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Zwei Libyer vor dem Abu Salim-Krankenhaus  in der Hauptstadt Tripolis.

Foto: Francois Mori/AP/dapd

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Den Boden unter Gaddafis Residenz in Bab al-Aziziya durchziehen lange Tunnelgänge.

Foto: REUTERS/Zohra Bensemra

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Ein Junge spielt mit einer Spielzeugpistole am Tahrir-Platz in Bengasi, während im Hintergrund potentielle neue Kämpfer für die Rebellen rekrutiert werden.

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Tripolis - Grauenhafte Bilder dringen nach und nach aus dem libyschen Bürgerkrieg nach Außen. Nach dem Fund von hunderten Leichen in einem Krankenhaus in der Hauptstadt Tripolis wurden nun im Gefängnis einer von Gaddafi-Truppen geräumten Kaserne die verkohlten Leichen von mindestens 50 Menschen entdeckt. Nach der Einnahme der Militärbasis durch die Rebellen hätten Anwohner die Toten in dem improvisierten Gefängnis gefunden, berichtete eine AFP-Korrespondentin am Samstag.

Einer von ihnen, der Arzt Salim Rajoub, vermutete, dass es sich um die Opfer eines vor wenigen Tagen verübten Massakers handelt. In der Militärbasis waren zuvor Elitetruppen der 32. Brigade untergebracht, die von Khamis, einem der Söhne des untergetauchten Machthabers Muammar el Gaddafi, befehligt wurde.

Er und andere Anrainer hätten am späten Dienstagabend Hilfeschreie und dann Schüsse sowie Explosionen von Granaten gehört, berichtete Rajoub weiter. Wegen der Heckenschützen habe aber niemand helfen können. Die Einwohner berichteten von 53, die AFP-Journalistin zählte 50 Leichen. Nach NATO-Luftangriffen hatten die Rebellen die Militärbasis der 32. Brigade am Samstag eingenommen.

200 Tote in Spital in Tripolis gefunden

Mehr als 200 bereits im Zustand der Verwesung befindliche Leichen sind in einem Spital in der libyschen Hauptstadt Tripolis entdeckt worden. Das Spital befindet sich in einem Stadtteil, in dem heftige Kämpfe getobt hatten, berichtete der britische Sender BBC am Samstag auf seiner Homepage.

Ein BBC-Korrespondent sah in den Gängen des Abu-Salim-Krankenhauses die Leichen von Männern, Frauen und Kindern. Das medizinische Personal hatte das Spital nach Ausbruch von Kämpfen zwischen Rebellen und Anhängern des bisherigen Machthabers Muammar al-Gaddafi fluchtartig verlassen. Anrainer beschuldigten das Gaddafi-Regime, die Menschen in dem Spital ermordet zu haben. Laut BBC sind die Todesumstände jedoch unklar.

Der BBC-Reporter Wyre Davies sagt, die Lage im Krankenhaus sei mit das "Erschreckendste und Ekelerregendste", was er je gesehen habe. Alex Thomson von Channel 4 News sprach laut "Spiegel Online" von einem Bild "unbeschreiblichen Grauens". Auch er sagte: "Das ist eine der schlimmsten Sachen, die ich jemals gesehen habe." Überall lägen verwesende Leichen - in Korridoren, Büros, vor dem Gebäude. Alles sei voll von Fliegen und Maden. Unter den Dutzenden Toten seien auch Frauen und Kinder.

Ärzte berichteten der Nachrichtenagentur AFP, dass Gaddafi-treue Heckenschützen bis Donnerstag jeden auf Distanz gehalten hätten, der sich dem Krankenhaus im Viertel Abu Salim nähern wollte. Daher seien die Patienten einer nach dem anderen gestorben. Die überlebenden Patienten, unter ihnen ein Kind, mussten demnach tagelang den Geruch verwesender Leichen ertragen.

Ein Anwohner sagte der BBC, dass die Leichen seit fünf Tagen in der Klinik lägen, ohne dass sich jemand um sie gekümmert hätte.

Rebellen nahmen Grenzübergang ein

Unterdessen haben am Freitag die libyschen Rebellen den umkämpften Kontrollposten Ras Jedir an der Grenze zu Tunesien eingenommen. Nach Angaben aus tunesischen Regierungskreisen wehte am Abend die Flagge der Rebellion über dem Kontrollposten. Der Einnahme seien unmittelbar keine Kämpfe vorausgegangen. Während sich die Versorgungslage in der Hauptstadt Tripolis verschärfte, gab es neue Spekulationen um den gestürzten Machthaber Muammar al-Gaddafi. Er könnte sich in einem Konvoi gepanzerter Limousinen befunden haben, der am Freitag die Grenze zu Algerien passiert hat. Die Regierung in Algier hat Berichte über eine mögliche Flucht nach Algerien "kategorisch" zurückgewiesen. "Diese Information entbehrt jeglicher Grundlage," sagte der Sprecher des algerischen Außenministeriums, Amar Belani, am Samstag der Nachrichtenagentur APS.

Ein Vertreter des Nationalen Übergangsrates der libyschen Rebellen sagte dem tunesischen Fernsehen, die Kämpfer von Machthaber Gaddafi hätten sich ergeben. Ein Vertreter einer Hilfsorganisation vor Ort bestätigte die Einnahme des Grenzpostens, der für die mit Sanktionen belegte libysche Regierung Gaddafis strategisch wichtig ist. Über den Grenzübergang waren in der vergangenen Monaten tausende Menschen nach Tunesien geflohen.

Unterdessen fiel in der umkämpften Hauptstadt Tripolis am Freitagabend der Strom aus. "Die ganze Stadt ist schwarz", berichtete eine Korrespondentin der Nachrichtenagentur dpa. In der Millionenmetropole gebe es auch kein Wasser mehr. In Tripolis machten Gerüchte die Runde, die Versorgung sei aus Furcht vor vergiftetem Wasser unterbrochen worden. Auch die Versorgungslage mit Lebensmitteln wird in der Hauptstadt immer dramatischer. Vor den wenigen Geschäften, die noch frische Waren verkauften, bildeten sich lange Schlangen. In anderen Geschäften sind die Vorräte bereits völlig ausgegangen.

Limousinen-Konvoi

Machthaber Gaddafi hat indes möglicherweise bereits das Land verlassen. Ein Konvoi aus sechs gepanzerten Limousinen überquerte am Freitag die libysch-algerische Grenze bei Ghadamis, berichtete die ägyptische Nachrichtenagentur MENA am Samstag unter Berufung auf libysche Rebellen. "Wir glauben, dass hochrangige libysche Regierungsbeamte in diesen Fahrzeugen waren, möglicherweise Gaddafi und seine Söhne", sagte die Gewährsperson. Davor hatte der Justizminister der Rebellen, Mohammad al-Alagi, der Nachrichtenagentur Reuters versichert, dass Gaddafi in der Hauptstadt Tripolis "umzingelt" worden sei. "Das Gebiet, in dem er sich jetzt befindet, wird belagert", sagte Alagi.

Schon seit längerem wird darüber spekuliert, dass das Nachbarland Algerien dem langjährigen libyschen Machthaber Exil gewähren könnte. Algier hat die libysche Rebellenregierung bisher nicht anerkannt. Gaddafi ist seit der Einnahme seiner Residenz Bab al-Aziziya am Dienstag verschwunden. Er meldete sich jedoch in mehreren Audiobotschaften zu Wort und rief seine Anhänger auf, den Kampf gegen die Rebellen fortzusetzen. Zugleich schloss er aus, seiner Heimat den Rücken zu kehren. Der Vizechef der libyschen Übergangsregierung, Ali Abdussalam Tarhouni, äußerte sich skeptisch zu einem möglichen algerischen Exil für Gaddafi. "Kein Land wird Gaddafi Exil geben. Auch bei Algerien bezweifle ich das", sagte er der Tageszeitung "Die Presse".

EU mahnt Parteien, Menschenrechte zu beachten

EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton hat die Konfliktparteien in Libyen aufgerufen, keine Rache zu üben und die Menschenrechte zu achten. In dieser Forderung seien sich die Europäische Union, die Arabische Liga, die Afrikanische Union und die Vereinten Nationen einig, sagte Ashton nach Beratungen der sogenannten Kairo-Gruppe am Freitag. Die Organisationen forderten beide Seiten auf, das internationale humanitäre Recht und die internationalen Menschenrechtsvereinbarungen einzuhalten, sagte sie.

UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon zeigte sich unterdessen besorgt über das Chaos in Libyen. In einer Videokonferenz mit Vertretern der EU, der Afrikanischen Union, der Arabischen Liga und der Organisation der Islamischen Konferenz brachte Ban die Entsendung einer internationalen Polizeitruppe ins Land ins Spiel. Es sei dringend erforderlich, den Konflikt zu beenden sowie Ordnung und Stabilität wiederherzustellen. Alle Parteien stimmen überein, dass man Libyen bei einer entsprechenden Anfrage der neuen Machthaber helfen sollte, "die Polizeikapazitäten zu entwickeln". Ban verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass Libyen von Kleinwaffen "überschwemmt" sei.

Merkel zollt NATO Respekt für Libyen-Einsatz

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat der Nato Respekt für ihren Libyen-Einsatz gezollt und gleichzeitig die deutsche Haltung gerechtfertigt. "Wir stehen fest zu unseren Verbündeten und zur NATO, für deren Einsatz ich tiefen Respekt habe", sagte Merkel der "Bild am Sonntag". "Unsererseits sind wir mit politischen wie wirtschaftlichen Sanktionen gegen das Regime vorgegangen."

Sie erklärte weiter: "Wir haben damals mit unseren Partnern über unsere Bedenken gesprochen und entschieden, dass Deutschland sich an diesem Einsatz militärisch nicht beteiligt. Wir haben aber auch von Anfang an klar gemacht, dass niemand unsere Enthaltung mit Neutralität verwechseln sollte."

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hatte zuvor den deutschen Libyen-Kurs besonders lautstark gelobt und war dafür heftig kritisiert worden.

Kämpfe in Sirte und Sebha

Nach den jüngsten Erfolgen der Rebellen in Tripolis hat die NATO ihre Luftangriffe in Libyen auf die Küstenstadt Sirte konzentriert, eine Hochburg von Machthaber Muammar al-Gaddafi. Dabei seien 15 Militärfahrzeuge und weitere Ziele beschossen worden, teilte das Verteidigungsbündnis am Samstag in Brüssel mit.

Elf mit Waffen beladene Fahrzeuge sowie drei militärische Logistikfahrzeuge und ein gepanzertes Kampffahrzeug seien am Freitag zerstört worden. Auch zwei Militärunterkünfte, ein Beobachtungspunkt von Gaddafis Armee und eine weitere Militäranlage in der Umgebung von Gaddafis Heimatstadt Sirte 360 Kilometer östlich von Tripolis wurden der NATO zufolge getroffen.

Ein NATO-Vertreter sagte, Sirte stehe im Mittelpunkt der Einsätze, weil die Stadt eine der letzten Orte unter Gaddafis Kontrolle sei. Auch die libyschen Aufständischen bereiteten eine Offensive in Sirte vor. Die NATO beschoss am Freitag nach eigenen Angaben auch Ziele in der Nähe von Tripolis, darunter ein Militärlager und eine Raketenabschussanlage. Weitere Luftangriffe hätten sich gegen militärische Ziele in der Nähe von Ras Lanuf, Al-Assah, Okba und Al-Aziziyah gerichtet.

In Tripolis herrschte am Samstag Ruhe. In der Nacht waren vereinzelt Explosionen und Schusswechsel zu hören gewesen. Ein Anführer der Rebellen räumte ein, dass er und seine Leute nicht wüssten, wo sich Gaddafis letzte kleine Kampfgruppen aufhielten. Der Leiter des Militäreinsatzes der Rebellen in Tripolis, Abdel Najib Mlegta, hatte am Freitagabend erklärt, das die Aufständischen 95 Prozent der Hauptstadt kontrollierten. Gaddafi-treue Kämpfer gebe es noch im Viertel Abu Salim.

Jibrils Stellvertreter Tarhouni kündigte an, Gaddafi-Anhänger in den künftigen Staat integrieren zu wollen. Wir werden 90 Prozent der Polizisten behalten", sagte Al-Tarhuni der "Süddeutschen Zeitung" und dem "Tagesspiegel" (Samstag). "Verhandlungen darüber laufen schon", sagte Tarhouni. Um die Fehler nach dem Machtwechsel im Irak zu vermeiden, würden nur jene Sicherheitsleute entlassen, die "Blut an den Händen" hätten. Im "Presse"-Interview sprach sich Tarhouni zugleich für eine rasche Entwaffnung der Bevölkerung aus. "Es sind sehr viele Waffen in Umlauf, Gaddafi hat Unmengen an Gewehren und Pistolen ausgegeben", so der Vizepremier. (APA/Reuters)