TIMO BEHR (33) ist Politologe am Finnish Institute of International Affairs in Helsinki.

Foto: Finnish Institute of International Affairs

Die libysche Interimsregierung, die von zahlreichen Ländern, auch Österreich, anerkannt wurde, ist nicht repräsentativ und wird im Land nicht akzeptiert, sagt der finnische Politologe Timo Behr im Gespräch mit Gianluca Wallisch.

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STANDARD: Wie glaubwürdig ist der Übergangsrat nach der Falschmeldung über die Festnahme der Gaddafi-Söhne?

Behr: Er hat nicht nur jetzt, sondern ganz allgemein ein Glaubwürdigkeits- und Akzeptanzproblem - im Westen wie in Libyen selbst. So anerkennen die Rebellen in Misrata den Übergangsrat nicht mehr. Für sie stellt der Rat nicht mehr die legitime Regierung dar. Und die Berber im Nafusa-Gebirge haben schon vor längerem angekündigt, in Zukunft wesentlich unabhängiger sein zu wollen.

STANDARD: Worin könnte dieses Akzeptanzproblem begründet sein?

Behr: Verschiedene Gründe, etwa Stammesrivalitäten und historische Differenzen zwischen dem Osten und dem Westen Libyens. Dazu kommen unterschiedliche Auffassungen zwischen liberaleren und eher islamistischen Strömungen. Die Ermordung von Rebellen-Militärchef Abdel Fatah Yunis hat bewiesen, dass der Übergangsrat wenig Einfluss hat auf die bewaffneten Rebellen. Das alles macht es dem Übergangsrat schwer, sich als die wesentliche Kraft in Libyen zu positionieren.

STANDARD: Was muss geschehen?

Behr: Der Übergangsrat muss sich ganz rasch neu aufstellen. Im Augenblick sind es Vertreter hauptsächlich aus dem Osten, oft Exilanten, einige Technokraten. Maßgebliche Kräfte des Landes sind nicht repräsentiert, diese müssen aber mit eingeschlossen werden. Eine ganz große Herausforderung.

STANDARD: Wie müsste der Übergangsrat dabei vorgehen?

Behr: In Tripolis und anderen Städten organisieren sich die Stadtviertel selbst. Man könnte also solche Persönlichkeiten aufnehmen. Später wäre natürlich ein Referendum nötig.

STANDARD: Wie könnte die Transitionsperiode in Libyen aussehen?

Behr: Das erste Gebot ist, dass der Konflikt beendet wird, dann muss sich der Übergangsrat neu aufstellen und für die öffentliche Sicherheit sorgen. Auf dieser Basis muss dann administrativ gearbeitet und die Versorgung mit Strom und Wasser gewährleistet werden. Dann steht die neue Verfassung an. Bisherige Pläne, das innerhalb von 45 Tagen zu schaffen, sind illusorisch. Reguläre Wahlen wären dann innerhalb von 15 bis 18 Monaten abzuhalten.

STANDARD: Welche Rolle kann die EU in diesem Prozess spielen?

Behr: Helfen kann die EU hauptsächlich beim Wiederaufbau: Institutionen schaffen, für Bildung sorgen, Sicherheitskräfte ausbilden. Da gibt es viel Erfahrung aus Projekten, etwa in Afghanistan.

STANDARD: Soll die EU Friedenstruppen anbieten?

Behr: Da wäre ich extrem vorsichtig. Die Rebellen sind auf die EU nicht sehr gut zu sprechen. Wahrscheinlich hätte eine Friedenstruppe der UN mehr Legitimität, aber wer soll die Truppe stellen? Die arabischen Länder? Diese sind im Augenblick alle sehr stark mit sich selbst beschäftigt. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.8.2011)