Die "Szenen aus dem Landleben" aus Anton Tschechows Onkel Wanja sind derzeit in Wien recht nahe an der Stadt zu finden, genau genommen: mittendrin in Ottakring, in der Gallitzinstraße, wo an einer scharfen Kurve, die zu den Weinbergen führt, eine überaus stilvolle Gartenvilla Schauplatz für die verlorene russische Gesellschaft ist. Das von hundertjährigen Bäumen umschattete ehemalige Gasthaus ist heute Veranstaltungsort und Herberge des Wiener Volksliedwerkes.

Das Arme Theater Wien bespielt den ehemaligen Speisesaal im ersten Stock des Gebäudes, einen entzückenden Spiegelsaal. Und die Darsteller haben einiges zu tun, um vom Zauber dieses Raumes auf sich zu lenken: ein umlaufender Ochsenaugenfries, Deckenfresken, Wandspiegel und Kristallleuchter machen hier innenarchitektonisch Wetter.

Die Patina des Ortes ist prädestiniert für die lahmen Auseinandersetzungen auf dem Gutshof des pensionierten Professors Alexander Wladímirowitsch Serebrjaków (Manfred Jaksch) und seiner Anverwandten. Gespielt wird bei geöffneter Terrassentür, sodass die Weite und Leere der umliegenden Gegend immer spürbar bleibt.

Hier legt ein jeder der Trauergestalten allmählich seine innersten Befindlichkeiten und Bedürfnisse offen. Elena (Roswitha Meyer), die zweite, jüngere Ehefrau des Professors, die an ihrer unerfüllten Lebenslust still leidet; dann Sofja (Krista Pauer), die Tochter des Professors, deren Liebe der Doktor (Peter Bocek) auf unflätige Weise nicht erwidert, so unflätig wie er sie Elena hingegen erweist. Jörg Stelling mimt einen beizeiten aufbrausenden Wanja, Walter Gellert einen seinem Schicksal ergebenen Telegin. Alles sehr gediegen wie das Ambiente. (afze, DER STANDARD - Printausgabe, 20./21. August 2011)