfindungsgabe im Streben nach Freiheit und Eigentum überlassen werden. Der Staat beobachtet, ob der freie Lauf dieser Tugenden und Kräfte gewährleistet ist und greift ein, wenn Entwicklungen im Gange sind, die diesen Lauf gefährden.
Bildlich gesprochen, ist die Aufgabe der Straßenpolizei, nämlich möglichst zu verhindern, dass ich an der nächsten Straßenecke erschlagen oder ausgeraubt werde, nichts anderes als der staatliche Apparat zur Aufrechterhaltung des wirtschaftlichen Treibens der Menschen.

Unterschiedliche Zugänge in USA und Europa

Wir erleben derzeit eine heftige Grundsatzdiskussion der Frage nach mehr oder weniger staatlichem Einfluss auf die Finanzwirtschaft in den USA, die uns teilweise unverständlich ist. In den USA herrscht die grundlegende Doktrin, dass alles erlaubt ist, was nicht ausdrücklich verboten ist. Entgegengesetzt ist die Doktrin in Europa, dass alles verboten ist, was nicht ausdrücklich erlaubt ist. Welche von beiden etwa besser ist, soll hier keinesfalls behandelt werden. Beide Doktrinen bergen Gefahren in sich, Fehlentwicklungen unterschiedlicher Art zu begünstigen. Zum Beispiel hat Amerika keine Hemmungen, genmanipulierte Lebewesen und Pflanzen zu produzieren, solange nicht auf Grund von Beweisen der Schädlichkeit diese verboten werden, bei uns sind sie von vorne herein verboten.

Aufschrei der Betrogenen

Oder - und jetzt sind wir wieder bei der Wirtschaft, hat die US- Bankenwelt keine Hemmungen, die atemberaubend undurchsichtigen, bewusst unkontrollierbaren und unverständlichen auf Wetten beruhenden und dann noch als "Wertpapiere" bezeichneten Derivate zu erfinden und wie Sachwerte öffentlich zu verkaufen, da dies nicht verboten war und man auch alles bei den entsprechenden staatlichen Stellen einsetzte, damit sie weiterhin nicht verboten werden.

Nach dem weitgehenden Zusammenbruch solcher Papiere wird nun nach mehr staatlichem Einfluss gerufen. Dieser Ruf ist aber kein grundsätzlicher, sondern ein Aufschrei derjenigen, die mangels Wahrnehmung der grundlegenden Staatsfunktion um ihr Erspartes betrogen wurden.

Kontrolle der Anbieter

Der Staat hat darauf zu wachen, dass in der Suche nach möglichst sicherer Anlage auf Anbieter gestoßen wird, die den normalen Bürger nicht betrügen. Dies ist keine Frage von mehr oder weniger staatlichem Einfluss, sondern eine Frage der gewissenhaften Wahrnehmung der grundsätzlichen Schutzfunktion des Staates, auf die das einzelne Mitglied Anspruch hat. Dieser Anspruch ist durch die Kompliziertheit der modernen Wirtschaft nur durch integere, erfahrene und wachsame Beamte zu erfüllen, was prinzipiell keinen Unterschied zu den einfacheren Gestaltungen der Schutzfunktion (Straßenpolizei) macht. Der Unterschied liegt nur in der erhöhten geistigen und moralischen Anforderung an die entsprechenden Beamten, da Geld und Macht als Versuchungen besondere Rollen spielen. Hierbei kommt es wie selbstverständlich in den Sinn, dass solche Beamte, die an der Nahtstelle zu Macht und Geldgier tätig sein müssen, auch entsprechend hoch bezahlt werden, um den Versuchungen des Geldes weniger stark ausgesetzt zu sein.

Gefährdung des Staates

Erfüllen jedoch die Organe eines Staates ihre eigentlichen Aufgaben nicht mehr, ist der gesamte Staat von innen her aufs Höchste gefährdet.
Es sollte somit der Nachweis erbracht sein, dass die Diskussion über mehr oder weniger staatlichen Einfluss an Hand der aktuellen Finanzprobleme in die falsche Richtung führt. In Wahrheit geht es um die gleichen Probleme der ersten menschlichen Sozialgebilde: der Staat muss seine Schutzfunktion ständig an die Gegebenheiten der menschlichen Entwicklung anpassen.

Nicht direkt zu diesem Fragekreis gehört das Thema der Beeinflussung des Wirtschaftsgeschehens durch staatliche Investitionen. Indirekt ist diese Frage aber mit umfaßt: staatliche Investitionen sind dort erforderlich, wo sie den Rahmen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens der Menschen gewährleisten müssen. Die ordentliche Gebarung eines Staates muss aber gewährleisten, dass die Kosten durch diejenigen getragen werden, die von dieser Leistung profitieren. (Leser-Kommentar, Wolfgang Korp, derStandard.at, 12.8.2011)