Stefanie Sampl ist 56 Jahre alt. Vor 23 Jahren hat sie ihren Sohn geboren. Sie lebt in einem 1.500-Seelendorf in der Steiermark. Bis vor kurzem hatte sie zu Hause noch ihren 99-jährigen Vater und ihre 91-jährige Mutter zu pflegen. Vor einem halben Jahr hat sie sich schließlich dazu entschlossen ihren Vater in ein Pflegeheim zu geben. Nach zwölf Jahren Pflege eines an Parkinson und Demenz erkrankten Menschen waren ihre Kräfte am Ende. Keinen Urlaub. Keine spontanen Kaffeekränzchen. Kein Familienleben. Vom gesellschaftlichen Leben abgeschnitten. "Das war ein 24-Stunden-Job bis zum Burn-Out", sagt sie. Ihre Eltern, die eine kleine Landwirtschaft betrieben haben, beziehen gemeinsam 750 Euro Pension. Der Vater kann also seinen Pflegeplatz nicht mit seiner Pension bezahlen.

"Was nichts kostet ist nichts wert-Haltung"

Dass ab September in der Steiermark der Pflegeregress wieder vollzogen wird, befürwortet Sampl. Im Pflegeheim ihres Vaters werde sehr gute Arbeit geleistet, das müsse die Gesellschaft auch honorieren. Der "Was nichts kostet ist nichts wert-Haltung" könne man so vielleicht besser entgegentreten, sagt Sampl. Was zu zahlen ist, "ist ja nur ein minimaler Betrag". Sie sei froh, dass sie nun nur mehr ihre Mutter zu pflegen hätte. Mit ihr ist es einfacher. Der Pensionsanteil ihrer Mutter beträgt 300 Euro, 500 Euro kommen vom Staat als Pflegegeld pro Monat. Wäre da nicht ihr Mann, der monatlich 2.400 Euro beisteuert, hätte die Familie kein Auslangen. "Ich bin ausgebildete Küchenmeisterin, doch in diesem Beruf bin ich zuletzt vor 13 Jahren tätig gewesen", sagt Sampl.

Zehn Jahre hat Sampl in Deutschland gearbeitet. Daher erwartet sie eine geringe Firmenpension. Für den eigenen kleinen Landwirtschaftsbetrieb, der "keine Gewinne aber auch keine Verluste bringt", zahlt Sampls Mann für sie monatlich 218 Euro an Sozialversicherungsbeiträgen ein. Ginge Sampl 2013 in Pension würde sie monatlich 370 Euro erhalten. Sampl kritisiert, dass die Politik zu wenig Vorsorge getroffen hat für Menschen, die ihre Angehörigen über eine sehr lange Zeit hinweg pflegen. 

"Bitten und betteln"

Neben zwölf Jahren harter Arbeit als Pflegende hat Stefanie Sampl auch zwölf Jahre steirische Pflegebürokratie hinter sich gebracht. Ihr Fazit: "Wir sind die Schicht, die am Boden liegt. Wer pflegebedürftig und krank ist, ist in diesem System nichts wert. Die Politik will, dass wir stehen, gehen, gesund sind". Zwölf Jahre lang sei sie vom "sogenannten Wohlfahrtsstaat" weitgehend alleine gelassen worden. Sie hätte Pflichten, aber keine Rechte. Für den Rollstuhl ihres Vaters musste sie lange kämpfen. "Zuerst stellst du einen Antrag, der wird abgewiesen. Dann raten sie dir, einfach noch einen anderen Antrag zu stellen. Beim siebenten Mal wird dir dann als Gnadeakt ein kleiner Beitrag zugestanden. Man muss bitten und betteln, freiwillig bekommt man nichts raus." Sampl erzählt von verschlossenen Amtstüren und von Versprechen, die dann doch nicht eingehalten wurden. Und von Sachbearbeitern, die ihr Vorwürfe machen weil sie schon wieder etwas will.

"Auf den Staat kannst du dich nicht verlassen. Es wird sich niemand mehr auf ihn verlassen können", sagt Sampl. Ihre Konsequenz: Sie und ihr Mann haben eine Reihe von Privatversicherungen abgeschlossen. Alleine die Pensionsvorsorge, Lebensversicherung und eine Umfallversicherung verschlingen pro Monat 800 Euro. "Man wird alleine gelassen, wenn man schwach ist. Das habe ich in den letzten Jahren sehr deutlich gespürt. Ohne Geld geht gar nichts". Ihren berufstätigen Sohn habe sie jetzt endlich dazu überreden können, eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen. Denn: "Die letzten beißen die Hunde". (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 23. August 2011)