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Testosteron macht linkshändig. Oder die Umwelt. Oder ganz andere genetische Faktoren. Die Forschung an der Linkshändigkeit bleibt spannend.

Foto: APA/Tobias Kleinschmidt

Die Spuren liefern deutliche Hinweise. Man findet sie an Steinwerkzeugen und Zähnen, und sie lassen darauf schließen, dass schon bei den Neandertalern manche hauptsächlich die linke Hand benutzten, wenn es darum ging, Tiere zu zerlegen oder Knochen abzunagen. An Höhlenwänden gibt es prähistorische Abdrücke von linken und rechten Händen. Linkshändigkeit dürfte also so alt sein wie die Menschheit selber. Mindestens.

Seit wann diese Orientierung als Makel betrachtet wurde, lässt sich nicht genau ermitteln. Im Alten Testament der Bibel gibt es noch keine Hinweise auf eine Wertung, im Neuen Testament dagegen heißt es, am Tag des Jüngsten Gerichts kommen die Schafe auf die rechte Seite und in den Himmel. Die bösen Böcke werden nach links geschickt und anschließend in die ewige Verdammnis gejagt. Während des Mittelalters galt die linke Hand praktisch als teuflisch. Solch abergläubischer Unsinn hinterließ bis weit in das 20. Jahrhundert hinein seine Spuren. "Seit den Sechzigern weiß man, dass Händigkeit angeboren ist", erklärt die Pädagogin Elisabeth Ertl von der Linkshänder-Initiative. "Vorher dachte man noch, Linkshändigkeit sei ein Zeichen von schlechtem Charakter und Renitenz in der Erziehung."

Trotz der Alltäglichkeit des Phänomens wirft die Händigkeit in der Wissenschaft noch eine Menge Fragen auf. Wie entsteht sie überhaupt? Die Theorie der pathologischen Linkshändigkeit hat noch immer Anhänger. Ihrer Ansicht nach ist die Dominanz der linken Seite - und somit der rechten Gehirnhälfte - bei motorischen Aufgaben für zumindest einen Teil der Betroffenen eine krankhafte Abweichung. Sie entstünde womöglich infolge von Schwangerschaftsstörungen, einem Geburtstrauma oder einer schweren Krankheit in den ersten Lebensjahren. So fanden zum Beispiel niederländische Mediziner einen erhöhten Anteil an Linkshändern bei Kindern, die eine lebensgefährliche bakterielle Meningitis (Gehirnhautentzündung) überstanden hatten (vgl. Neuropsychologia, Bd. 44, S. 2526). Von den 182 untersuchten Schülern waren 29 linkshändig. Das entspricht einem Anteil von 15,9 Prozent. Je schwerer die Infektion verlaufen war und je früher nach der Geburt sie eingesetzt hatte, desto größer die Chance, dass die Kinder später Linkshänder wurden. Die linkshändigen Meningitis-Überlebenden litten zudem häufiger unter Lernschwierigkeiten und erreichten bei einem IQ-Test geringere Ergebnisse als die rechtshändigen Studienteilnehmer.

Zehn Prozent mit links

Für ihre Schlussfolgerungen gingen die Forscher allerdings von einer regulären Linkshänderquote von zehn Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Diese Zahl ist umstritten (siehe Kasten). Auch das häufigere Auftreten von Schulproblemen muss kein Hinweis auf eine grundsätzlich verminderte Leistungsfähigkeit der linkshändigen Kinder sein. Stattdessen könnten die Schwierigkeiten durch Vernachlässigung dieser Schüler in den mehrheitlich rechtshändigen Klassen entstehen. Mit anderen Worten: Ob zwischen Meningitis, Linkshändigkeit und Lernbegabung tatsächlich ein ursächlicher Zusammenhang besteht, ist weiterhin äußerst fragwürdig.

Etwas aufschlussreicher ist dagegen eine finnische Untersuchung zur Entstehung von Händigkeit. Wissenschafter der Universität Helsinki analysierten Daten von mehr als 30.000 erwachsenen Zwillingen, die bereits 1975 zu diversen medizinisch relevanten Details befragt wurden. Mathematische Auswertungen zeigten, dass Linkshändigkeit nur zu einem geringen Teil auf vererbbare Faktoren zurückzufüh- ren war (vgl.: Neuropsychologia, Bd. 47, S. 1294). "Die Gene scheinen keine besonders wichtige Rolle zu spielen", sagt Eero Vuoksimaa, Erstautor der Studie, im Gespräch mit dem Standard. In den weitaus meisten Fällen müssten individuelle äußere Faktoren die Händigkeit der Befragten bestimmt haben (76 bis 100 Prozent, je nach Rechenmodell). Das könnten zum Beispiel unterschiedliche Freundeskreise sein, aber auch persönliche Reaktionen auf Probleme im familiären Umfeld, erklärt Vuoksimaa. Auf jeden Fall komme der Umwelt die Hauptrolle zu. Manche Experten gehen diesbezüglich von einer Prägung im Mutterleib aus, so der Forscher.

Testosteron macht links

Wer als Fötus überdurchschnittlich hohen Testosteronmengen ausgesetzt war, werde eher Linkshänder. In Tieren wurde die Bedeutung von Testosteron für die unterschiedliche Entwicklung der Gehirnhälften bereits nachgewiesen.

Doch welche Rolle spielt die Linkshändigkeit aus evolutionärer Sicht? Sie scheint zumindest eine gewisse erbliche Basis zu haben, auch wenn sie gewiss nicht auf ein einzelnes Gen zurückzuführen ist, wie andere Studien zeigten. Da Linkshänder zwar in der Minderheit sind, aber im Verlauf der Jahrtausende nicht ausstarben, können sie von der natürlichen Selektion nicht benachteiligt gewesen sein.

Nach Ansicht einiger Wissenschafter dürfte dies an Überraschungsvorteilen im Kampf mit Waffen gelegen sein. Ein Rechtshänder hat mit den spiegelverkehrten Bewegungen des Linkshänders größere Schwierigkeiten, während Letzterer die Aktionen seines Gegenübers besser im Voraus abschätzen kann. Diesen Vorteil haben Linkshänder auch heute noch bei diversen Sportarten. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD Printausgabe, 29.08.2011)