Der Dichter Peter Henisch lässt die Romanfigur Franz Novak eine folgenschwere Liaison mit Opernstimmen eingehen.

Foto: Standard/Heribert Corn

Der Autor liest am Donnerstag bei O-Töne im Museumsquartier.

Wien - Genau darauf musste man doch vorbereitet sein: Nachdem drei oder vier Jahrzehnte lang der klassische kulturelle Kanon "hinterfragt" worden war, bis er nicht nur nicht mehr gültig war, sondern vor allem nicht mehr gelesen, gehört und gesehen wurde; nachdem man stattdessen die gesellschaftlich "relevante" Alternativ- und Populärkultur insbesondere in der Musik zum unumschränkten Leitmedium ausgerufen hatte und damit der konsequenten Kommerzialisierung und ästhetischen Verflachung Vorschub leistete, begegnen wir nun im neuen Roman Großes Finale für Novak (Residenz Verlag) von Peter Henisch ausgerechnet der Oper als Trägerin einer neu entstehenden Gegenkultur.

Zentrale Figur dieser Kulturrevolution ist - nur Henisch ist solches zuzutrauen - ein niederösterreichischer Postler. Nach einer Gallenoperation - das Organ verweist auch auf Franz Novaks Lebensstimmung - hält er die Geräusche seines Zimmernachbarn nicht mehr aus und wird von einer mitfühlenden philippinischen Krankenschwester mit Kassettenrekorder und Opernmusik versorgt. Langsam, aber sehr konsequent nähert er, für den "der Kontinent Oper bis dahin ein weißer Fleck auf seiner Landkarte" war, sich dieser Musik; ihre Wirkung jedoch ist "nachhaltig".

Dass die musikalische Erfahrung des 55-Jährigen auch mit der Aura der jungen Schwester zu tun haben könnte, die, ganz sicher kann man sich da nicht sein, Novaks Hände zum Abschied möglicherweise an ihre Brust geführt hat, erscheint klar. Aber es wäre ein Fehler, Oper und Erotik auseinanderzudividieren, denn nur zusammen entwickeln sie in diesem Roman ihre überraschende Wirkung.

Philosophie aus Illustrierten

Deutlich wird die subversive Konsequenz der musikalischen Großform jedoch erst nach Novaks Entlassung aus dem Krankenhaus und seiner Rückkehr in die Ehe - in einem ausgebauten Schrebergartenhaus an der Peripherie der Wiener Peripherie. Denn Ehegattin und Friseuse Herta kennt angesichts der neuen, alternativen Anwandlungen ihres bald auch zwangsfrühpensionierten Gatten keinerlei Pardon. Sie entnimmt ihre Lebensphilosophie den Illustrierten ihres Salons, ihre radikale ausländerfeindliche Einstellung dem Boulevard und ihre Klischeehaftigkeit und extreme Konventionalität ihrer kleinbürgerlichen Umgebung.

Ihre unerträglich schrille Stimme - sie steht in ironischem Gegensatz zu den hohen Lagen der Oper - wird entscheidend zu den Gallensteinen ihres Mannes beigetragen haben. In Herta Novak begegnen wir einer Figur, deren bösartige Konsequenz fast schon unfair ist, auch wenn sich der Roman (vergeblich) bemüht, hin und wieder auch ihre Sicht der Situation zu zeigen. Schlimm, dass diese Haltung kulturell nicht nur zur deutschsprachigen Schlagermusik passt, sondern dass auch Tina Turner und Joe Cocker in diese Welt assimiliert werden können.

"Abartige" Oper

Nicht assimiliert werden jedoch kann die Oper. Für Herta Novak ist diese Musik "abartig" (!), ihr Mann ist auf "Irrwege" geraten, und es muss ihm daher geholfen werden.

Die Callas ist eine "Millionärsschlampe", deren Stimme zu Recht abhandengekommen sei - "warum hatte sie auch so hoch singen müssen?" Ganz richtig vermutet sie, dass ihr Mann sich an diesem "Geschmettere und Gegirre, das sie aufs Blut nicht ausstehen konnte", regelmäßig "aufgeilen" würde. Ihre Gegenmaßnahmen fokussiert sie mit xenophober krimineller Energie auf die philippinische Krankenschwester, die aufgrund dieser Verleumdungen ihre berufliche Existenz und ihre Aufenthaltsberechtigung verliert.

Dies alles bestärkt jedoch den Postler Novak - "der Neue" - auf dem Weg zum neuen Menschen. Er weigert sich, den inzwischen verhassten Garten auf "anständige" Weise zu mähen und verwendet stattdessen eine alte Sense. War er bislang ein hilfloser "Ehekrüppel", so bricht er nun aus den kleinbürgerlichen Zwängen aus, um der "Gattinnenliebe zu entgehen". Spät, aber doch entdeckt er, dass er nicht bloß ein sexueller Mensch ist, sondern vor allem auch über Leidenschaft und tiefe Sehnsucht verfügt - Letzteres ist ein Leitmotiv des Buchs. Dabei wird das Opernhören zur heiligen Handlung, im Unterschied zur "profanen" Populärmusik, die ihm immer widerwärtiger wird.

Sicher geht es hier um Midlifecrisis, sicher auch um den Ausbruch des älter werdenden Kleinbürgers. Aber wenn Franz Novak sich aus dem Ex-Schrebergartenhaus mit dem Zettel "Liebe Herta. Ich glaube, es ist richtiger so" in eine Fremdenpension in Wien verabschiedet, um sich dort mit Kopfhörer und CD-Player voll und ganz der Oper zu widmen, kommt hier etwas Neues zum Vorschein, eine explosive kulturelle Kraft, die in der Lage ist, persönlichkeitsbildend zu wirken.

Sie ist, so macht dieser Roman überzeugend klar, auch ein Gegengewicht zur bedrückend allgegenwärtigen Ausländerfeindlichkeit dieser österreichischen Lebenswelt, die dem Autor und Menschen Peter Henisch ein so wichtiges politisches Anliegen ist. Das feurige, tragikomische "Finale für Novak", das hier sicherlich nicht verraten werden wird, steht damit symbolisch für das gesamte Buch - auch wenn der Schluss (wann eigentlich nicht bei Henisch?) zwiespältig bleibt. (Walter Grünzweig, DER STANDARD - Printausgabe, 25. August 2011)