Einig in der Empörung, widersprüchlich in der Analyse der Krise und ihrer Folgen: Andreas Khol und Josef Cap im Streitgespräch.

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Andreas Khol: "Die Eurokrise ist keine ideologische Krise, sie ist eine Schuldenkrise."

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Josef Cap: "Wir haben ein ausgewogenes Maß an Regeln, Staat und Freiheiten."

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STANDARD: Charles Moore, ein bekennender und bekannter Konservativer, Journalist und Autor, immerhin auch Biograf von Margaret Thatcher, fragt sich in einem aufsehenerregenden Kommentar im "Daily Telegraph": "Hat die Linke nicht am Ende recht?" Frank Schirrmacher, der Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen" hat diese These nahezu emphatisch aufgegriffen. Fürchten Sie schon das Triumphgeheul, das Klubobmann Cap gleich anstimmen wird?

Khol: Ich fürchte mich grundsätzlich nicht und vor dem Josef Cap schon überhaupt nicht.

STANDARD: Können Sie die Kritik nachvollziehen, die Moore und Schirrmacher üben? Da geben zwei Bürgerliche in ihrer Gesellschaftskritik der Linken recht.

Khol: Moore verstehe ich besser als Schirrmacher. Die britischen Konservativen hatten nie viel am Hut mit dem dritten Weg. Die sehen nur den neoliberalen Markt auf der einen Seite und den Sozialismus auf der anderen. Der dritte Weg, die soziale Marktwirtschaft, ist da immer zu kurz gekommen. Ihr sozialer Rahmen ist unterentwickelt und der Bankensektor gigantisch. Da verstehe ich vieles an den Zweifeln von Moore. Schirrmacher ist nur ein Trittbrettfahrer. Er weiß genau, dass wir es in Mitteleuropa nicht mit einem Niedergang des Konzepts der sozialen Marktwirtschaft zu tun haben, sondern dass in der internationalen Finanzmarktordnung genau das fehlt, was die soziale Marktwirtschaft gegenüber der freien Marktwirtschaft ausmacht, nämlich ein ordnungspolitischer, gemeinwohlorientierter gesetzlicher Rahmen.

STANDARD: Herr Cap, ich nehme an, Sie haben es schon immer gewusst: Die Linke hat recht. Was ist das schlüssigste Argument?

Cap: Khol hat nicht alle Diskutanten erwähnt. Erwin Teufel hat kritisiert, dass die CDU/CSU faktisch wertelos mit ihrer Politik herumschlingert und keine Antworten auf die brennenden Fragen des Diktats der Finanzwirtschaft zu geben imstande ist. Alle drei sprechen von einem Wertedesaster der Konservativen. Die Position der Linken stellt sich jetzt als richtiger denn je heraus: Ungezügelte Marktwirtschaft hat dazu geführt, dass die Finanzwirtschaft zerstörerische Kräfte auf das gesamte Wirtschaftssystem, auf die soziale Ordnung und das friedliche Zusammenleben entwickelt.

Khol: Einspruch! Teufel spricht nicht von einem Wertedesaster, sondern beklagt, dass die CDU in der Technokratie aufgeht und ihr Wertefundament verblassen lässt.

STANDARD: Was ist denn heute linke Politik?

Cap: Linke Politik ist, wenn man für eine soziale, ökologische und demokratische Marktwirtschaft eintritt. Eine Wirtschaft, in der es Regeln gibt auf der Basis der Grundwerte von Chancengleichheit und Gerechtigkeit. Und natürlich muss man über die Frage der Verteilung von Vermögen debattieren. Aber eines muss man schon sagen: Österreich ist für die Linke, aber auch für interessierte Bürgerliche bald ein Wallfahrtsort. Wir haben die geringste Arbeitslosigkeit, unsere Jugend hat Zukunftsperspektiven, und wir haben ein ausgewogenes Maß an Regeln, Staat und Freiheiten.

Khol: Cap und ich reden doch vom Gleichen: Es ist notwendig, dem ungezügelten Finanzmarkt Regeln der sozialen Marktwirtschaft zu geben. Die Eurokrise ist keine ideologische Krise, sie ist eine Schuldenkrise. Die Annahme, die dahintersteckt, egal ob von linken oder rechten Regierungen, dass nämlich die Defizite immer weiter finanzierbar sind, ist ad absurdum geführt.

STANDARD: Welche Thesen von Schirrmacher würden Sie unterstützen?

Khol: Er vertritt drei zentrale Thesen: Die Armen werden ärmer, die Reichen werden reicher. Das ist falsch. Die zweite These, dass nämlich die Globalisierung nur die Banken reich gemacht hat, ist auch absolut falsch. Die dritte These, dass die Verantwortlichen der Krise nicht zur Verantwortung gezogen wurden, ist richtig. Es ist für mich unerträglich, dass sich Griechenland mit Betrug in die Eurozone hineingeschummelt hat. Jene, welche die Banken an die Wand gefahren haben, wurden nicht zur Rechenschaft gezogen, im Gegenteil, die bekommen jetzt die Boni.

Cap: Bei Letzterem stimme ich zu, das ist unerträglich. Aber Faktum ist: Die Schere zwischen Arm und Reich ist größer geworden. Großbritannien ist das Paradebeispiel für die Ausgrenzung von ganzen Teilen der Bevölkerung. Und Großbritannien blockiert jede ernsthafte Regelung für die Finanzmärkte, blockiert die Transaktionssteuer. Da komme ich zur Union: Die Herrschaften in der Kommission fordern zwar die Finanztransaktionssteuer, aber zur Finanzierung ihrer Bürokratie. Das kann ja wohl nicht wahr sein. Ein Teil der dieser allfälligen Steuer muss zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit eingesetzt werden, sonst wird diese EU keine Legitimation bei den jungen Menschen mehr haben.

STANDARD: Gibt es gemeinsame Schlussfolgerungen?

Khol: Der ungezügelte Finanzmarkt ist unser gemeinsames Feindbild. Wir haben auch die gleichen Lösungsansätze. Der Erste, der für Österreich die Transaktionssteuer gefordert hat, war Wolfgang Schüssel. Die Transaktionssteuer hat kein ideologisches Mascherl. Sie ist ein Instrument der Marktordnung. Was die Schere zwischen Arm und Reich betrifft: Ja, es hat Finanzgewinne gegeben, unerträgliche Finanzgewinne in der Spekulation. Aber das stützt nicht die These, dass dieses politische System die Armen ärmer und die Reichen reicher macht. Viele Reiche sind reicher geworden, aber unzählige Arme sind auch reicher geworden.

STANDARD: Nicht unbedingt reicher, wahrscheinlich weniger arm.

Khol: Die soziale Marktwirtschaft hat in ganz Europa einen breiten Mittelstand geschaffen.

STANDARD: Gerade dieser Mittelstand bangt jetzt um seine Existenz.

Khol: Bangen tun wir alle. Von der Globalisierung haben aber auch Schwellenländer wie Indien, Brasilien oder China profitiert.

STANDARD: Moore beschreibt die Folgen der Globalisierung auch anhand der Banken: Internationale Gewinne werden einkassiert, Verluste auf die Steuerzahler verteilt.

Khol: Man darf nicht generalisieren. Und die Endabrechnung ist noch nicht gemacht. Aber weder Faymann noch Spindelegger sind aufgerufen, die internationale Finanzmarktordnung neu zu regeln, was man immer wieder von ihnen verlangt. Sie sind weder bei den G-7 noch bei den G-20. Unser Weg kann nur sein, in den europäischen Parteiverbänden weiter auf die Umsetzung eines moralisch akzeptierbaren Wertesystems auch in der Finanzmarktordnung zu drängen.

Cap: Faymann und Spindelegger können das Modell Österreich auf europäischer Ebene einbringen. Diese Regierung wird in Österreich unter ihrem Wert kommentiert. Im Vergleich kann man auf das österreichische Modell stolz sein. Wir sollten selbstbewusster sein.

STANDARD: Es gibt sehr reiche Menschen wie etwa Warren Buffett in den USA oder Hans-Peter Haselsteiner in Österreich, die finden, dass sie zu wenig Steuern zahlen. Warum findet das die ÖVP nicht?

Khol: Wir sind das Land mit einer der höchsten Steuerquoten überhaupt. Ich bin der Meinung, dass man durchaus noch an der einen oder anderen Schraube bei der Vermögenszuwachssteuer drehen kann. Aber eine Vermögenssteuer brauchen wir nicht.

Cap: Wir sind der Ansicht, dass man auch diejenigen, die das große Geld- und Immobilienvermögen besitzen, stärker zur Bewältigung der Krise heranziehen soll.

STANDARD: Gibt es aus dieser Debatte über die Krise der Bürgerlichen etwas Positives?

Khol: Dass es Leute gibt, die es bedauerlich finden, dass das bürgerliche Lager in manchen Ländern in einer Krise ist, ist schon einmal sehr gut. Schirrmachers Schlusssatz kann ich teilen: "Ein Bürgertum, das seine Werte und Lebensvorstellungen von den gierigen Wenigen missbraucht sieht, muss in sich selbst die Fähigkeit zur bürgerlichen Gesellschaftskritik wiederfinden." Ich würde noch hinzufügen: Es muss unsere Aufgabe sein, die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft durch ständig neue Anwendungsbeispiele profilierend zu gestalten.

Cap: Ich höre gerne zu, wenn Khol aus den schwierigsten Situationen der Bürgerlich-Konservativen noch eine Zukunftsperspektive herausfiltert, obwohl Schirrmacher die "bürgerliche Politik" nicht nur als "falsch" bezeichnet, sondern auch die Auffassung vertritt, dass die "Annahmen ihrer größten Gegner richtig sind". (Michael Völker, STANDARD-Printausgabe, 20./21.8.2011)