Politische Agonie scheint nun die Nebenregierung der Sozialpartnerschaft - und gerade die gerne als Schiedsrichter und Nachhilfelehrer auftretende Unternehmerseite - befallen zu haben. Sie, die - oft zu Recht - "Stillstand" beklagt und "letzte Chancen für die Regierung" einmahnt, hat im ureigensten Terrain der Arbeitszeitpolitik eine diskutable Gewerkschaftsinitiative für eine sechste Urlaubswoche niveaulos unprofessionell abgeblockt. Als billiges Revanchefoul für ÖGB-Taubheit bei weiterer Flexibilisierung und Pensionsreform?

Natürlich liegen alle Einwände gegen diese Form der Arbeitszeitverkürzung so klar auf der Hand, dass man sie gar nicht rituell wiederholen muss. Auch zeigt das GPA-Lob auf GÖD-Erfolge für 6 Wochen Beamtenurlaub keinerlei ökonomische Einsicht. Vielleicht haben FPÖ-nahe AUF-Polizeigewerkschafter mit wehleidiger Schwerarbeiterpose und KZ-Zwangsarbeiter-Illustration ihre Urlaubsforderung schon gekillt.* Und doch ist es eine genuine und legitime Gewerkschaftsaufgabe, ein Gleichgewicht zwischen Beschäftigung, Sicherheit, Einkommen und Zeitwohlstand herzustellen.

Es geht die Unternehmer schlicht und ergreifend nichts an, ob Arbeitnehmerinnen und ihre Verbände den erarbeiteten Reichtum lieber in noch mehr Freizeit, sozialer Sicherheit oder höheren Löhnen und welchen Mix sie bevorzugen - solange der Produktivitätsfortschritt nur ein- und nicht dreimal verteilt wird. Also klar ist, dass eine sechste Urlaubswoche eben auch auf Kosten der Gehälter, "bei vollem Lohnausgleich" allenfalls nach Maßgabe dadurch erzielter Rationalisierungsgewinne und nur mehrheitsfähig möglich ist.

Doch anstatt die Gewerkschaft auf gesamtwirtschaftliche Vernunft, die Repräsentativität ihrer Forderung bei Arbeitnehmern unter realistisch einkommensdämpfenden Bedingungen und unterschiedliche Interessen verschiedener Arbeitnehmergruppen anzusprechen und praktikable win-win-Kompromissangebote zu beidseitigem Vorteil zu machen, kam von Leitl und Sorger nur Njet: "Wir arbeiten in Österreich zu wenig, nicht lange genug und nicht flexibel genug...Uns muss klar sein, dass es so nicht weitergehen wird. Wir werden älter, länger arbeiten wir aber nicht."

Wie wahr! Doch wo bleibt der Beitrag, die Selbstverpflichtung der Industrie zur Beschäftigung "älterer" Arbeitnehmer? Warum macht die Wirtschaft kein umfassendes big bargain Angebot, in dem sie Flexibilisierung, längere Maschinenlauf- und Öffnungszeiten gegen Arbeitszeitverkürzung (etwa 4-Tage-Woche an 6-7 Werktagen oder 6 Urlaubswochen), also längere Betriebszeiten gegen mehr Freizeit tauscht? Spätere Pension gegen mehr Erholung, lebensbegleitende Bildung, familienfreundlichere Turnusmodelle und individuelle Wahlarbeitszeit? Mehr Arbeitsruhe gegen weniger Stillstandszeiten? Variableren Arbeitseinsatz gegen mehr Wahlmöglichkeiten und Zeitautonomie? Höhere betriebliche Kapazitätsauslastung gegen bessere Vereinbarkeit von Beruf & Familie? Ist sie sturer, mut- und einfallsloser als sie der Gewerkschaft und Regierung ständig vorhält?

Wären langzyklisch-vollzeitnahe Teilzeiten wie das Recht auf selbstbezahlte Familien-/Bildungs-Auszeiten, etwa temporäre Optionen auf 6-12 Urlaubswochen gegen 2-14% Lohnabschlag und andere individuelle Arbeitszeitverkürzungen oder 4-Tage-Wochen à 10h nicht kluge, lohnkostenneutrale und Beschäftigung sichernde Kompromisse? Allein der Abbau unbezahlter Überstunden und unfreiwilligen Overworkings würde über 150.000 Jobs schaffen und Vollbeschäftigung wieder herstellen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.8.2011)