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Anti-Korruptions-Aktivist Anna Hazare fastet medienwirksam vor dem Porträt seines großen Vorbilds Mahatma Gandhi

Foto: ap/Manish Swarup

Warum die Massen den bizarren Gandhianer Anna Hazare wie einen Erlöser feiern.

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Subharish schnaubt verächtlich, als das Wort Politiker fällt. "Wir haben doch nur die Wahl zwischen Dieben, Räubern und Halsabschneidern", sagt der 30-jährige. "Egal, welche Partei." Der Pharmavertreter hat sich Urlaub genommen, um dabei zu sein. Nun steht er, in blau-weißem Hemd und schwarzer Stoffhose, im Schlamm auf dem Ramlila-Maidan-Platz in Indiens Hauptstadt Delhi und schreit sich heiser.

Erst waren es nur einige Hunderte, die den 74-jährigen Anna Hazare unterstützten. Nun sind es zeitweise allein hier 50.000 Menschen. Ganze Lastwagen mit Bauern trudeln ein. Am Donnerstag spitzte sich die Lage zu, als Hazare die Bürger aufrief, vor die Residenz des Premierministers zu ziehen. Alarmiert schloss die Polizei vier Metro-Stationen in der Nähe.

Halb Indien steht kopf - und das wegen eines alten Mannes, der droht, sich öffentlich zu Tode zu hungern, wenn die Regierung nicht schärfer gegen Korruption durchgreift. Er hat damit einen Aufstand losgetreten.

Wer die riesige Wut verstehen will, muss gesehen haben, wie schamlos sich Indiens Mächtige bereichern: bei den Sportspielen Commonwealth Games etwa oder der Vergabe von Telekomlizenzen. "Ich habe die Menschen noch nie so leidenschaftlich gesehen", sagt Subharish. Seite an Seite trotzen Doktoren und Rikschafahrer, Hindus und Muslime, Hausfrauen und IT-Expertinnen seit Tagen Monsunschauern und drückender Hitze. Auch in anderen Städten und Dörfern, selbst in besseren Wohnvierteln ziehen die Menschen auf die Straßen.

Medienwirksames Drama

Ihr Protest richtet sich nicht gegen eine Regierung, eine Partei, sondern gegen eine ganze korrupte Elite, die ihr Land als Beute genommen hat. "Indien hat das Zeug, eine Supermacht zu werden, eine große Nation", sagt der Psychiater Kishore Arya. "Doch Korruption hindert uns daran."

Auf einer alles überragenden Bühne, gebettet auf Kissen, hinter sich ein riesiges Porträt von Mahatma Gandhi, liegt jener Mann, der nun wie ein Volksheld gefeiert wird. Seit zehn Tagen fastet Hazare, den alle Anna, großer Bruder, nennen. Er weiß, wie man ein medienwirksames Drama inszeniert, die Regierung in Bedrängnis bringt, das hat er sich von seinem Vorbild Gandhi abgeguckt.

Täglich werden sein Gewicht, sein Puls und Blutdruck vermeldet. Er könne jederzeit kollabieren, warnen die Ärzte, die ihn derart ehrfürchtig umsorgen, als wäre er ein Heiliger.

Die Regierung wird immer nervöser. Beinahe stündlich fleht Regierungschef Manmohan Singh ihn an, seinen Hungerstreik zu beenden. Doch Hazare ist nicht nur autoritär, sondern auch stur wie ein Esel. "Wenn die Regierung sich nicht bewegt, werde ich für meine Nation sterben", ruft er der Menge zu, und die tobt. Theatralik gehört in Indien dazu.

Mit seinem Hungerstreik will Hazare die Regierung zwingen, ihren Entwurf für ein Anti-Korruptions-Gesetz zu verschärfen. Inzwischen verhandeln beide Seiten über Kompromisse, doch die Gespräche haken. Seit über 40 Jahren hänge das Anti-Korruptions-Gesetz im Parlament fest, ärgert sich Subharish. Nichts tue sich.

Doch Regierungschef Singh sitzt in der Zwickmühle. Viele Parteien und Politiker stellen sich quer und versuchen, das Anti-Korruptions-Gesetz ganz auszubremsen. "Die Anti-Korruptions-Bewegung ist zu einer Gefahr für alle Parteien geworden, da keine von ihnen sauber ist", meint der Analyst Brahma Chellaney.

Auch der Kolumnist Manoj Jo-shi spricht von einem "Versagen der gesamten politischen Klasse". Gerade deshalb fürchten viele, dass die Politiker am Ende das Volk wieder nur an der Nase herumführen werden. Resigniert meint der Mittdreißiger Pranjal Shukal: "Die Diebe werden doch kein Gesetz verabschieden, das sie selbst hinter Gitter bringt."