Foto: Ulrike Helmer Verlag

In der scheinbar geschlechtsneutralen Migrationsanalyse würden die Besonderheiten weiblicher Migration weitgehend unsichtbar bleiben, kritisieren Edeltraud Aubele und Gabriele Piere in der Einleitung des von ihnen herausgegebenen Sammelbandes "Femina Migrans". Dabei würde gerade ein "gegenderter Blick auf Wanderungsprozesse" deutlich machen, in welch hohem Ausmaß Migration von den "jeweils herrschenden Geschlechterkonzepten im Abwanderungs- und Aufnahmeland" bestimmt sei, so die beiden Historikerinnen. So hätten Frauen beispielsweise in Zwangsmigrationsprozessen im Kontext von Fluchtbewegungen und Krieg nicht nur unter den Folgen der unfreiwilligen Migration, sondern auch an "den kriegs- oder fluchtbegleitenden sexistischen 'Kampfmethoden‘, wie beispielsweise Vergewaltigungen" zu leiden. Nach einem einführenden Aufsatz in das Thema "Migration und Geschlecht" spüren zehn im Sammelband abgedruckte Aufsätze, die in drei Kapitel gruppiert sind, den Besonderheiten weiblicher Migration nach.

Feminisierung von Flucht und Vertreibung

Anhand von Fallbeispielen aus unterschiedlichen Jahrhunderten befasst sich Kapitel eins (Historische Fallbeispiele und Erinnerungspolitik) mit der Migration von Frauen seit der frühen Neuzeit. So untersucht etwa der Historiker Stephan Schulze die Geschlechterkonstruktionen in der Erinnerung an Flucht und Vertreibung im Kontext des Zweiten Weltkriegs anhand der aus Ostpreußen geflüchteten bzw. zwangsmigrierten Deutschen. Schulze analysiert dabei "Vertreibungsdenkmäler und -darstellungen in Literatur, Film und Fernsehen" und kommt zu dem Ergebnis, dass „die deutsche Erinnerungskultur an deutsche Flucht und Vertreibung feminisiert" ist. Die in den Erinnerungsmedien "entworfenen Bilder leidender mütterlicher Frauen" sei, so Schulz weiter, gut dazu geeignet, den "Unrechtscharakter des Heimatverlustes" zu akzentuieren. Dieses feminisierte Bild von Zwangsmigrationsprozessen müsse in einer Erinnerungspolitik, die "weibliche Handlungsspielräume eher marginalisiert als wertschätzt", kritisch hinterfragt werden.

Agrarisch geprägte, bildungsferne Frauen?

Einen Einblick in den Stand der sozialwissenschaftlichen Migrationsforschung aus Genderperspektive liefert Marina Liakovas Beitrag zur wissenschaftlichen und medialen Darstellung von Migrantinnen. Liakova hält fest, dass die sozialwissenschaftliche Forschung lange Zeit vor allem auf Probleme der männlichen "Ausländer" und "Gastarbeiter" fokussiert habe und Frauen, wenn überhaupt, lediglich als Opfer „der fremden Gesellschaft und andererseits ihrer eigenen patriarchal-familiären Ordnung" - und somit als Objekte, nicht aber als aktiv handelnde Subjekte - dargestellt worden seien. Erst die Wanderungsströme aus Osteuropa nach 1990 hätten dazu beitragen, das „Stereotyp des agrarisch geprägten bildungsfernen weiblichen Objekts staatlicher (Integrations-)Bemühungen" durch ein differenzierteres Bild verschiedener Migrantinnengruppen abzulösen. Diese Heterogenisierung und Diversifizierung der Migrantinnen sollten, plädiert Liakova, von IntegrationspolitikerInnen berücksichtigt werden. Die Integrationspolitik solle demnach nicht allgemeine Integrationsmaßnahmen für alle, sondern spezifische Integrationsangebote für konkrete Zielgruppen schaffen, fordert die Migrationssoziologin.

Förderung von Mehrsprachigkeit

Das mit "Integration als gesellschaftliche Herausforderung" betitelte dritte Kapitel des Sammelbandes liefert unter anderem auch die schriftlich ausformulierten Ergebnisse einer Podiumsdiskussion zum Thema "Frauen in Migrationsprozessen und Bildung". Dabei wird einerseits die zentrale Bedeutung des Erlernens der deutschen Sprache hervorgehoben, denn die Bildungschancen von Migrantinnen würden - so die Historikerin Sylvia Schraut - mit "dem Ausmaß der Fähigkeit, Deutsch zu sprechen und zu schreiben steigen und fallen". Ein großer Stellenwert kommt nach Schraut auch der Mehrsprachigkeit von Schülerinnen zu, die als „eigenständiger Wert nicht nur zu akzeptieren", sondern gezielt zu fördern sei. Schraut plädiert zudem für zielgruppenspezifische Förderprogramme, denn SchülerInnen mit Migrationshintergrund seien "genausowenig als homogene Gruppe anzusprechen wie Kinder ohne Migrationserfahrung". Nicht zuletzt fordert die Historikerin nachhaltige Verbesserungen von PädagogInnen „in Fragen kultureller Kompetenz" sowie Sensibilisierungsmaßnahmen der autochthonen Bevölkerung für Probleme bzw. spezifische Bedürfnisse von Menschen mit Migrationshintergrund.

Fazit

Mit „Femina Migrans. Frauen in Migrationsprozessen" legen die beiden Herausgeberinnen einen Band vor, der das zentrale gesellschaftliche Thema „Migration" aus einer Geschlechterperspektive betrachtet und somit zeigt, dass Migration (sowie in weiterer Folge auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Migrationsprozessen) keineswegs geschlechtsneutral ist. Neben den historischen Fallbeispielen und Analysen zur wissenschaftlichen Rezeption und medialen Darstellung von Migrantinnen überzeugt vor allem das den Band abschließende dritte Kapitel. Hier werden einerseits konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Chancen von Migrantinnen im Bildungsbereich gegeben, zum anderen erhalten zwei Initiativen von Migrantinnen Raum für die Selbstdarstellung ihrer eigenen Arbeit. (Meri Disoski, 22. Augist 2011, daStandard.at)