Beuschel und Meeresschnecken im Amarantis - und noch das beste Foto dieses Abends, fürchte ich

Zweimal zwei Gänge, Wasser, Saft, Kaffee: 81,70 Euro

Foto: Harald Fidler

Kalbskopf - Porträtfotografie am Abend ist halt nicht so meine Stärke

Foto: Harald Fidler

Was Photoshop noch retten konnte: die Dorade auf Erbsen und Minze

Foto: Harald Fidler

Lachsforelle, schemenhaft, aber gut

Foto: Harald Fidler

Bin ich froh, dass ich nur eingesprungener Aushilfskenner und bekellnernder Gastrodilettant bin. Das weiß ich natürlich nicht erst, seit ich mit einem richtigen Gourmetkritiker im Amarantis plaudern war. Essen auch.

Damit Sie ausnahmsweise nicht so lange auf das Wesentliche warten müssen: Ich fand a) das Essen wirklich gut, über wesentliche Strecken. Den Service b) sehr präsent, aber schwer einzuschätzen, weil in Gesellschaft eines stadt- und offenkundig auch amtsbekannten Kritikers. Und die Spesen c), bei beiderseits überraschend konsequentem Alkoholverzicht, ebenso überraschend mezzo prezzo, jedenfalls hatte ich eine höhere Rechnung erwartet. Ja, in der ehemaligen Grotta Azzura flicht man naturgemäß laufend ein po Italienisch ein, und ich stehe demonstrativ auch zu dieser meiner vielfältigen Sprachschwächen.

Wirklich gut schmeckte mir (und Leon, dem Profi, aber er kannt's natürlich schon) das Milchkalbsbeuschel mit den Meeresschnecken, dem für mich nur mittelwichtigen Ricottanockerl und dem bretonischen Paprika. Neue Erkenntnisse über die Produkte der Bretagne, ich lerne also: Bretonischer Paprika ist angenehm unaufdringlich (eingesetzt im Amarantis jedenfalls) und macht das Beuschel (wider Befürchtung) noch lange nicht zum Gulasch.

Von ganzem Herzen

Potenzielle Paprizierungskatastrophen also umschifft, kann man sich einer zentralen Lebensweisheit vergewissert sehen, und das nun ganz besonders: Wo Herz im Spiel ist, sollten Schnecken nicht weit sein. Ob nun nackt (hat schon jemand Nacktschnecken probiert?) oder eben inner- wie außerhäusig.

Logisch: Herz ist purer Muskel, als einziger permanent im Training. Schnecke praktisch auch, vielleicht im Tempo ein bisschen relaxter.  (Ob die Wildbiologin das unterschreibt?). Muss praktisch passen. Wie Pferd und Reiter, wie Esel und Salami, wie Leber und Käse. Oder was empfehlen Sie zur Schnecke?

Schnecke, sentimental

Das hat sich schon vielfach erwiesen, wiewohl Popper das als Beweis gewiss nicht gelten ließe. In Isola Dovarese zeigte sich das Herz für Schnecken ganz besonders. Auch, wenngleich gnadenlos, in Hohensinns vorletztem Betätigungsfeld. Und besonders einfühlsam in Thallern, wovon hier wohl noch heuer zu lesen sein weird. (Bemühen Sie an dieser Stelle bitte nicht den "Druckfehlerteufel".)

So schneckenschnell kommt man vom Konkreten ins all Gemeine. Zurück zum Ausgang, lassen wir die Anderen den Punkt machen. Gabs noch was außer Herz und Lunge und Schnecken?

Kopf, los!

Bisweilen steht der Kopf dem Herzen im Weg. Leon nahm mir, feinfühlig oder doch kühl bedacht, die Denkaufgabe ab und angelte sich den Kalbskopf mit Paradeiservinaigrette und Basilikummayonnaise. Herzlos, aber das kennt er ja schon wie die Schnecken, also klug gewählt. Arbeiten wie die Profis eben.

Wie arbeiten die? Leon beeindruckt durch Können, Kennen und vor allem Lässigkeit.

Entspannt nimmt er meine Frage, ob seine, nun, etwas skeptische Bewertung des Amarantis uns darauf einstellen sollte, dass man uns zumindest ins Beuschel oder auf den Kopf spuckt. Kann sein, aber das weiß man ja nie, sagt Leon, der Abgebrühte.

Sherry, Sherry, Fidler!

Souverän, mit ungebrauchtem Saucenlöffel (ich spitzelte noch unschlüssig mit meiner gebrauchten Gabel in seinen Kalbskopf), attestiert er mir in Millisekunden, dass mich wohl der Sherry am Steinpilzparadeiserfond um mein Lachsforellenfilet irritiert.

Ich kann das als bekennender Dilettant nicht bestätigen, würde meine Irritation zwischen Fisch und Sauce beim ersten Bissen als metallisch beschreiben, aber was weiß ich schon, erklären oder präzise benennen konnte ich mein kleines Problem jedenfalls nicht.

Leon hatte kein Stück (der übrigens für mich guten) Lachsforelle, fand aber den Sherry milder und den Fischgeschmack nun besser eingebunden, als er schließlcih verwundert meine Sauce auflöffelte. Verwundert, dass ich meinen Teller nicht so präzise freigelegt hatte wie er.

Fingerspitzengefühl

Der Profi sagt, wenn er erkannt wird, "nehm ich", wenn ihm etwas außerhalb der Karte ans Herz gelegt oder den Kopf geworfen wird,  in diesem Fall also Dorade mit Erbsenpüree und Minze. Ich habe, role-model-resistent erneut mit schon gebrauchter Gabel, nicht den goldigen Fisch, aber das Erbsenpüree angespitzelt, und kann nun vage beschreiben, was den Profi ausmacht.

So ein richtig, richtig gutes Erbsenpüree (mir wars ja ein bisschen zu salzig) will gründlich ausgelöffelt werden. Was heißt ausgelöffelt! Wenn das Erbsenpüree so richtig gut ist, fährt noch der Finger zwei-, drei-, viermal über den Tellergrund und von dort zum Mund, ohne weißes Hemd oder schwarzen Anzug zu begrünen. Lässige Begeisterung muss man auch zeigen können. Oder war's begeisterte Lässigkeit? Sie sehen, ich habe noch einen weiten Weg vor mir, bevor ich den Disclaimer gleich unter diesem Text weglasse.