
-> Hier gibt's eine Ansichtssache.
Astana ist eine Stadt aus der Retorte: Mächtige Hochhäuser von internationalen Stararchitekten, Monumente aller Art, der Präsidentenpalast, der aussieht wie eine Mischung aus Weißem Haus und Petersdom, großzügige Parkanlagen und in der Mitte das seltsamste aller Wahrzeichen: ein stilisierter Lebensbaum, der das goldene Ei eines mythologischen Vogels in seiner Krone trägt. Auf der Aussichtsplattform in 97 Meter Höhe befindet sich eine Art Altar mit dem Handabdruck des Präsidenten Nursultan Nasarbajew. Die Besucher stehen Schlange, um ihre Hand in jene des Präsidenten legen zu können. Wir verzichten auf dieses seltsame Ritual und gehen Pizza essen. Astana ist eine Weltstadt.
Entspannung im Grünen
Wir fahren weiter nach Pavlodar im Nordosten Kasachstans. Anstelle des erwarteten Provinznests finden wir eine entspannte grüne Stadt vor, mit einem schönen Park und einem Strandbad am Fluss, netten Lokalen und einem Club, der auch in London oder Berlin stehen könnte. Lediglich die Gruppe junger Kasachinnen in knappen Outfits und schwindelerregend hohen Stöckelschuhen, die eine Flasche Wodka nach der anderen bestellt und laut grölend ihren Spaß hat, würde man so wahrscheinlich woanders nicht finden. Kasachstan ist ein islamisches Land, aber offensichtlich nicht nur das.
Zwischen Pavlodar und Barnaul überqueren wir wiedermal die Grenze zu Russland, diesmal ohne nennenswerte Probleme. Ganz langsam wird die Steppe bewaldeter. Wir sind nun in der russischen Region Altai, sozusagen der flachen Vorstufe zum "richtigen" Altai. Wir kommen spätnachts in Barnaul an und nehmen das erste Hotel an der Stadteinfahrt. Andere Teams hatten dieselbe Idee, wir zählen mehrere Mongol Rally-Autos auf dem Parkplatz des mächtigen Hotel Barnaul, eines riesigen spätsowjetischen Bunkers aus den 80er Jahren.
Am Weg in die Republik Altai werden die Wälder immer dichter und die Hügel immer höher. Der Unterschied zu ähnlichen Gegenden in unseren Breiten (zum Beispiel dem Bregenzerwald) besteht lediglich in den Dimensionen: Die Republik Altai ist etwa so groß wie ganz Österreich und kaum besiedelt. Wir fahren am Katun entlang, einem ausgewachsenen reissenden Bergbach, der stellenweise über 100 Meter breit ist. Die Gegend ist ein Ferienparadies für vermögendere Russen, am Fluss reiht sich ein aus Holzhäusern bestehendes Camp an das nächste.
Wir gönnen uns wieder einen halben Tag Pause im buddhistischen Meditationszentrum in Askat, einem idyllisch am Katun gelegenen sibirischen Bergdorf. Wir entspannen uns ein paar Stunden am Fluss und am Lagerfeuer in Gesellschaft netter Menschen, die für ein Fastenseminar hierher gekommen sind. Wir sind froh, dass das Fasten erst einen Tag später beginnt und werden noch gut verköstigt, bevor wir frühmorgens zur letzten Etappe auf dem Weg in die Mongolei aufbrechen.
Aus den Hügeln werden Berge und der Katun wird immer schmaler. Im letzten Dorf vor der Grenze überbringen wir ein Päckchen, das uns ein Freund aus Wien für einen hier lebenden Künstler mitgegeben hat. Als wir die Adresse nicht gleich finden und einen Polizisten nach dem Weg fragen, setzt sich dieser kurzerhand zu uns ins Auto und führt uns hin. So unkompliziert kann Russland sein.
Schliesslich kommen wir zum russischen Grenzposten, der schon auf über 2.000 Meter Höhe liegt. Die Grenze ist bereits geschlossen, wir campieren mit 15 anderen Teams unweit des Grenzbalkens. Eine gute Gelegenheit, die bisherigen Erlebnisse Revue passieren zu lassen. Alle haben schon viel erlebt, und das will bei der einen oder anderen Flasche auch erzählt werden.
Frühmorgens reihen wir uns in die lange Schlange vor dem Grenzposten ein. Nach vier Stunden Wartezeit und einigen beinahe handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen sich brav anstellenden (hauptsächlich britischen) Teams und sich vordrängenden Russen und Mongolen, sind wir erneut dem wachsamen Auge der russischen Zollbehörden ausgeliefert. Nach den üblichen Kontrollen und dem Ausfüllen des Formulars nimmt der Zöllner unsere Dokumente und verschwindet. Wir befürchten schon, auch hier wieder ein paar Tage verbringen zu müssen, aber die russische Bürokratie tagt dieses mal nur eine knappe Stunde und lässt uns dann ziehen. Wir sind erleichtert.
Nur große Länder wie Russland und die Mongolei können sich ein 30 Kilometer breites Niemandsland leisten. Exakt auf der Passhöhe, auf 2.500 Meter, die letzte russische Kontrolle, hier endet der Asphalt und es beginnt die Mongolei. Die mongolische Bürokratie will der russischen um nichts nachstehen, zusätzlich sind auch noch die Einfuhrformalitäten für die Autos zu erledigen. Stunde um Stunde vergeht, unser Akt sieht viele Schreibtische, das Auto wird mehrmals inspiziert, schliesslich dürfen wir am frühen Abend weiterreisen.
Wir sind in der Mongolei!
Das erste Dorf nach der Grenze wird auch gleich unser Nachtlager. Zwei Teams sind schon bei einer freundlichen kasachischen Familie untergekommen (in der Westmongolei lebt eine große kasachische Minderheit), wir gesellen uns dazu. Es gibt Bier, Wodka und Suppe, ein paar kasachische und britische Lieder auf der Gitarre, Verständigung mit Händen und Füssen. Wir verteilen mitgebrachte Geschenke, das Nachtlager wird im Wohnzimmer bereitet, geschlafen wird auf Teppichen am Fußboden. Nach dem Frühstück bezahlen wir die "Hotel"-Rechnung und fahren weiter. Der Weg nach Ulaangom im Norden ist durch Hochwasser blockiert, wir beschließen, die südliche Route nach Ulan Bator zu nehmen.
Die Landschaft ist unbeschreiblich. Wir bleiben auf über 2.000 Meter, fahren auf steinigen Feldwegen über menschenleere Hochebenen, es geht langsam voran. Wir treffen gelegentlich andere Teams und wundern uns, wie britische Kleinwagen unbeschadet über Schlaglöcher kommen, die größer sind als die Autos selbst. Es geht bergauf und bergab, wir sehen unser erstes Ovoo (schamanischer Steinhaufen, den man dreimal umrundet um die lokalen Geister zu ehren) und bringen jungen Briten dieses kleine Ritual bei. Vorbei geht es an der Bergstadt Ulgii, dem letzten Außenposten der Zivilisation in der Westmongolei in Richtung Khovd, einer der größten Städte der Mongolei, was aber nicht viel besagt.
Offensichtlich sind wir mittlerweile schon zu schmutzig für "bessere" Häuser, nach dreimaliger Ablehnung akzeptiert man uns nur im lokalen, postsowjetische Hotel, das mittlerweile zur Bruchbude verkommen ist. Warmwasser von 7 bis 10 Uhr abends. Wir sind trotzdem dankbar, nicht wieder im Auto oder am Fußboden schlafen zu müssen.
Schwebezustand bei 60 km/h
Die Straße von Khovd zur Stadt Altai ist zunächst nicht viel besser. Nur ganz langsam werden die Berge weniger und es geht über viele Kilometer leicht bergab. Wir sind unsicher, ob wir das 450 Kilometer entfernte Altai heute noch erreichen, aber schließlich wird die Piste so gut, dass sie 60 km/h verträgt. Allerdings ist das fast eine Richtgeschwindigkeit, denn die Querrillen sind so tief, dass das Auto erst bei einer höheren Geschwindigkeit darüber "schweben" kann. Gelegentlich auftretende tiefe Schlaglöcher führen dann allerdings regelmäßig zu Notbremsungen oder - wenn wir sie zu spät erkennen - zu unschönen Erschütterungen, die das Gepäck wieder mal durcheinanderwirbeln. Wir sind dankbar, ein Auto zu haben, das das aushält.
Es wird langsam dunkel, die untergehende Sonne spiegelt sich tiefrot in den gegenüberliegenden Wolken. Wir haben Angst, dass uns langsam der Sprit ausgehen könnte. Plötzlich, mitten im Nichts, eine im Bau befindliche Tankstelle. Glücklicherweise steht der Tankwagen schon daneben, wir bekommen unseren Diesel sozusagen frisch vom Fass. Trotzdem haben wir jetzt noch zwei Stunden anstrengender Nachfahrt vor uns, und die Schlaglöcher werden von unseren schwachen Scheinwerfern nur unzureichend ausgeleuchtet. Immerhin gibt es hier etwas Verkehr und wir schaffen es zeitweise, uns an einheimische Autos anzuhängen und deren Spur zu folgen. Schliesslich erreichen wir Altai.