Ein Mietshaus am Rand einer Stadt, die Wien sein könnte. Die Parteien, die hier wohnen, haben auf den ersten Blick sonst nichts miteinander zu tun: Bela, der Besitzer des Wettcafés im Erdgeschoß, und sein halbwüchsiger Sohn Caspar; Konrad, ein junger Mann, der hauptberuflich vom Handel mit illegalen Substanzen lebt; die Pensionistin Helga und ihr schwer zuckerkranker Mann Adalbert.
Mit seiner Einlieferung ins Spital, wo sein Bein amputiert werden soll, setzt die Geschichte ein, die von Beginn an in allen ihren Details bedrückend konkret und gegenwärtig ist und zugleich weit in die Vergangenheit ausholt: Als Helga ein Foto Adalberts aus dem Bilderrahmen nimmt, kommt ein zweites zum Vorschein, das ihn gemeinsam mit einer unbekannten Frau zeigt. Helga muss mit dieser Irritation leben, sie muss ihre Ehe neu erfinden - ihren Mann wird sie dazu nicht mehr befragen können.
Alle, die hier wohnen, haben ihre Probleme. Bela, dessen Vater das Haus von Helgas Eltern gekauft hat, ist als Alleinerzieher überfordert, er findet keinen Zugang zu seinem schulschwänzenden Sohn, der ihn mit Verachtung und Schweigen straft, nicht nur wenn er zu Hause auf eine fremde Frau trifft.
Bela merkt wohl, dass sich das Muster der verkorksten Beziehung zu seinem eigenen Vater zu wiederholen droht und kann es doch nicht ändern.
Konrad wiederum hat Grund zur Nervosität, weil die Polizei einige seiner Stammkunden verhört. Seine Mutter hatte sich in ihrer Villa obsessiv mit rätselhaften Kunstdingen beschäftigt und Konrad mithilfe von Post-its mit Haushaltsdirektiven versorgt. Er war zunächst in die Illusion geflüchtet, seinerseits zum Fotokünstler zu taugen - und dann, ernüchtert, aus der Provinz (Graz?) in die Hauptstadt.
Zwischen den Wänden besetzen die Figuren dieses Romans ihr Terrain, dort suchen sie Schutz, sie alle brauchen Refugien. Wenn sie nicht weiterwissen, bemächtigt sich ihrer ein Putzteufel, der den Reinigungsdrang nach außen kehrt.
In seinem bedächtig, doch keineswegs behäbig erzählten Debüt untersucht der Wiener Johannes Epple die Ordnung und die Lücken, die das Leben ihr schlägt, leuchtet er Räume und Zwischenräume sorgfältig aus: das Haus, die Wohnungen, das Café, Adalberts Bibliothek, Caspars selbstgebaute Hütte im nahen Wäldchen, Konrads Keller, der stets versperrte "Kreissaal" seiner Mutter, in den der Sohn eines Tages mit Gewalt eindringt, um dort ein gewaltiges Archiv zu finden, das "totale Tagebuch".
Epple zeigt Eltern als Abwesende, die sich ihren Kindern entziehen: Über Caspars verschwundene Mutter wird eine Verbindung zwischen Bela und Konrad offenbar, von der die beiden nichts wissen.
Verblüffend ist die Empathie, mit der der junge Autor sich in Menschen versenkt, die ihr Leben gelebt haben; eindrucksvoll ist die Souveränität, mit der er über seine Figuren gebietet, sie durch Krankheit, Sinnkrise und Trauer begleitet, ihre Lebensläufe verknüpft und ihnen am Ende doch ein Quentchen Heiterkeit zubilligt. Allein die in Guatemala spielenden, dschungelhaft austreibenden Sequenzen aus dem Tagebuch von Konrads Mutter gefährden da und dort die wundersame Ökonomie der Erzählung. (Daniela Strigl, DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 27./28. August 2011)