"Absurd riesig" : Das Palais, das Theophil von Hansen für die Familie Ephrussi am Dr. Karl-Lueger-Ring, Ecke Schottengasse, baute (Foto um 1880).

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Edmund de Waal, "Der Hase mit den Bernsteinaugen". Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer. € 20,50 / 352 Seiten. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2011

Coverfoto: Paul Zsolnay Verlag

Der Beschluss war, nach dem Fall Rothschild, einer der ersten des Ende 1998 ins Leben gerufenen Kunstrückgabebeirats: Am 27. März 2000 empfahl man, an die Erben nach Viktor Ephrussi 14 Objekte zurückzugeben, die im Bundesmobiliendepot aufgefunden worden waren.

Von der Meldung nahm kaum jemand Notiz. Denn die Objekte, darunter ein Servierwagen mit Messingrollen, zwei Mahagonitische, der Ständer einer Stehlampe, ein neobarocker Rahmen ohne Bild, zwei Lampen, ein Teppich und drei Ölgemälde unbekannter Maler, waren alles andere als spektakulär. Einzig das "Salontischchen, kannelierter Säulenfuß aus vergoldeter Bronze mit drei Engelsfiguren, Entwurf: Th. Hansen" hätte einen vielleicht stutzig machen können. Aber wer war schon Viktor Ephrussi?

Das Palais Epstein am Dr.-Karl-Renner-Ring 1 gleich neben dem Parlament, 1868 bis 1871 für den Bankier Gustav Epstein erbaut, war viele Jahre Gegenstand hitziger Debatten: Leon Zelman, der 2007 gestorbene Gründer des Jewish Welcome Service, hätte dieses gern als "Haus der Toleranz" genutzt gewusst, als Begegnungsstätte für die vertriebenen Juden.

Das Palais Ephrussi hingegen, 1869 bis 1873 ebenfalls nach Plänen Theophil von Hansens errichtet, kennt kaum jemand. Über viele Jahrzehnte hinweg war das mächtige Gebäude mit der Adresse Dr.-Karl-Lueger-Ring 14 die Zentrale der Casinos Austria, deren Schriftzug noch immer an der Fassade montiert ist. 2009 wurde das Palais für 31 Millionen Euro an die Invicta-Privatstiftung verkauft, gegenwärtig beherbergt es die Kanzlei von Gerhard Benn-Ibler.

An die Familie Ephrussi erinnert in Wien, abgesehen vom Mausoleum am Zentralfriedhof, so gut wie nichts. Sie legten keinen botanischen Garten an wie die Familie Rothschild auf der Hohen Warte, gründeten keinen Fußballklub und keine Creditanstalt, errichteten kein israelitisches Krankenhaus oder Blindeninstitut. Aber auch sie war atemberaubend reich. Und sie ging ähnlich vor wie die Familie Rothschild, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Frankfurt aus ein Kommunikations- und Geschäftsnetz über Europa gelegt hatte: Charles Joachim Ephrussi, der ein echter Patriarch gewesen sein soll, machte durch Weizenaufkäufe in großem Maßstab aus einem kleinen Getreidehandel in Odessa ein riesiges Unternehmen; 1860 war die Familie zum größten Getreideexporteur der Welt aufgestiegen.

Schon drei Jahre zuvor hatte Charles Joachim Ephrussi seine beiden älteren Söhne samt deren Familien nach Wien entsandt. Ignaz leitete die Geschäfte in Österreich-Ungarn; sein Bruder Leon zog im Sommer 1871 weiter nach Paris. James de Rothschild wurde in Frankreich "le Roi des Juifs" genannt, der König der Juden, und die Ephrussis waren "les Rois du Blé" , die Weizenkönige.

Edmund de Waal, ein Ururenkel von Ignaz, geboren 1964 in Nottingham, schreibt in seinem Buch Der Hase mit den Bernsteinaugen: "Der Masterplan bestand darin, auf diesem Netzwerk aufzubauen und gigantische Projekte zu finanzieren: Brücken über die Donau, Eisenbahnlinien durch Russland und Frankreich, Hafenanlagen, Kanäle. Ephrussi et Cie wandelte sich von einem sehr erfolgreichen Handels- zu einem internationalen Finanzunternehmen. Daraus wurde eine Bank. Und jedes vorteilhafte Abkommen mit einer Regierung, jedes Risikoprojekt mit einem verarmten Erzherzog, jeder Kunde, dem man sich verpflichtete, bedeutete einen Schritt zu noch größerer Seriosität, einen Schritt weg von den Waggons voller Weizen, die knarrend aus der Ukraine angerollt kamen."

Als einziges Beispiel führt der Autor nur eine Naturkatastrophe an: Während der Überschwemmung der Donau 1862, als das Wasser bis zu den Altarstufen des Stephansdomes reichte, gewährte die Familie der Regierung Darlehen, um Dämme und neue Brücken errichten zu können.

Ignaz von Ephrussi, in den Adelsstand erhoben, sei der zweitreichste Bankier von Wien gewesen: Er besaß Vermögenswerte in der Höhe von 3.308.319 Millionen Gulden, 70 Prozent davon in Aktien, 23 Prozent in Grundstücken und Immobilien, fünf Prozent in Kunst und Schmuck und zwei Prozent in Gold. Doch Edmund de Waal, Professor für Keramik an der University of Westminster und renommierter Töpfer, wollte "keine sepiagetönte Familiensaga schreiben, keine elegische mitteleuropäische Verlustgeschichte" .

Die Geschichte seiner Familie erzählt er trotzdem - anhand einer Sammlung von 264 Netsuke, die er von seinem Großonkel, Iggie gerufen, geerbt hat. Netsuke sind kleine geschnitzte Figuren aus Japan, die als Gegengewicht bei der Befestigung des Inro, einer flachen, kleinen Lackholzdose, am Gürtel des Kimonos dienten. Bevorzugtes Material war Elfenbein, verwendet wurden aber auch Wal- und Walrosszähne, Holz und Hirschhorn.

Diese Sammlung hatte Charles Ephrussi in den 1870er-Jahren in Bausch und Bogen erworben. Er war Leons drittgeborener Sohn - und musste daher nicht ins Bankgeschäft einsteigen: Geboren 1849 in Odessa, aufgewachsen in Wien, führt er in Paris das Leben eines neureichen Bohemien. Ihm gelingt es schon bald, in die Salons eingeladen zu werden, was nicht jeder goutiert: Der Romancier Edmond de Goncourt notiert in seinem Tagebuch, dass diese von "Juden und Jüdinnen verseucht" seien. Charles schreibt eine Abhandlung über Albrecht Dürer und Artikel für die Gazette des Beaux-Arts, deren Herausgeber und Eigentümer er schließlich wird. Er hat eine Geliebte, Louise, und die beiden werden vom grassierenden Japan-Fieber angesteckt: Charles kauft Lackschatullen und Nippes.

Die Netsuke-Sammlung stellt er in seinem Studierzimmer im Hotel Ephrussi auf, dann wendet er sich dem Impressionismus zu: Binnen dreier Jahre erwirbt er 40 Werke - von Degas, Monet, Sisley und Renoir. Von Manet kauft er 1880 das bekannte Stillleben mit einem Bund Spargelstangen (das nun im Kölner Wallraf-Richartz-Museum hängt). Statt der geforderten 800 Francs überweist er deren 1000; eine Woche später erhält er von Manet ein kleines Bild, auf dem eine einzelne Spargelstange zu sehen ist (es befindet sich heute im Musée d'Orsay). In der beigefügten Notiz steht: "Die ist wohl aus dem Bund gerutscht."

Edmund de Waal hat jede Menge Material über Charles zusammengetragen: Dass dieser mit Marcel Proust befreundet war und wohl eine Vorlage für die Figur des Swann bildete. Dass er mit seinem Bruder zu größeren Diners einlud. Und dass er sich nun dem Empire-Stil zuwandte, um dazuzugehören. Empire war eben nicht "le gout Rothschild" (viel Gold), also nicht jüdisch: "Es ist französisch."

Die Leidenschaft für Japonaiseries war längst verebbt: Die Netsuke-Sammlung schenkte Charles im Frühjahr 1899 seinem jüngsten Cousin Viktor und dessen Frau Emmy zur Hochzeit. Im Wiener Palais Ephrussi, das der Autor als "absurd riesig" beschreibt, sind die winzigen Figuren, darunter eben auch der Hase mit den Bernsteinaugen, nicht Teil der Prunkräume. Denn die Vitrine mit den Miniaturen verschwindet in Emmys Ankleidezimmer. Und so sollte es bleiben bis 1938. Für ein paar Jahre sind die Netsuke zumindest Spielzeug: wenn die Kinder, zunächst drei, ihre Mutter beim Umkleiden besuchen.

Edmund de Waal weiß dennoch viel über das feudale Leben im "Marmorpalast" mit den 17 Bediensteten zu erzählen. Er setzt aber nicht bei der Jahrhundertwende an, sondern früher. Stefan, der älteste Sohn von Ignaz, sollte die Geschäfte übernehmen. Doch 1889 brannte er, "für ein Leben in der Bank dressiert" , mit einer Russin namens Estiha durch. Er wurde auf der Stelle enterbt: "Er erhielt keinen Unterhalt, durfte in keinem Familienbesitz wohnen, mit keinem Familienmitglied in Verbindung treten. Ein echt alttestamentarischer Bann, wenn auch mit dem ausgesprochen wienerischen Hautgout, dass er die Geliebte seines Vaters heiratete."

Schlagartig war das sorglose, vielleicht melancholische Leben von Viktor, dem Urgroßvater des Autors, der ein Grundlagenwerk zur Geschichte von Byzanz schreiben wollte, zu Ende: In Windeseile musste er sich in die Bankgeschäfte einarbeiten. Zehn Jahre später, wenige Monate nach der Hochzeit, stirbt der Vater; Viktor (39), verheiratet mit einer blutjungen Frau, die jemand anderen liebt, ist von nun an für das weit verzweigte Unternehmen allein verantwortlich. Noch im gleichen Jahr, 1899, kommt Elisabeth zur Welt; 1904 folgt Gisela und 1906 der bereits erwähnte Iggie.

Edmund de Waal, der wochenlang auf Spurensuche in Wien weilte, beschreibt die Atmosphäre jener Zeit in vielen Facetten. Er analysiert den wachsenden Antisemitismus, er zitiert Karl Lueger, den Bürgermeister, der gegen das "unterdrückerische Großkapital, das in den Händen der Juden ist" , wetterte. Aber auch der Autor hat Vorbehalte. "Ich kann dem Gold nicht entkommen" , notiert er, als er die Fassade des Palais mit den dominanten Eckrisaliten betrachtet: "Viel, viel Gold an den Kapitellen und Balkonen."

Erleichtert stellt er fest, dass es im Ballsaal Deckenmalereien mit Szenen aus dem biblischen Buch Esther gibt, darunter "die Niederwerfung der Söhne Hamams, des Feindes der Juden, durch jüdische Krieger" . Das sei gelungen, konstatiert Edmund de Waal: "Hier wird auf Dauer ein Terrain abgesteckt, und das, ohne ein Wort zu verlieren."

Dass sich die Juden aber ansonsten bis zur Selbstaufgabe assimilierten, hinter den Fassaden der Palais förmlich verschwanden, kann er nicht nachvollziehen. Und er ist ziemlich verdutzt, dass Emmy, die Frau des Urgroßvaters, in Kövecses (Slowakei), wo ihre Familie ein Landhaus besaß, reitet und schießt: "Zu meinem Bild dieser Epoche gehören sicherlich keine Juden, die auf die Pirsch gehen." Das taten bekanntlich manche, auch die Rothschilds - im großen Stil in der Langau beim Ötscher. Mitunter passieren Edmund de Waal zudem ein paar kleine Fehler, die, wiewohl die deutsche Ausgabe bei Zsolnay erschien, nicht korrigiert wurden. Das Café Central, in das sich der Autor setzt, ist eben nicht jenes, in dem Viktor einst saß, "bevor alles aus den Fugen geriet" .

Sehr eindringlich, plastisch aber erzählt er vom Untergang der Monarchie und von Viktors Schwierigkeiten, eine Bank zu leiten, wenn man mit Frankreich, England und Russland im Krieg steht. Es gab keine Stallknechte und Kutscher, man musste sich um Lebensmittel anstellen, und die assimilierten Juden wollten nichts mit den "Ostjuden" - allein 100.000 aus Galizien - zu tun haben, die nach Wien geflüchtet waren. Das Familiennetzwerk funktioniert nicht mehr, die Zeitungen werden zensuriert, Viktor verliert viel Geld, weil er Kriegsanleihen gezeichnet hat. Emmy vergnügt sich zu alledem mit einem neuen Liebhaber, einem jungen Grafen. Am 19. November 1918, wenige Tage nach Ende des Weltkriegs, gebiert sie einen Sohn. Er ist blond, blauäugig - und Viktor "konsterniert" , so Edmund de Waal trocken.

Die Adelstitel werden abgeschafft, die Ephrussis wohnen nicht mehr am Franzensring 24, sondern am Ring des Zwölften November, der später zum Dr.- Karl-Lueger-Ring wird. Zwei Stockwerke müssen vermietet werden. Und das Bankhaus befindet sich in großen Nöten: Die Familie Gutmann, die das Rudolfinerhaus, die Poliklinik und ein Kinderspital mitfinanzierte, bringt 25 Millionen Kronen ein, die Berliner Bank 75 Millionen; Viktor gehört nur mehr die Hälfte des Unternehmens.

Elisabeth, die älteste Tochter, schreibt Gedichte und korrespondiert mit Rilke, dem Frauenversteher, bis kurz vor dessen Tod. 1924 promoviert sie in Jus - und geht ins Ausland. Mit ihrem Mann, dem Holländer Hendrik de Waal, lässt sie sich in Paris nieder. Auch Gisela, die einen spanischen Bankier heiratet, verlässt Wien: 1925 zieht sie nach Madrid und später, als der Bürgerkrieg ausbricht, nach Mexiko. Und Iggie, der ältere Sohn, der die Bank übernehmen sollte, reißt aus: zunächst nach Paris, wo er in einem drittklassigen Modehaus arbeitet, und später nach Hollywood.

Im Palais Ephrussi - es gibt nur mehr acht Bedienstete - wird es still: Das Leben verläuft seltsam unbewegt. Aber die Bankgeschäfte gehen gut. Viktor beginnt Inkunabeln zu sammeln, sein besonderes Interesse gilt der römischen Geschichte. Meisterhaft erzählt Edmund de Waal, wie Kurt Schuschnigg, der Ständestaat-Kanzler, für den 13. März 1938 eine Volksabstimmung ansetzt, die von den Juden aus Angst vor Hitler eifrig unterstützt wird. Wie diese abgesagt wird, wie Schuschnigg zurücktritt, wie die Nationalsozialisten skandierend die Macht übernehmen: "Es ist, als wäre ein Schalter umgelegt worden."

Gespenstisch ist es im Palais Ephrussi, dessen glasüberdachter Innenhof wie ein Gefängnis wirkt: Der 78-jährige Viktor, seine Frau und Rudolf sitzen nachts im Dunkeln. Und dann dringt eine Horde ein. Die Nazis durchwühlen die Schränke, werfen die Globen von den Ständern, lassen Wertgegenstände mitgehen: "Dieses krampfhafte Unordnungschaffen, Durcheinanderschmeißen, Zubodenfegen kann man kaum Plünderung nennen; es ist ein Muskelspiel, ein Knacken mit den Fingerknöcheln, eine Lockerungsübung."

Etliche Juden begehen Selbstmord, andere fliehen, darunter die Gutmanns. Viktor aber ist unfähig zu einer Entscheidung: Er kann das Haus nicht zurücklassen, die Bank nicht aufgeben. Nur mehr drei Bedienstete - der Portier Kirchner, die Zofe Anna und die Köchin - bleiben.

Louis Rothschild wird am 13. März festgenommen, tags darauf lässt die Gestapo sein Palais wie auch jenes seines Bruders Alphonse versiegeln. Es ist bloß eine Frage der Zeit, bis die Nationalsozialisten auch zu den Ephrussis kommen. Sie kommen erst am 23. April, zu sechst. Hausdurchsuchung: "Die Gestapo-Beamten gehen methodisch vor. Sie haben keine Eile. Sie sind keine Wilden. Die Schubladen in den kleinen Tischen im Salon werden durchwühlt, Papier fliegt herum" , schreibt Edmund de Waal. Nachdem sie die 24 Räume durchsucht haben, verlangen sie die Schlüssel zum Safe, zum Silberzimmer und zum Porzellanschrank. Schließlich wird Viktor beschuldigt, 5000 Schilling zur Schuschnigg-Propaganda beigetragen zu haben: Er wird verhaftet und kommt erst wieder frei, nachdem er auf alle Besitztümer verzichtet hat.

Zusammen mit Emmy und Rudolf wohnt er nun in zwei abseits gelegenen Zimmern im "arisierten" Palais. Er muss zusehen, wie all die Kunstwerke, die Inkunabeln, Bücher und Möbel in Kisten verpackt und abtransportiert werden. Das Amt für Wildbach- und Lawinenbetreuung zieht in die Wohnung im zweiten Stock ein, die Beletage wird dem Amt Rosenberg übergeben, dem Bevollmächtigten des Führers für die "Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP" . Und das Bankhaus hat Viktor an seinen Stellvertreter abzutreten - um ein Sechstel des Werts.

Rudolf (19) darf am 1. Mai in die USA ausreisen; Viktor und Emmy bleiben ratlos im Palais zurück. Alle Bediensteten sind gegangen - außer Anna. Elisabeth, niederländische Staatsbürgerin, kehrt nach Wien zurück, um ihren Eltern zu helfen. Am 20. Mai erhalten diese die Ausreisegenehmigung und fliehen nach Kövecses. Doch hier sind sie nicht in Sicherheit. Denn Hitler annektiert unter dem Jubel der Bevölkerung das Sudetenland. Emmy will nicht mehr: Sie nimmt zu viele ihrer Herzmedikamente - und stirbt am 12. Oktober.

Ein halbes Jahr später, Anfang März 1939, darf Viktor nach England auswandern. Dort trifft er auf seine Tochter und deren Familie. Sie lassen sich in Tunbridge Wells, 60 Kilometer südlich von London, nieder. Elisabeth, die nie in der Küche zu stehen hatte, lernt kochen. Im Februar 1944 taucht ihr Bruder Iggie auf - als US-Soldat. Er kämpft in der Normandie gegen die Deutschen. Am 12. März 1945, zwei Monate vor Kriegsende, stirbt Viktor mit 84 Jahren.

Nach dem Krieg bekam die Familie das kriegsbeschädigte Palais zurück und verkaufte es um lediglich 30.000 Dollar. Sie bekam die Gobelins zurück, die Bücher, die sich in der Nationalbibliothek befanden, und die Bilder, die in die Bundesmuseen gelangt waren. Für die "Arisierung" der Bank wurde die Familie mit nur rund 5000 Dollar entschädigt - gegen die Zusage, keine weiteren Ansprüche stellen zu wollen.

Zuvor, im Dezember 1945, hatte sich aber noch etwas mit Symbolgehalt ereignet: Elisabeth fuhr nach Wien. Im Palais, in dem sich nun Büros der US-Army befanden, hingen noch ein paar Gemälde, die schwersten Möbel standen weiterhin an ihrem Platz. Eine alte Frau bat, Elisabeth sprechen zu dürfen. Es war Anna, die Zofe. Sie hatte Ende April 1938, als die Gestapo alles von Wert in Kisten verpackte, die Netsuke gerettet: Jedes Mal, wenn sie ins Ankleidezimmer kam, steckte sie drei, vier Figuren in ihre Schürzentasche - und brachte sie in ihr Dienstbotenzimmer. Und nun übergab sie diese Figürchen, 264 an der Zahl.

In den 1970er-Jahren beschrieb Elisabeth auf zwölf Seiten das einstige Leben im Palais Ephrussi: Sie führt durch die Räume, sie nennt die Namen der Pferde. Den Nachnamen der Zofe nennt sie nicht. Edmund de Waal stellt fest, dass er "zu viel über die Spuren meiner privilegierten Familie" weiß, aber nichts über Anna: "Ich habe nie daran gedacht zu fragen, als ich hätte fragen können. Sie war einfach Anna." (Thomas Trenkler/DER STANDARD, Printausgabe, 20./21. 8. 2011)