Wer hätte das vor knapp sieben Jahren gedacht? Dass man nun die die Wortführerin jener demokratischen Orangen Revolution, die Ende 2004 den Vertrauensmann Moskaus, Wiktor Janukowitsch, nach einer gefälschten Präsidentenwahl und dank gewaltloser wochenlanger Demonstrationen von der Macht vertrieben hatte, die Galionsfigur des demokratischen Aufbruches, Julia Timoschenko, vor Gericht stellen und in Untersuchungshaft nehmen würde? Heute ist der damals gestürzte Janukowitsch wieder an der Macht und mithilfe des von ihm kontrollierten Geheimdienstes und der hinter ihm stehenden Oligarchen führt er einen Rachefeldzug gegen die Sieger von gestern.

Unter einem fadenscheinigen Vorwand wurde bereits im Dezember der ehemalige Innenminister und Mitorganisator der damaligen Revolte, Jurij Luzenko, inhaftiert. Jetzt ließ man die langjährige Ministerpräsidentin und Oppositionspolitikerin, die ihm Frühjahr 2010 die Präsidentenwahl gegen Janukowitsch knapp verloren hatte, mit dem Vorwurf anklagen, sie habe 2009 einen für die Ukraine ungünstigen Vertrag mit Russland über Gaslieferungen abgeschlossen.

Die Orange Revolution scheiterte in erster Linie wegen der endlosen Grabenkämpfe zwischen den beiden Leitfiguren, Präsident Wiktor Juschtschenko und der ehrgeizigen Regierungschefin Timoschenko. Ihre maßlos erbitterte Feindschaft lähmte das Land der 45 Millionen Ukrainer und machte den Weg frei für die Rückkehr des rachedurstigen Janukowitsch.

Manche westliche Bankiers und hochrangige EU-Bürokraten zeigten sich mit der anfänglichen Scheinstabilität unter dem angeblich zum Demokraten verwandelten Janukowitsch zufrieden. Der bereits im Sommer 2010 veröffentlichte flammende Appell des bedeutenden ukrainischen Schriftstellers Juri Andruchowitsch an die internationale Öffentlichkeit - "Bitte beobachten Sie mein Land, es wird wieder zum Polizeistaat" - verhallte in Brüssel ungehört. Man führte Verhandlungen über ein "tiefes und umfassendes" Assoziations- und Freihandelsabkommen mit der Ukraine beflissen weiter.

Die strategisch wichtige und potenziell so reiche Ukraine ist eines der korruptesten und ärmsten Länder Europas geblieben. Seit seinem Wahlsieg beherrscht Janukowitsch mit seiner Partei fast alle wichtigen politischen Institutionen, das Verfassungsgericht, die Justiz und die Medien. "Reporter ohne Grenzen" setzte die Ukraine auf den 131. Platz unter 178 Staaten, eine Verschlechterung um 42 Plätze. Die Weltpresse schreibt über Willkür und sowjetische Reflexe in Kiew, die FAZ zieht die vernichtende Schlussfolgerung: "Die Ukraine verwandelt sich in eine Halbdiktatur."

Die grotesken Vorwürfe gegen die hochrangigen Angeklagten der demokratischen Opposition haben die hässliche Fratze des bisher verdeckten autoritären Systems entlarvt. Janukowitsch hat durch eine umstrittene Vereinbarung mit Russland im April 2010 den Pachtvertrag für die russische Schwarzmeerflotte im ukrainischen Sewastopol bis 2042 statt wie geplant bis 2017 verlängert. Zugleich will Moskau die Kontrolle über die strategischen Erdgasleitungen der Ukraine gewinnen und strebt einen Anschluss des Landes an die Zollunion mit Russland, Weißrussland und Kasachstan an.

Janukowitsch sucht die Nähe der EU, um seine Position gegen allzu gefähr- liche russische Umarmungsversuche zu verstärken. Die Verhaftung der mutigen Oppositionspolitikerin könnte sich allerdings als eine folgenschwere Fehlkalkulation in allen Richtungen erweisen. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.8.2011)