In Yongin in Südkorea, einer Satellitenstadt vor den Toren Seouls, wird bereits in Hochhäusern angebaut. Monatlich werden 1,2 Tonnen Salat und Kräuter geerntet.

Foto: Insung Tec

Ortet "die dritte landwirtschaftliche Revolution": Despommier

Foto: Malte E. Kollenberg

STANDARD: Wie sind Sie vor zehn Jahren auf die Idee gekommen, Hochhäuser zum Anbau von Lebensmitteln zu nutzen?

Despommier: Ich habe damals an der Columbia Universität in New York unterrichtet. Da die Themen meines Kurses ziemlich deprimierend waren, haben die Studenten mitten im Semester angefangen zu protestieren: Wenn wir schon wissen, dass das Wasser verschmutzt ist, das Essen verdorben und die Erde zusammenbricht, dann können wir unsere Bankkonten gleich leer räumen und uns eine gute Zeit machen. Es gibt so oder so keine Hoffnung, haben sie gesagt.

STANDARD: Was folgte dann?

Despommier: Als Reaktion darauf habe ich meinen Studenten aufgetragen, ein Projekt zu entwickeln, das einen positiven Ansatz verfolgt. Daraufhin wollten sie am Rooftop Farming arbeiten: Lebensmittel auf Dächern anbauen. Das Ergebnis war aber noch deprimierender, denn nach unseren Kalkulationen könnte man am Beispiel von Manhattan mit Rooftop Farming lediglich zwei Prozent der Bewohner mit Reis ernähren.

STANDARD: Und dann die zündende Idee?

Despommier: Mein Gedanke war: Wenn es mit Hausdächern nicht funktioniert, wieso bauen wir die Lebensmittel nicht innerhalb der Gebäude an? Wir wissen ja aus anderen Bereichen, wie man Pflanzen "indoor" anbaut und bewässert - auch wenn das meist nicht ganz legal ist. Den Kurs über Vertical Farming habe ich elf Jahre gegeben. Jedes Jahr kamen mehr Studenten hinzu. Am Ende waren es 106. Nun, da ich im Ruhestand bin, tragen sie meine Idee weiter.

STANDARD: Welche Investoren sind an Vertical Farming interessiert?

Despommier: Zum Beispiel Korea: Dort wurde ein Prototyp einer vertikalen Farm errichtet, um zu sehen, wie nun fortgefahren werden soll. In Japan gibt es bereits eine kommerziell genutzte dreistöckige vertikale Farm. In Den Bosch in Holland wird Gemüse ebenfalls innen angebaut - drei Stöcke unter der Erde. In Manchester gibt es seit Juli auch ein neues Projekt. Es sprießen die vielfältigsten Ideen.

STANDARD: Auf dem Papier klingt das Konzept fast perfekt. Das große Problem ist aber, dass die immensen Kosten für künstliche Beleuchtung ein bis jetzt kaum überwindbares Problem darstellen?

Despommier: Wir sind auf dem besten Weg, auch dieses Problem zu lösen. Es gibt mittlerweile ein sehr energiearmes LED-Licht, das nur Strahlen zwischen 400 und 700 Nanometer Wellenlänge abgibt - genau jenes Spektrum, das die Pflanzen benötigen. Diese Leuchten sind äußerst effizient.

STANDARD: Wieso gibt es dann nicht bereits mehr vertikale Farmen?

Despommier: Aber die gibt es doch. Bis zum vorigen Jahr war das noch anders. Bis jetzt sind die meisten Projekte zwar noch Prototypen, aber das ist eben der normale Verlauf bei neuen Erfindungen.

STANDARD: Für welche Länder wäre Vertical Farming interessant?

Despommier: Nach meiner Einschätzung haben mehrere Länder Vertical Farming bitter nötig, zum Beispiel Australien, das ja praktisch eine Wüste ist. Australien hat zum einen die nötige Technologie, zum anderen haben die Leute ein starkes Bedürfnis nach gesunden Lebensmitteln. Man würde zudem enorme Mengen Wasser einsparen und zusätzlich weniger Nahrungsmittel aus dem Ausland importieren müssen. Mit anderen Worten: Für Australien wäre Vertical Farming ideal.

STANDARD: Und darüber hinaus?

Despommier: Alle Staaten im Mittleren Osten können Vertical Farming auch gut gebrauchen - und viele von ihnen haben bereits Interesse angemeldet, auch wenn sie sich noch nicht verpflichtet haben. Doch das werden sie. Letztendlich müssen sie sogar.

STANDARD: Was macht Sie sicher?

Despommier: Wenn ein Land imstande ist, seine eigene Nahrung zu produzieren, wird die Öffentlichkeit das auch einfordern. Das wird eine ganze Menge an Handelsabkommen zerstören und internationale Beziehungen verändern. Vertical Farming wird die dritte landwirtschaftliche Revolution sein. (Fabian Kretschmar, DER STANDARD Printausgabe, 18.8.2011)