Wie nahe Cybercrime und Cyber-Idealismus beieinander liegen? "Das ist eine Gratwanderung", sagt Domscheit-Berg.

Foto: Robert Newald

Über Daniel Domscheit-Berg gibt es derzeit viel zu reden. Der WikiLeaks-Aussteiger, der zuerst ein Enthüllungsbuch über die Enthüllungsplattform schrieb und nun 3.500 unveröffentlichte Dateien zum Schutz der Quellen zerstört hat, steht im Kreuzfeuer der Kritik der Internet-Aktivisten. "Ich bin momentan der Buh-Mann für alle", sagt er am Donnerstag am Rande der Alpbacher Technologiegespräche gegenüber der APA. "Aber das ist in Ordnung." Dieser Tage zieht sich der Deutsche in Alpbach beim Europäischen Forum zurück, diskutiert über "Cybercrime" - und geht wandern. "Das ist mir hier tausendmal lieber als der ganze Rummel."

"Ein längst überfälliger Schritt"

Die Zerstörung der Daten, die unter anderem Neonazi-Organisationen und die Bank of America betrafen, sei "ein längst überfälliger Schritt" gewesen, betont Domscheit-Berg. Bei WikiLeaks könne man die Informanten nicht mehr ausreichend schützen, wie auch jüngst aufgetretene Fehler und unkontrolliert im Internet kursierende Daten belegten. Gegenüber einer sicheren Übergabe der Daten, was "der Idealfall gewesen wäre", habe man "extreme Bedenken" gehabt. "Für mich ist klar: Ich würde niemals die Sicherheit einer Quelle aufs Spiel setzen. Das ist das wichtigste Versprechen, das ich gegeben habe."

Sein eigenes Projekt "OpenLeaks" rücke nach erfolgreichen Testläufen immer näher an den Start. "Ich will mich da aber nicht mehr festlegen. Wir machen es richtig, so dass man es mit gutem Gewissen ins Netz stellen kann." Die ersten Tests der Infrastruktur seien gut verlaufen - "aber ganz sicher kann ich noch nicht sein, dass uns niemand hacken kann".

Begegnungen in Alpbach

Unterdessen weilt Domscheit-Berg also im pittoresken Alpbach - "schöner geht's nicht" - und hofft auf spannende Begegnungen. Die Diskussion am kommenden Dienstag (30. August) zu "Internet und Demokratie" dürfte "durch ein sehr interessant besetztes Podium" dazugehören: So wird der langjährige WikiLeaks-Sprecher dabei etwa mit August Hanning, dem ehemaligen Präsidenten des deutschen Bundesnachrichtendienstes ins Gespräch kommen. "Das wird eine Überraschungskiste", sagt er fröhlich.

Am Donnerstag Nachmittag referiert Domscheit-Berg zum Thema "Cybercrime" - oder vielmehr dagegen. "Cybercrime gibt es für mich nicht. Es ist falsch, sich darauf einzuschießen. Das ist ein Totschlagbegriff wie 'Terrorismus' - man kann alles Mögliche hineininterpretieren, aber man findet keine Lösung." Einen Online-Betrug und eine Software für Hacking von Atomkraftwerken in einen Topf zu werfen sei unseriös. "Verbrechen müssen differenziert verfolgt werden, ob online oder offline", indem man sich frage, warum sie existieren. "Nehmen Sie Kinderpornografie: dokumentierten Missbrauch gab es schon lange vor dem Internet. Man löst dieses Problem also nicht durch einen Internet-Filter, sondern durch bessere Sozial- und Familienpolitik."

Gratwanderung zwischen Cybercrime und Cyber-Idealismus

Wie nahe Cybercrime und Cyber-Idealismus beieinander liegen? "Das ist eine Gratwanderung", sagt Domscheit-Berg. "Ich glaube, dass sich die Gangart der Aktivisten über die letzten Jahre und Jahrzehnte verschärft hat. Es gibt eine höhere Bereitschaft, aggressiv und radikal vorzugehen. Das reflektiert die Probleme der Gesellschaft, die auch aggressiver und radikaler geworden sind." Gleichzeitig sei Aktivismus "immer zwischen ungesetzlichem Recht und gesetzlichem Unrecht" angesiedelt gewesen. Letztlich könne man nur im Einzelfall entscheiden, ob die Grenze überschritten wurde. Unkontrollierte Veröffentlichungen durch WikiLeaks zählen für ihn auf jeden Fall dazu: "Das darf nicht gewollt sein." (APA)