Weil sie sich von Österreich betrogen fühlen, fordern sie seit Jahren Gerechtigkeit. Eine kleine Gruppe an Israelis, darunter auch Holocaust-Überlebende, wollen die bisherigen Kompensationszahlungen durch den Allgemeinen Entschädigungsfond nicht akzeptieren. Nach dem sogenannten Washingtoner-Abkommen zwischen den USA und Österreich im Jänner 2001 wurden rund 20.000 Familien österreichischer Holocaust Opfer pauschal 210 Millionen Dollar zugesprochen. „Das sind nur 14 Prozent unseres Besitzes“, kritisiert der Israeli 59-jährige Israeli Doron Weißbrot das Abkommen. Insgesamt würden ihnen die geforderten 1,5 Milliarden plus 1 Prozent Zinssatz zustehen, erklärt er. „Gerecht wären vier oder fünf Prozent Zinsen. Aber uns ist klar, dass Österreich bei der heutigen wirtschaftlichen Lage keine fünf Milliarden Dollar aufbringen kann“, sagt er.

Dorons Familie ersten Grades ist früh genug vom Holocaust geflüchtet. Seine Mutter ist schon 1934 nach Palästina ausgewandert, sein Vater 1938. Er wurde dann 1952 in Israel geboren, hat aber die ersten vier Lebensjahre mit seiner Familie in Wien verbracht. Doch nicht alle seine Verwandten hatten Glück. Sein Großvater ist geblieben und habe den Horror erst zu spät erkannt. „Er dachte, weil er im ersten Weltkrieg als Offizier gekämpft hat, könne ihm nichts passieren.“ Auch die Tante seiner Mutter, ihren Mann und deren Tochter haben die Nazis in Auschwitz ermordet.

Das Archiv

„Alles was von meiner Familie übrig blieb, ist Papier“, sagt Doron während er zwei riesige Ordner aus Einkaufstaschen hervorholt. Nach und nach geht er gründlich alles durch. Die gesamte Geschichte seiner Familie zieht an uns vorbei. In seinem „Archiv“ finden sich Besitzangaben, die damals von allen Juden eingefordert wurden. Heute verwendet er dieselben Dokumente als Beleg für den verlorenen Besitz seiner Familie. In Wien hatten sie Häuser am Kardinal-Nagl-Platz und in der Oberen Donaustraße, erklärt er und zeigt auf das Papier. Daneben finden sich dutzende Briefe, die er an österreichische Parteien und Institutionen geschickt hat. In der Hoffnung, jemand würde Druck ausüben um den Fall wieder aufzurollen. 

Glawischnig

Auch den Grünen habe er geschrieben. Er zeigt eine Antwort von Ewa Glawischnig, datiert mit 2. März 2011, in der sie schreibt: „Unserer Ansicht nach war das Washingtoner Abkommen 2001 eine symbolische Geste; es ging nie um den Versuch, alle jüdischen Vermögensverluste der NS-Zeit zu kompensieren. Damals einigten sich die Vertragsparteien auf eine Entschädigungssumme in Höhe von 210 Millionen US-Dollar; es war, so meine ich, allen Beteiligten klar, dass dieser Betrag nicht einmal annähernd die materiellen Schäden abzudecken in der Lage sein würde.“

Doron Weißbrot hat hunderte Briefe an Abgeordnete verschickt. „Aber Glawischnig war eine Überraschung. Sie hat als einzige zugegeben, dass 2001 niemand an einer wahren Kompensation interessiert war“, sagt er. Doch wie alle anderen, die von ihm kontaktiert wurden, meint auch Glawischnig in ihrem E-Mail, dass ein Wiederaufrollen des Falles unrealistisch erscheint. Doron will trotzdem nicht aufgeben. Er habe gründlich gearbeitet und jahrelange Forschung betrieben. Da soll nicht umsonst gewesen sein, sagt er.

Auschwitz

In seinen Ordnern finden sich auch Dokumente aus Auschwitz. „Konvoi D 901/23 (…) mit 1000 Juden am Weg nach Auschwitz unter der Beobachtung von Stabsfeldwebel Brand“ steht etwa auf einem Papier von 1942. Weiter unten, wo namentlich alle Familien aufgelistet sind, die an diesem 4. September vor 69 Jahren aus Frankreich deportiert wurden, steht auch „Aleksandrowicz“, die Familie der Tante seiner Mutter, Cili. Sie blieb damals in Wien, flüchtete dann aber 1939 nach Belgien und 1942 weiter nach Frankreich, von wo sie dann im Konvoi D 901/23 gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer Tochter Esther deportiert wurde.

„Für diesen Teil meiner Familie habe ich auch volle Kompensation gefordert“, sagt Doron. Aber der Entschädigungsfond wäre zu streng gewesen. Es hieß, er müsse beweisen können, dass die damals 20-jährige Esther nach ihrem Vater gestorben sei. Nur dann würde das Erbrecht einer Blutsverwandten von ihm den Besitz übertragen und ihm die Entschädigung zusprechen. „Um das zu beweisen, habe ich aus Auschwitz den Totenschein von Esther besorgt“, sagt er und zeigt mir das Dokument, auf dem steht: „Die Modezeichnerin Esther Aleksandrowicz. Vater: Siegmund Aleksandrowicz. Mutter: Zilla Aleksandrowicz, geborene Neugröschel. Todesusache: Lungenentzündung.“ Er habe zwar bewiesen, dass Esther erst vergleichsweise spät nach ihrer Ankunft in Auschwitz gestorben ist. „Aber für eine Kompensation hat es nicht gereicht, weil ich das Todesdatum ihres Vater nicht belegen kann“, sagt er.

Geldfrage

Doron trifft sich laufend mit fünf anderen Israelis, die unzufrieden mit den 14 Prozent ihrer Forderungen sind. „Aber klagen können wir zurzeit nicht. Dazu brauchen wir Millionen für den Prozess“, meint Doron auf die Frage wie es weitergeht. Hätte er mehr Geld, könne er auch eine Anzeige in die New York Times geben um die 6.800 US-Österreichischen Juden zu mobilisieren, „die sich bestimmt auch ungerecht behandelt fühlen“. Dann könnte man eine Sammelklage ins Auge fassen. Neben ihm arbeiten in Israel noch vier weitere an dem Fall. „Wir spielen seit Jahren mit der Idee etwas zu unternehmen. Aber ich bin nicht Dafne Leef“, sagt er in Anspielung auf die Initiatorin der aktuellen israelischen Protestbewegung. „Sie hat Hunderttausende mobilisiert. Wir sind nur zu fünft.“ (Andreas Hackl aus Israel, derStandard.at, 17. August 2011)