Irina Salewski mit dem Pokal der heurigen American Football-WM, die im Juli in Wien ausgetragen wurde.

Foto: Christoph Liebentritt

Wenn Irina Salewski gerade nicht für das American Football-Magazin Kick Off über First-Downs, Field Goals, Turnovers oder Fumbles schreibt, widmet sie sich dem "Wunder von Cordoba" und erforscht in ihrer Diplomarbeit Vorurteile und Klischeebilder, die Österreicher und Deutsche voneinander haben. Mit daStandard.at hat sich die "in Österreich lebende Russlanddeutsche" über Integration, Assimilation und Kleinrussland unterhalten.

daStandard.at: Sie sind Redakteurin bei Kick Off, einem American Football-Magazin. Wie kamen Sie zu diesem Job?

Salewski: Ich habe in der Standard-Sportredaktion ein Volontariat absolviert und so den Kick Off-Chefredakteur kennengelernt der mich fragte, ob ich für sein Magazin schreiben möchte. Ich wollte, obwohl ich keine Ahnung von Football hatte. Aus einer Geschichte wurden zwei, drei ... Heute bin ich ein großer Football-Fan und das Darüberschreiben macht mir viel Spaß.

daStandard.at: Sind Sie die einzige Journalistin, die für Kick-Off schreibt?

Salewski: Bei Kick Off gibt es außer mir nur noch eine andere Frau, die das Magazin organisatorisch betreut. Als Schreiberin bin ich aber die einzige Frau, ja.

daStandard.at: Was tun Sie, wenn Sie nicht gerade Artikel über American Football schreiben?

Salewski: Ich finalisiere meine Diplomarbeit in der es um das "Wunder von Cordoba" geht - natürlich ein Sportthema. Als Theaterwissenschaftlerin versuche ich Fußball und Theater zu verbinden. Es geht dabei, wie könnte es anders sein, wenn das Wort "Cordoba" fällt, um die Beziehung zwischen Österreichern und Deutschen.

daStandard.at: Ein heikles Thema?

Salewski: Eigentlich nicht. Weil ich mich mit den Vorurteilen und Klischeebildern wissenschaftlich befasse, weiß ich um deren Wurzeln und es fällt mir leicht damit umzugehen. Der angenehme Nebeneffekt ist außerdem, dass auch ich mittlerweile keine Vorurteile mehr habe.

daStandard.at: Sie haben ja mit beiden Ländern eine persönliche Geschichte.

Salewski: Sobald ich den Mund aufmache und spreche, werde ich von den Österreichern als Deutsche identifiziert. Dabei habe ich gar nicht so lange dort gelebt.

daStandard.at: Wie lange denn?

Salewski: Ich war fünf Jahre in Heidelberg, einer wirklich wunderschönen Stadt, die mir aber irgendwann zu klein wurde. Ich wollte weg und kam nach Wien.

daStandard.at: Wieso fiel die Wahl auf Wien und nicht auf eine deutsche Großstadt?

Salewski: Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Meinen allerersten Tag in Deutschland habe ich in Berlin verbracht, wo es mir aber nicht sonderlich gefiel.

daStandard.at: Wieso nicht?

Salewski: Ich empfand die Stadt als viel zu groß und hatte den Eindruck, dass sie mich verschluckt. Wien hatte ich auf einer früheren Reise schon kennengelernt und in schöner Erinnerung. Und weil man hier auch Medien- und Theaterwissenschaften studieren kann, kam ich her. Ich lebe jetzt seit fünf Jahren hier und kann mir gut vorstellen, hier dauerhafter Wurzeln zu schlagen.

daStandard.at: Fünf Jahre Wien, fünf Jahre Heidelberg - was war davor?

Salewski: Ich bin in Kasachstan, das damals zur Sowjetunion gehörte, geboren und in Russland aufgewachsen. Meine Familie ist deutscher Abstammung, wir sind so genannte Russlanddeutsche, die nach dem Zerfall der Sowjetunion wieder in die historische Heimat, also nach Deutschland, zurückgekehrt sind.

daStandard.at: Wo genau in Russland haben Sie gelebt?

Salewski: Als ich vier war, zogen wir in die Stadt Naberezhnije Tschelny, die in der russischen Teilrepublik Tatarstan liegt. Wir lebten dort in einer richtigen russischen Plattenbaustadt, die damals massiv ausgebaut wurde, um die Arbeiter des dortigen Automobilwerkes unterzubringen. Nachdem ich die Schule absolviert hatte, ging die ganze Familie nach Deutschland.

daStandard.at: Konnten Sie zu diesem Zeitpunkt schon Deutsch?

Salewski: Nein, ich bin ohne ein Wort Deutsch zu können nach Heidelberg gekommen.

daStandard.at: Wie sehen Ihre Erinnerungen an diese Zeit aus?

Salewski: Die eindringlichste Erinnerung bezieht sich auf meinen ersten Tag in Berlin: Ich wollte mir was zum Trinken kaufen und wusste nicht, wie ich das sagen könnte. Also habe ich einfach mit dem Finger hingezeigt und mir im selben Moment gedacht: Das will ich so nie wieder machen müssen. Wenn man in ein Land kommt und dort leben will, soll man sich gefälligst auch sprachlich integrieren.

daStandard.at: Wie haben Sie Deutsch gelernt?

Salewski: Wie alle nach Deutschland zurückkehrenden Russlanddeutschen wurden auch wir zuerst in ein Übergangslager gebracht, wo die ganze Familie in einem Zimmer lebte. Alltägliche Dinge lernte ich von jenen, die schon länger im Lager lebten. Zusätzlich habe ich einen Integrationssprachkurs für Russlanddeutsche besucht, danach das Gymnasium, was wirklich hart war. Rückblickend muss ich sagen, dass die Schule meinen schnellen Spracherwerb begünstigt hat: Ich musste Deutsch lernen, um dem Unterricht zu folgen und wenn man muss, muss man halt einfach.

daStandard.at: Sprachkompetenzen von Zugewanderten sind ein vieldiskutiertes und heikles Thema. Wie positionieren Sie sich in dieser Debatte?

Salewski: Ehrlich gesagt finde ich es gar nicht so unrichtig, wenn über Sanktionen für Menschen, die die Sprache nicht lernen wollen, nachgedacht wird. Wenn ich in einem Land leben möchte, brauche ich natürlich die jeweilige Sprache. Ich verstehe nicht, wie man fünf Jahre in einem Land leben kann, ohne die Sprache zu sprechen und fände Sanktionen deshalb nicht unangebracht.

daStandard.at: Welche Sanktionen fänden Sie angemessen?

Salewski: Gott sei Dank bin ich keine Politikerin und muss über solche Fragen nicht entscheiden.

daStandard.at: Wenn Sie Integrationsstaatssekretärin wären ...

Salewski: ... würde ich versuchen die Entstehung so genannter Parallelgesellschaften zu verhindern. Ich habe das selbst erlebt: Die Siedlung, in der wir in Heidelberg wohnten, wurde Kleinrussland genannt. Dort war Russisch die vorherrschende Umgangssprache. Ich finde es problematisch, wenn einem ein Umfeld geschaffen wird, in dem man mit seiner Herkunftssprache im Alltag gut zurechtkommt und nicht unbedingt auf die Kenntnisse der Landessprache angewiesen ist. Ohne Sprachkenntnisse hat man in der Gesellschaft keine Chance und eine aussichtslose Zukunft. Auf der anderen Seite muss man natürlich auch sagen, dass zwischen Integration und Assimilation nur ein sehr schmaler Grad liegt.

daStandard.at: Ab wann ist man nicht mehr "nur" integriert sondern schon assimiliert?

Salewski: Das ist eine schwierige Frage. Ich bin in einer Phase, in der ich diese Grenze noch selbst suche. Ich bin im Prinzip für alles offen, bestes Beispiel: Ich habe mir kürzlich ein Dirndl gekauft und es noch am selben Tag ausgeführt. Gleichzeitig finde ich es sehr schade zu merken, dass ich mit Russland nicht mehr die Verbindung habe, die ich gerne hätte. Ich finde Assimilation nicht richtig. Natürlich sollte man sich seiner nationalen und kulturellen Identität bewusst sein. Aber sich eben gleichzeitig auch um die Integration bemühen.

daStandard.at: Sehen Sie sich als Russin, als Deutsche oder als Österreicherin?

Salewski: Ich sage immer, dass ich eine in Österreich lebende Russlanddeutsche bin, die von allen drei Ländern etwas in sich trägt. Außerdem bin ich Made in UdSSR und stolz darauf. (Meri Disoski, daStandard.at, 16. August 2011)