Der Star und die Frauen: Udo Jürgens (David Rott) mit seiner großen Liebe Gitta (Valerie Niehaus). Die Frauengeschichten des Womanizers werden zart angedeutet.

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Von wegen Hitzewelle, 36 Grad: Eine Stunde vor der Premiere im Hamburger Passagen-Kino an der Mönckebergstraße entlädt sich der Himmel, und es schüttet wie aus Kübeln bei nicht mehr als 18 Grad. "So ein Tag, so wunderschön ...", singt ein Kellner in der Imbissbude neben dem Kino. Wäre Udo Jürgens jetzt hier, würde er womöglich einstimmen.

Doch der bald 77-jährige Entertainer (Geburtstag am 30. 9.) ist zu diesem Zeitpunkt noch unterwegs. Direkt aus Zürich trifft er rechtzeitig zum zweiten und letzten Teil seiner verfilmten Familienbiographie Der Mann mit dem Fagott ein. Und strahlt hernach: "Ein unglaublicher Tag", war es für den bald 77-jährigen Sänger und Entertainer, vor Aufregung habe er schlecht geschlafen und nun stehe er noch ganz unter dem Eindruck des eben Dargebotenen: "Es steht mir nicht zu, Sie zu bitten, die Gefühle mitzuteilen, die mich bewegen", sagt er zu den deutschen und österreichischen Journalisten im Saal. "Aber es würde mich freuen." Ein Auftrag, unwiderstehlich - und unmissverständlich.

Große Emotionen

205 Minuten tobten im Kinosaal tatsächlich die großen Emotionen. Zu sehen bekam das Publikum die abenteuerliche Geschichte der Familie Bockelmann von 1891 bis heute. Elf Millionen Euro ließen sich das ARD, ORF, die Produzenten Regina Ziegler und Mia Film kosten, zu sehen am 29. und 30. September samt großem Schwerpunkt rund um den Geburtstag des Sängers. Gefilmt wurde in Österreich, Deutschland und Tschechien mit üppigem Schauspielaufgebot. Aus Österreich wurden etwa Andreas Lust, Otto Tausig, Nicole Beutler und Fanny Stavjanik entsandt. Die Bronzestatue eines Fagottspielers und eine goldene Taschenuhr bilden den roten Faden durch die Geschichte dreier Generationen: Den Rahmen gibt der "echte" Udo Jürgens. Mit dem alten Knecht Aljoscha be- gibt er sich auf Spurensuche. Da ist zuerst die Geschichte des Großvaters Heinrich, gespielt von Christian Berkel. Inspiriert von einem Straßenmusikanten, sucht er im Zarenreich sein Glück und wird erfolgreicher Bankier in Moskau. Als die Kommunisten die Macht ergreifen, wird Heinrich der Reichtum zum Verhängnis.

Kapitel zwei kreist am Ende des Zweiten Weltkriegs um Udo Jürgens' Vater Rudi. Ulrich Noethen spielt den Bürgermeister, der anfangs mit den Nazis sympathisiert, sich später abwendet und schließlich von der Gestapo im kärntnerischen Ottmanach des Landesverrats beschuldigt wird. Der sanfte Klein Udo (Alexander Kalodikis) leidet unter dem brutalen Regime, nach einem Schlag und einem zerfetzten Trommelfell findet er im Klavierspiel Trost.

Den Aufstieg des kleinen Jazzpianisten Bockelmann zum großen Udo Jürgens, Sieger beim Song Contest, begleitet der dritte und charmanteste Erzählstrang. Wie sich der fesche Youngster in der Jazzszene in Salzburg und Harlem behauptete, stellt Jürgens-Darsteller David Rott mit Mut zur Kopie dar: "War's schwierig, mich zu spielen?", fragt ihn der richtige Jürgens keck. "Ich hatte kurz den Verdacht, die Arschkarte gezogen zu haben", sagt Rott. "Weil man nie besser sein kann als das Original." Regisseur Miguel Alexandre setzte den Abschnitt zwischen 1955 und 1966 mit viel Talent zum Retrochic um. Die Frauengeschichten des Womanizers werden zart angedeutet.

Hier entwickelt der Film jene Kraft, die das Phänomen des Schlagers erklärbar macht. Das Musikpublikum dürstete in jener Zeit nach Liedern, die seine Sehnsucht nach Flucht und Freiheit bedienten: In emotionalen Räumen, entweder ganz nah oder fern der Heimat. Texter der Plattenfirmen kamen dem entschlossen nach und schickten ihre Interpreten nach Hongkong, Singapur oder einfach nur mit der Gitarre ans Meer.

Kein Mond über Porto Fino

Der blaue Anzug des Schlagerstars wollte anfangs nicht so recht passen: "Es ist der Mondschein von Porto Fino", sang auch er. Aber er war kein Schlagersänger wie Freddy Quinn. Nicht nur, weil das "R" nicht richtig rollte. Die Lieder singt Rott im Playback, Jürgens spielte sie mit Livestudioband neu ein.

Der Mann mit dem Fagott zeigt vor allem, wie das System Udo Jürgens zum Erfolg kam. In seinen Liedern verfuhr er wie in der Aufarbeitung seiner Familienchronik: In die flotten Songs packte er Gesellschaftskritik und schuf so Gemeinplätze der Liedkultur: Aber bitte mit Sahne, Ein ehrenwertes Haus und Fünf Minuten vor zwölf. Im Film versinken die politischen Ansprüche mitunter im goldgelben Licht des Erzählkitsches. Die von Jürgens selbst komponierte Filmmusik setzt auf nimmermüde Streicher, für die er gar Julian Rachlin holte. Also ist auch im Mann mit dem Fagott das Medium die Botschaft: "Mir ist vollkommen klar, dass es um Geschichte geht. Um die Geschichte einer deutschen Familie im europäischen Wahnsinn dieses Zeitalters. Nicht der Udo Jürgens ist wichtig."

Aber schließlich kommen sie doch, die Hits, die heute funktionieren wie damals: Merci Cherie, 17 Jahr, blondes Haar, Immer wieder geht die Sonne auf - und die Welt ist wieder in Ordnung. Wie sagt Rott: "Ich will frei leben. Ernst und wichtig ist nur die Musik".

Ab Februar geht Udo Jürgens übrigens wieder auf Tournee: 35 Konzerte in eineinhalb Monaten. Und dann wird es auch in Hamburg wieder richtig heiß. (Doris Priesching aus Hamburg, DER STANDARD; Printausgabe, 25.8.2011)