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Mahlzeit! Während die nicht mehr so große Koalition sich in fragwürdiger Klientel-Politik verliert, wachsen die Aussichten auf eine Krawallpolitik, die sich der Ausgeschlossenen annimmt.

Foto: Reuters

Ein österreichischer Bundeskanzler und sein Vizekanzler plaudern sich nun schon fast einen ganzen Sommer lang an allen auf uns Bürger und Wähler einstürzenden Themen vorbei, und ich bemerke meine aufsteigende Beklemmung, die Franz Schuh, mit dem der Kanzler doch lieber nicht sprechen wollte, auf den Begriff brachte: "Ich fürchte den Zusammenbruch."

Wie lange lässt sich Politik in Zeiten schwerwiegender Krisen auf Inseraten-PR und Ausweichmanöver reduzieren, ohne gravierende Schäden hervorzurufen?

Aus den vielen Sachbereichen hier die Universitäten als ein gutes Beispiel:

Es gibt ein breites Einvernehmen darüber, dass die Universitäten unterfinanziert sind, dass der Zugang zu zahlreichen Studienfächern chaotisch und zulasten von Studierenden wie Lehrenden geht, dass die Frage der höheren Bildung und der Forschung entscheidend für den Standort Österreich wie auch die Lebensperspektiven der jungen Menschen (und ihrer Eltern) ist, dass der Zugang zu Universitäten auch ein eminentes Integrationsthema wäre und dass die zurzeit anlaufenden Zugangsregulierungen undurchdacht sind.

Es ließe sich hinzufügen, dass die Universitäten, seitdem sie über das Universitätsgesetz von 2002 mehr Handlungsspielraum und damit Verantwortung für ihre Gestaltung innehaben, diese Möglichkeiten nicht gerade offensiv angegangen sind und dass auch die zwischenzeitlich eingeführten Studiengebühren nicht eben zielgerichtet oder gar für die Studierenden nachvollziehbar, etwa zur Qualitätsförderung eingesetzt worden sind. Kurzum, das Schlamassel hat alle Eigenheiten, die weite staatsnahe Bereiche - von Bundesstaatsreform über Schulreform, ÖBB, Asfinag, ORF bis zur Fiskalpolitik - zusehends ins Schlingern bringen.

Der Bundeskanzler und sein Vizekanzler plaudern indessen im Wesentlichen darüber hinweg. Der eine schlug im Juli vor: "Wir wollen Studiengebühren. Bei Studienrichtungen, bei denen ein großer Bedarf an Absolventen besteht, könnte man keine oder nur geringe Studienbeiträge einführen. Bei anderen Fächern, bei denen es wahnsinnig viele Studierende gibt und die Berufsaussichten nicht besonders gut sind, könnte man sie höher gestalten." Der andere hat auch Ideen, nämlich "dem Wunsch der Industrie gerecht zu werden, nicht die Plätze in philosophischen und ähnlichen Bereichen zu vervielfachen, sondern in technischen Fächern." Welche Verfassungsprobleme nach dem Gleichheitsprinzip eine Taxierung nach schwammigen "Berufsaussichten" hervorriefe (Spindelegger) oder was der "Wunsch der Industrie" (Faymann!) in Bildungspolitik gegossen wert wäre, will ich hier nicht beurteilen.

Als Absolvent, Selbstständiger und Lehrender in den "ähnlichen Bereichen" bemerke ich, dass ich von solch einer Politik nicht mehr "gemeint" bin. Und ich bin nicht als Person "nicht gemeint" - nicht angesprochen, und erst gar nicht ernst genommen -, sondern Kanzler und Vizekanzler sowie, in Personaleinheit, die Parteichefs der derzeit gerade noch größten Parteien teilen uns aus diesen "anderen Bereichen" in Bausch und Bogen mit, wir seien nicht mehr Gegenstand ihrer Politik.

SPÖVP reloaded

Die SPÖ hat offenbar mit den Universitäten nichts mehr am Hut, also etwa mit den Aufstiegsmöglichkeiten der kleinen Leute. Die ÖVP schreibt indessen mit den Unis ihre entsprechende Stammwählerschaft aus den "gebildeten Schichten" ab. Beide bauen viel lieber auf jene Bereiche ihrer Wählerschaft, derer sie sich sicher sein zu können glauben: öffentlicher Dienst, Pensionisten, Landwirte, vielleicht noch Industrie und Funktionäre. Damit ruinieren sie nicht nur die Universitäten (oder den ORF oder die Schulen). Sie öffnen die politische Flanke für die populistischen Fänger, die auf jene Gruppen zielen, die von SPÖVP nicht mehr gemeint sind, weil sie als "andere Bereiche" abgekanzelt werden.

Den Begriff SPÖVP prägte übrigens der verstorbene FAZ-Korrespondent Andreas Razumovsky, um die Voraussetzungen für den Aufstieg von Jörg Haider in den 1990er-Jahren zu erläutern. Trotz selbstgelegter Fußangeln war dessen sicheres Gespür für die Möglichkeiten der Krawallpolitik stets stärker. Jetzt gibt es offenbar SPÖVP "reloaded" .

Wenn die Spitzenvertreter der Regierungsparteien drüberfahren über alle Fragen und Gesellschaftsgruppen, die sie nicht als ihre Kern-Klientel definieren, dann führt das für die Universitäten (und den ORF usw.) über kurz oder lang zu dem, was Franz Schuh angesprochen hat: zum Zusammenbruch. (Rüdiger Wischenbart, DER STANDARD; Printausgabe, 26.8.2011)