London - Eine Woche nach dem Ende der englischen Konsum-Krawalle gibt es Streit über die drakonischen Strafen gegen Beteiligte und Trittbrettfahrer. Das Krongericht von Chester verurteilte zwei junge Männer zu jeweils vier Jahren Haft, weil sie auf Facebook zu Ausschreitungen aufgerufen hatten, die nicht stattfanden. Magistratsgerichte in London und Manchester haben reihenweise Gefängnisstrafen ohne Bewährung wegen Bagatelldelikten verhängt. Im Zusammenhang der Krawalle seien harte Urteile gerechtfertigt, sagt Premier David Cameron: "Die Gerichte senden eine klare Botschaft, und das ist sehr richtig."

Dagegen sprechen führende Strafrechtsjuristen sowie Abgeordnete des kleinen liberalen Koalitionspartners von einer Überreaktion. "Die Gerichte haben sich von kollektiver Hysterie anstecken lassen", glaubt der frühere Vorsitzende des Strafverteidiger-Bundes, Paul Mendelle.

Die englische Justiz hat mit Schnellverfahren und Nachtsitzungen auf die massenhafte Kriminalität reagiert. Geständige Angeklagte werden häufig binnen 15 Minuten abgefertigt. Von den landesweit rund 3000 Festgenommenen wurden bereits knapp die Hälfte den Gerichten zugeführt. Laut Justizministerium sind 90 Prozent der Angeklagten männlich, 60 Prozent haben Vorstrafen, 21 Prozent sind unter 18 Jahre alt. Zwei Drittel sitzen in U-Haft; für vergleichbare Delikte trifft dies normalerweise zehn Prozent der Beklagten.

Allein in London stehen mehr als 1000 Krawall-Beteiligte unter Anklage - und die Ermittlungen seien "noch längst nicht vorbei", sagt der amtierende Polizeichef Tim Godwin. Er rechnet mit rund 3000 Aburteilungen in London.

Bei den viertägigen Krawallen kamen fünf Menschen ums Leben, Hunderte wurden verletzt, darunter viele Polizeibeamte.

Die beiden Facebook-Desperados, 20 und 22 Jahre alt, waren nicht vorbestraft und geständig. Ihre unabhängig voneinander verfassten Aufrufe nannten Ort und Zeit der geplanten Plünderungen in Northwich und Warrington.

Beide wurden nach einem im Jahr 2007 verabschiedeten Strafrechtsparagrafen verurteilt, der sich bisher vor allem gegen islamistische Extremisten richtete. Da in England die Halbstrafe gilt, müssen die Männer lediglich zwei Jahre auch wirklich absitzen. Das Urteil werde "hoffentlich der Abschreckung dienen", sagte Richter Elgan Edwards zur Begründung. (sbo, DER STANDARD, Printausgabe, 18.8.2011)